Frage an die HR-Werkstatt: Mein Auszubildender kommt ständig zu spät in den Betrieb. Was kann ich dagegen tun und ihm klarmachen, dass es wichtig ist, pünktlich zu erscheinen? Es antwortet: Michael Kluge, Ausbildungs- und Leadership-Experte
Vorab: Die Antwort auf die Frage, wann welche der nachfolgenden Vorgehensweisen angebracht ist, lässt sich zumeist ableiten aus der Mischung von persönlichen Verhaltensweisen des Auszubildenden und strukturellen Besonderheiten des Unternehmens.
1. Tipp: Nehmen Sie die Unpünktlichkeit Ihres Auszubildenden nicht persönlich!
Der erste Tipp ist zugleich der wichtigste: Denn wer als Ausbildungsverantwortlicher die Verhaltensweisen eines Auszubildenden persönlich nimmt, läuft Gefahr, den Konflikt von der Sachebene auf die Beziehungsebene zu verschieben. Neben der weiterhin bestehenden Unpünktlichkeit droht die an sich notwendige Auseinandersetzung in persönlichen Kränkungen unterzugehen und zieht möglicherweise eine schwere Belastung der Ausbildungsbeziehung nach sich. Deshalb sind Sie gut beraten, die Unpünktlichkeit Ihres Auszubildenden als das wahrzunehmen, was sie in den meisten Fällen ist: ein Mangel an Kenntnissen, Möglichkeiten und/oder Einsichten.
2. Tipp: Erläutern Sie die Arbeits- und Pausenzeiten Ihrer Abteilung/en!
Eine innerbetriebliche Berufsausbildung ist oft so geplant, dass ein Auszubildender verschiedene Fachabteilungen nacheinander durchlaufen muss. Fachabteilungen unterscheiden sich jedoch nicht nur durch ihre Arbeitsinhalte, sondern auch durch ihre Geflogenheiten. Dazu zählen auch mögliche Abweichungen von den allgemein üblichen Arbeits- und Pausenzeiten des Unternehmens. Grundsätzlich wird es als Teamfähigkeit und Flexibilität eines Auszubildenden gesehen, wenn dieser sich den abteilungsspezifischen Eigenheiten anpasst – vorausgesetzt, dass er diese kennt. Daraus ergibt sich eine Informationspflicht gegenüber dem Auszubildenden. Denn zum einen können Sie nicht kritisieren, was Sie zuvor niemals eindeutig kommuniziert haben. Und zum anderen sind Auszubildende dankbar dafür, wenn man sie davor schützt, aus Unkenntnis heraus bei anderen anzuecken.
Also: Nennen Sie gleich zu Beginn des neuen Ausbildungsabschnitts die Arbeits- und Pausenzeiten, die in Ihrer Abteilung gelten. Erläutern Sie dabei auch die Hintergründe dieser Regelung, um die Einsicht des Auszubildenden für die Arbeitszeiten zu fördern, zum Beispiel: Im gewerblich-technischen Bereich sind Arbeitszeiten oft von Produktionsabläufen abhängig. Oder im kaufmännischen Bereich kann es zu einer Einschränkung der Gleitzeit kommen, weil bestimmte Arbeitsvorgänge nur zu Beginn eines Arbeitstages durchgeführt werden und der Auszubildende so wichtige Informationen verpassen würde, wenn er auf die Einhaltung der Gleitzeit bestehen würde.
Wenn Sie schon mal dabei sind, die Regeln für ein erfolgreiches Miteinander zu besprechen, sollten Sie auch unbedingt erwähnen, mit welchen Konsequenzen bei Regelverstößen zu rechnen ist. Im Fußballsport wäre beispielsweise die Rede davon, dass nach zwei gelben Karten ein Platzverweis ausgesprochen wird. Und alle Beteiligten wüssten ganz genau, was sie tunlichst zu vermeiden hätten, um erst gar nicht in eine derartige Situation zu geraten. Auf der Ausbilder-Auszubildenden-Ebene können Sie diese „gelben Karten“ für ein „Foulspiel“ individuell festlegen. Im Idealfall werden dabei auch die Ideen Ihres Auszubildenden miteinbezogen. Das hat den Vorteil, dass nur Konsequenzen erfolgen, denen er selbst zugestimmt hat. Wenn aber all diese „Lass das!“-Warnungen kein pünktliches Erscheinen bewirken, sind Sie auf die Unterstützung Ihres Ausbildungs-, Personal- oder Abteilungsleiters angewiesen. Auf dieser Ebene kann dann überlegt werden, ob auch arbeitsrechtliche Sanktionen in Betracht gezogen werden, zum Beispiel eine Ermahnung oder Abmahnung.
3. Tipp: Prüfen Sie, ob in jedem Fall die Einhaltung der Pünktlichkeit notwendig ist!
Angenommen, Ihr Auszubildender ist darauf angewiesen, die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen. Leider sind die Fahrpläne so gestaltet, dass Ihr Auszubildender entweder knapp eine Stunde zu früh im Unternehmen erscheint oder stets zehn bis dreißig Minuten zu spät. Unter diesen Umständen wäre zu überlegen, ob Sie pro Tag ein gewisses, für beide Seiten definiertes maximales Zuspätkommen akzeptieren können – eine Verspätung, nach der Sie die Uhr stellen können, vorausgesetzt, der ÖPNV hält seine Fahrpläne ein.
Diese unbürokratische Lösungsmöglichkeit dürfte dort an Grenzen stoßen, wo betriebliche Strukturen und Abläufe eine feste Startzeit vorsehen, zum Beispiel in der Pflege bei der Übergabe zwischen zwei Schichten oder im Handwerk, wenn Gesellen und Auszubildende gemeinsam um 7 Uhr von der Werkstatt zur Baustelle fahren sollen. Unter diesen Umständen darf von einem Auszubildenden auch verlangt werden, dass er gegebenenfalls eine knappe Stunde zu früh erscheint, wenn der ÖPNV es nicht anders zulässt. Besser wäre es jedoch, wenn auch in einer solchen Situation nach einer anderen Lösung gemeinsam gesucht wird, zum Beispiel das kollegiale Angebot einer Mitfahrgelegenheit. Diese Vorgehensweise dürfte nicht nur im Interesse des Auszubildenden liegen, da sie allen Beteiligten viel Ärger, Zeit und Energie erspart.
4. Tipp: Nehmen Sie bewusst Ihre Vorbildfunktion wahr!
Ihr Auszubildender lernt viele Verhaltensweisen, indem er Sie (unbewusst) nachahmt – unabhängig davon, ob Sie das wollen oder nicht: Sie sind sein Vorbild. Ihr Verhalten beeinflusst Ihren Auszubildenden weitaus mehr als Ihre Worte. Auszubildende haben ein feines Gespür für hierbei auftretende Widersprüche. Achten Sie deshalb darauf, dass Sie tun, was Sie sagen, und sagen, was Sie tun.
Nehmen Sie unerwünschte Verhaltensweisen, wie zum Beispiel Unpünktlichkeit zum Anlass, das eigene Handeln kritisch zu betrachten? Fragen Sie sich: „Verhalte ich mich möglicherweise genauso wie mein Auszubildender?“ Ein Ausbilder, der Termine mit seinem Azubi nicht einhält, wirkt unglaubwürdig, wenn er bei anderer Gelegenheit auf dessen Pünktlichkeit pocht. Wenn Sie als Ausbilder jedoch Pünktlichkeit vorleben, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass auch Ihr Auszubildender pünktlich ist.
5. Tipp: Prüfen Sie, ob es Gründe für das Zuspätkommen gibt, die nicht im Auszubildenden begründet sind!
Wenn man den Beschreibungen der Generation Z glauben darf, dann legen junge Menschen neben der anschaulichen Vermittlung zeitgemäßer Ausbildungsinhalte vor allem großen Wert darauf, sich als Person anerkannt und wertgeschätzt zu fühlen. Daher haben sie ein feines Gespür dafür, ob man sich für sie interessiert oder nur als Arbeitskraft sieht. Wenn mehrere dieser Erwartungen nicht erfüllt werden, können die Frustgefühle zu einer nachlassenden Motivation führen und sich in unerwünschten Verhaltensweisen wie beispielsweise Unpünktlichkeit offenbaren. In dieser Situation führen arbeitsrechtliche Sanktionen nicht weiter, im Gegenteil: Sie verschärfen den Konflikt, weil der Auszubildenden sich in seiner Wahrnehmung bestätigt sieht, dass im Unternehmen nur die Performance zählt, nicht der Mensch.
Also: Prüfen Sie, ob Ihr Ausbildungssystem die inhaltlichen, methodischen, personellen und strukturellen Voraussetzungen für einen erfolgreichen Verlauf erfüllt. Wenn Sie dabei feststellen, dass das Ausbildungswissen veraltet, die Technik rückständig, die Betreuung mangelhaft und/oder die Ausbildung schlecht organisiert ist, dann nehmen Sie die Bilanz zum Anlass, Ihr Ausbildungssystem positiv weiterzuentwickeln. Dabei kann es hilfreich sein, sich mit Ausbildern und Ausbildungsleitern aus anderen Lehrbetrieben auszutauschen und/oder die Expertise der zuständigen Kammer einzuholen.
✓ Werkstatt-Check: So kommen Sie dem Problem Unpünktlichkeit bei |
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Nehmen Sie die Unpünktlichkeit Ihres Azubis nicht persönlich – so verhindern Sie, dass der Konflikt vom Sachlichen ins Persönliche eskaliert. |
Erläutern Sie die Arbeits- und Pausenzeiten Ihrer Abteilung/en: Nur wenn der Azubi weiß, wie welcher Bereich Anwesenheits- und Pausenzeiten regelt, kann er sich korrekt verhalten. |
Prüfen Sie, ob in jedem Fall die Einhaltung der Pünktlichkeit nötig ist: Muss der Auszubildende wirklich zu der Zeit erscheinen, die Sie vorgeben oder ist eine gewisse Toleranz möglich? Vielleicht liegt es an ungünstigen Fahrplänen. Wenn es nötig ist, erklären Sie dies und verlangen Sie ruhig früheres Erscheinen. |
Nehmen Sie bewusst Ihre Vorbildfunktion wahr! Verhalten auch Sie und Kollegen sich so, wie es vom Auszubildenden verlangt wird? Seien Sie ein gutes Vorbild. |
Gibt es Gründe für das Zuspätkommen, die nicht in der Person des Azubis liegen? Ist Ihr Ausbildungswissen up to date? Oder ist die Ausbildung schlecht organisiert, unattraktiv, altbacken? All das kann zu Demotivation führen. |
Autor
Michael Kluge ist Autor, Coach und Trainer für Personalverantwortliche und Experte in den Themen Ausbildung, Coaching und Führungswissen. Er ist außerdem Autor des Personalwirtschaft Buches „Der Ausbilder als Coach“.
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