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Gibt es einen Zusammenhang zwischen Hirnanatomie und beruflichen Neigungen?

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Soll ich lieber einen technischen, kaufmännischen oder sozialen Beruf ergreifen? Manche Jugendliche sind sich schon früh ihrer Eignungen oder Interessen bewusst, andere sind unsicher. Ein Wissenschaftler hat nun erforscht, in wie weit sich Begabungen und Neigungen am Gehirn erkennen lassen.

Begabung zeigt sich im Gehirn
Am Gehirn ist zu erkennen, welche Begabung ein Mensch hat, so die Erkenntnis eines Forschungsprojekts. Foto: © pict rider-stock.adobe.com

Viele junge Menschen wissen nach der Schule nicht, für welchen Berufsweg sie sich entscheiden sollen. Psychologische Tests sollen dabei helfen, ein Persönlichkeitsprofil zu erstellen, das Aussagen zu bestimmten Neigungen und Fähigkeiten macht. Laut einer Untersuchung spiegeln sich die Testergebnisse auch in bestimmten Hirnarealen wider.

Spezielle psychologische Eignungstests zielen darauf ab, das Persönlichkeitsprofil von Jugendlichen zu erfassen, um daraus objektive Empfehlungen für den Berufsweg abzuleiten. Der Hirnforscher Christoph Krick von der Klinik für Neuroradiologie am Universitätsklinikum Saarbrücken hat nun untersucht, ob es einen messbaren Zusammenhang zwischen solchen Testergebnissen und den für die jeweiligen Begabungen „zuständigen“ Hirnregionen gibt.

Dafür hat er den Situativen Interessenstest (SIT) des österreichischen Psychologen Werner Stangl herangezogen. Der Test klassifiziert die Menschen in sechs Bereiche: realistisch, intellektuell, künstlerisch, sozial, unternehmerisch und konventionell. Je nachdem, welche Bereiche im Testergebnis dominieren, eignet sich ein Teilnehmer besonders für bestimmte Berufe, etwa für den des Ingenieurs, Krankenpflegers oder Grafikers.

Ergebnisse psychologischer Tests korrelieren mit der Hirnanatomie

Krick führte die Forschungsarbeit gemeinsam mit Stefan Gurres durch, Lehrer an der Ignaz-Roth-Schule in Zweibrücken. Nachdem 104 Schülerinnen und Schüler der berufsbildenden Schule den SIT gemacht hatten, wurden sie im Magnetresonanztomographen (MRT) untersucht. Dabei ergab sich eine deutliche Korrelation zwischen den Testergebnissen und den anatomischen Eigenheiten der Gehirne der Schüler. Wenn die Schüler laut Test zu bestimmten Interessensgruppen gehörten oder einen bestimmten Berufswunsch angaben, waren auch die zu den jeweils berufstypischen Aufgaben passenden Gehirnregionen anatomisch stärker ausgeprägt. 

Neigung oder Ausprägung der Gehirnregion: Was war zuerst da?

Für den Versuch wurde unter anderem die Verteilung und Dichte der Grauen Substanz im Gehirn bestimmt. Je mehr Graue Substanz und je dichter sie in einem entsprechenden Areal sei, umso stärker sei die intellektuelle oder berufliche Neigung, die im Zusammenhang mit diesem bestimmten Hirnareal steht, so der Bericht. Eine Beobachtung sei zum Beispiel gewesen, dass eine höhere Dichte an Grauer Substanz um die Hirnregion Sulcus temporalis superior mit einer stärkeren Neigung für soziale Interessen einhergeht, so Stefan Gurres.

Wir können tatsächlich im Magnetresonanztomographen sehen, was jemandem liegt,

sagt Christoph Krick.

Bedeutet das, dass man nun allen Jugendlichen bei der Berufsberatung ins Hirn schauen sollte? Gurres warnt davor. Er und Krick weisen darauf hin, dass es sich bei den MRTs um Momentaufnahmen handelt. Die Interessenslagen der Menschen veränderten sich möglicherweise noch und viel Übung – etwa bei einem Musiker – beeinflusse Hirnregionen ebenfalls. Außerdem wisse man nicht, was zuerst da war: eine bestimmte Neigung oder die Ausprägung der Hirnregion, die wichtig dafür ist, um diese Neigung erfolgreich umzusetzen.

Nach Ansicht des Neuroradiologen Krick dürften die gewonnenen Erkenntnisse aber zumindest ein wichtiges Argument bei familiären Diskussionen liefern: Wenn Jugendliche dezidiert einen bestimmten Berufswunsch äußerten, scheine das mehr zu sein als eine Laune. Die Schlussfolgerung wäre, dass Eltern ihren Kindern ruhig vertrauen sollten, auch wenn deren Wünsche nicht immer übereinstimmen. Indirekt bestätigt die Forschungsarbeit auch, dass zumindest der zugrunde gelegte Persönlichkeitstest aussagekräftig zu sein scheint, da er mit den Ergebnissen der MRT-Untersuchungen übereinstimmt und folglich für Schüler als Orientierungshilfe oder Bestätigung vorhandener Berufsziele unterstützend wirken könnte.

Die Ergebnisse der Forschungsarbeit wurden > hier in englischer Sprache veröffentlicht. 

Ute Wolter ist freie Mitarbeiterin der Personalwirtschaft in Freiburg und verfasst regelmäßig News, Artikel und Interviews für die Webseite.