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Depressionen bei Azubis

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Bild: Daniel Ernst/Fotolia.de
Bild: Daniel Ernst/Fotolia.de

Was die Techniker Krankenkasse (TK) herausgefunden hat lässt aufhorchen: Immer mehr Auszubildende fallen aus wegen psychischer Probleme. So steht es im Artikel des Nachrichtenportals n-tv.de im Internet zu › lesen. Das dürfte auch Ausbildungs- und Personalabteilungen in Unternehmen interessieren, wenn nicht sogar alarmieren, denn die blanken Zahlen wirken erschreckend: Seit dem Jahr 2000 habe sich die Zahl der Fehlzeiten der jungen Berufsanfänger (16 bis 25 Jahre) wegen Depression oder Anpassungs- und Belastungsstörungen mehr als verdoppelt, steht dort zu lesen. Um stolze 108 Prozent habe sich der Wert erhöht, heißt es im neuen Gesundheitsreport der TK. Der Vergleich mit den psychisch bedingten Fehlzeiten über alle Altersgruppen hinweg mag tröstlich sein – er stieg „nur“ um 88 Prozent – tatsächlich aber lässt sich daran etwas erkennen: Gerade junge Auszubildende sind in besonderem Maße von psychischen Problemen betroffen.

Medienkonsum verhindert Konzentration

Die Depression habe es damit in der Hitliste der häufigsten Ursachen von Krankschreibungen auf Platz drei geschafft, schreibt n-tv.de; nach den herkömmlichen Spitzenreitern Atemwegs- und Magen-Darm- Infekten. Im Text von n- tv.de heißt es weiter: „Eine Ursache für das hohe Stresslevel der Berufseinsteiger sehen die Experten im Medienkonsum.“ Das Zauberwort hierbei dürfte „Eine“ zu Beginn des zitierten Satzes sein. Es gibt sicher auch andere Ursachen. In dem Artikel heißt es sinngemäß: Wer permanent auf sein Smartphone oder Tablet starrt, kann sich nicht vollständig erholen. Keine Widerrede. Im Gegenteil. Ich würde sogar noch weitergehen: Wer sich der ständigen Reizüberflutung aussetzt, verliert elementare Fähigkeiten. Etwa jene, Zeit mich sich selbst und den eigenen Gedanken und Gefühlen zu verbringen. Kontemplation nannte man das früher. Oder die Fähigkeit, sich ohne ständige Berieselung auf eine Sache zu fokussieren und die Aufmerksamkeit aufrecht zuerhalten. Kurz: sich auf etwas ausdauernd zu konzentrieren.

Unterdrückte Gefühle erschweren Abgrenzung

Und doch scheint mir die These, junge Leute bekommen psychische Probleme, weil sie zu viel auf ihr Smartphone starren, zu kurz gegriffen. Die wichtigste Ursache wird in dem Artikel überhaupt nicht erwähnt, obwohl sie sich beim Blick auf die Krankschreibungen förmlich aufdrängt: Depression oder Anpassungs- und Belastungsstörungen. Beide, Depression sowie Anpassungs- und Belastungsstörungen, haben zunächst einmal nichts mit dem Konsum digitaler Medien zu tun. Eine Depression kann eine chronische Krankheit sein oder – und das dürfte bei der steigenden Zahl von Fehlzeiten junger Leute häufiger der Fall sein – ein akuter und vorrübergehender Zustand. Gerade da ist die Frage nach der Ursache einer solchen Depression von großem Interesse. Eine nicht-chronische Depression ist in der Regel die Folge unterdrückter Gefühle. Wer gelernt hat, seine Trauer, seinen Ärger, seine Angst und seine Freude zu äußern, hat kaum einen Grund in Depression zu verfallen.

Was haben Gefühle denn überhaupt bei der Arbeit zu suchen? Die Antwort mag manchen überraschen: Mehr als manchem von uns lieb ist. Menschen, auch junge Berufsanfänger, sind nicht nur denkende, sondern eben auch fühlende Wesen. Wenn sie sich nicht erlauben, ihre Gefühle zu äußern, können sie auch die damit verbundenen Qualitäten nicht nutzen.

  • Ärger ist das Gefühl, das uns hilft zwischen dem, was wir wollen und dem, was wir nicht wollen, zu unterscheiden. Er hilft uns Grenzen zu setzen, Entscheidungen zu treffen, Klartext zu reden.
  • Trauer ist das Gefühl, das uns hilft, mitfühlend zu sein, uns berühren zu lassen, zuzuhören, Nähe zuzulassen.
  • Angst ist das Gefühl, das wir spüren, wenn wir Neues ausprobieren und dabei scheitern können. Sie macht uns aufmerksam und regt unsere Kreativität an.

Wer diese Gefühle nicht äußern kann, weil er sich nicht traut beziehungsweise weil er es nicht gelernt hat, kann sich nicht abgrenzen, läuft Gefahr gemobbt zu werden, kann nicht zuhören, bleibt distanziert und scheut Herausforderungen. Wenn junge Berufsanfänger sich im Betrieb nicht abgrenzen können, nicht zuhören und Herausforderungen meiden, ist es kaum verwunderlich, dass sie Anpassungs- und Belastungsstörungen entwickeln und letztlich in der Depression landen. Nicht auf Dauer, wie es in dem Artikel heißt, aber immer öfter.

Gefühle bei Kindern sind unerwünscht

Dass junge Menschen nicht lernen, ihre Gefühle zu äußern und sie zu nutzen, ist hingegen kein gesellschaftlicher Prozess, der einfach so geschieht. Wir Erwachsene steuern das. Wenn Kinder ihre Gefühle äußern, erklären wir Erwachsenen ihnen, warum sie nicht fühlen müssen, was sie fühlen: Dunkler Keller? – „Du musst keine Angst haben. Bist doch ein großer Junge.“ Kätzchen gestorben? – „Du musst nicht traurig sein, du bekommst morgen ein neues.“ Kein Fernsehen mehr heute. – „Hör auf zu zetern, das gehört sich nicht für ein Mädchen!“ Sogar mit der Freude stehen wir auf Kriegsfuß: „Jetzt hör auf, so zu spinnen!“ Das ist, um das Gefühl beim Namen zu nennen, sehr traurig.

In einem Punkt aber hat übermäßiger Konsum von digitalen Medien tatsächlich eine direkte Auswirkung darauf, dass junge Leute immer häufiger wegen Depression sowie Anpassungs- und Belastungsstörungen ausfallen: Wer sich zu viel mit seinem digitalen Spielzeug beschäftigt, kann nur selten in direktem Kontakt mit anderen Menschen sein. Gerade den braucht es aber, um das zu lernen, was den verantwortlichen Umgang mit sich selbst, den eigenen Gefühlen sowie mit meinem Gegenüber beschreibt: Beziehungskompetenz. Ich begreife nicht, warum das bis heute kein Schulfach ist.

Porträt von Matthias Stolla

 Der Autor: Matthias Stolla, Trainer und Dozent für Ganzheitliche Ausbildung und Gründer von Great Growing Up, mstolla@greatgrowingup.com