Weiterbildung der Beschäftigten ist angesichts des rasanten technischen Fortschritts für Unternehmen heute überlebenswichtig – was den meisten Arbeitgebern und Beschäftigten auch bewusst ist. Trotzdem nehmen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes nur acht Prozent der 25- bis 64-Jährigen in Deutschland an Weiterbildungsmaßnahmen teil und investieren im Schnitt jährlich 28 Stunden in (interne) Lehrgänge, Seminare und Kurse.
Für Personalabteilungen resultieren daraus zwei grundsätzliche Herausforderungen: Wie lässt sich das Personal zum eigenverantwortlichen Lernen motivieren? Und wie geht man bei der Weiterbildung strategisch und systematisch vor und passt Angebote ständig an die Bedarfe an? Für Nagarro ist gerade der zweite Anspruch noch einmal besonders komplex, denn das Unternehmen musste die Personalentwicklung am deutschen Standort in den vergangenen Jahren immer wieder an veränderte Rahmenbedingungen angleichen: 2016 wurde die SAP Business Unit – damals noch als Allgeier Enterprise Services – mit 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegründet. Der Fokus lag auf der ganzheitlichen Beratung mittelständischer Unternehmen bei der digitalen Transformation mit SAP.
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Nagarro
Nagarro ist ein international agierendes Unternehmen im Bereich Digital Engineering mit rund 18.000 Mitarbeitenden in 38 Ländern. In Deutschland arbeiten etwa 800 Beschäftigte. Das Unternehmen ist vornehmlich auf Full-Service IT-Dienstleistungen im SAP-Umfeld spezialisiert. Nagarro hat eine wechselvolle Geschichte, zuletzt wurde es 2020 von der Allgeier SE abgespalten, das Unternehmen ist im Tec-Dax gelistet, der Hauptsitz ist München.
Kleiner Einstieg
Viel brauchte es in der Start-up-Phase nicht, um sich am Markt zu etablieren: Alle Prozesse, darunter auch die Personalentwicklung, wurden um das Beratungsgeschäft herum „auf der grünen Wiese“ aufgesetzt. Der Bereich wurde von zwei Mitarbeiterinnen aus der Personalabteilung parallel zum klassischen Tagesgeschäft aufgebaut. Startpunkt war eine Bestandsaufnahme: Welche Mitarbeitenden gibt es im Unternehmen, welche Rollen haben sie und wie sollen sie entwickelt werden. Anschließend wurde zur Orientierung für jede Rolle ein Karrierepfad aufgestellt – sehr rudimentär und hands on.
Im nächsten Schritt überlegte das Team, welche Level es im Unternehmen gibt – und welche es zukünftig geben soll –, welche Anforderungen und Kompetenzen damit verbunden sind, und wie ausgeprägt diese im jeweiligen Level sein müssen. Daraus ergaben sich wiederum Beförderungskriterien. Eine erste Maßnahme war das „Young Talent-Programm“ für junge Talente, die an ihren Stärken und Schwächen arbeiten oder sich zu Führungskräften weiterentwickeln wollten. Dabei wurde sehr schnell klar, dass sich die Zielgruppen zu stark vermischten, weshalb ein weiteres Programm etabliert werden musste, um besser differenzieren zu können. Es folgte das „Own it-Programm“ gezielt für angehende Führungskräfte.
Personalentwicklungshandbuch als Basis
Das Unternehmen wuchs, ging in einem neuen Konzern auf, und die Rollen, Level und Aufgaben wurden kleinteiliger. Folglich mussten die Programme weiter abgestuft werden. Für die Konzeption fand sich ein Team aus People Development, Management und Mitarbeitenden an der Schnittstelle zwischen HR und den Fachbereichen zusammen. Die einen brachten Vorgehen, Prozesswissen und Methodiken ein, die anderen Erfahrungen aus dem Arbeitsalltag von Beratern. Gemeinsam wurden Anforderungen überprüft und sinnvolle Entwicklungspotenziale identifiziert. In diesem Zuge setzten wir uns noch einmal stark mit den bestehenden Rollen und Kompetenzen auseinander. Orientierungspunkte waren das Wertesystem und die globale Ausrichtung des Unternehmens. Vieles konnte beibehalten werden, einiges musste aber hinzugefügt oder stärker abgebildet werden – so sollte beispielsweise das agile, kreative und eigenverantwortliche Arbeiten weiter gefördert werden.
Das Ergebnis dieses eineinhalbjährigen Prozesses ist ein Personalentwicklungshandbuch, in dem alles definiert und beschrieben ist, um im Unternehmen die nächsten Schritte zu nehmen und befördert zu werden. Anhand des Handbuchs überarbeitete das Team gemeinsam mit externen Weiterbildungsakademien nochmals die Programme und setzte neue Fokusthemen. Die drei Programme „Young Talents“, „New Leaders“ und „Experienced Leaders“ sprechen unterschiedliche Zielgruppen an und bauen aufeinander auf. Ergänzt werden die Programme um Lernressourcen, Schulungen, Masterclasses und Mentorings, die allen Mitarbeitenden digital über die eigene Nagarro University zur Verfügung stehen.
Einstiegsprogramm für junge Talente
Den Einstieg ins Corporate Learning bildet das „Young Talent-Programm“: Es soll junge Talente fördern und auf den nächsten Karriereschritt vorbereiten. Bei der Überarbeitung wurde das Programm von zwei Jahren auf sechs Monate reduziert und damit realistisch an freie Kapazitäten für Weiterbildung im Arbeitsalltag angepasst. Außerdem wurde es inhaltlich besser auf die Zielgruppe abgestimmt: junge Menschen aller Abteilungen mit ein bis drei Jahren Berufserfahrung, die mitunter noch nicht genau wissen, wo sie beruflich stehen und wohin sie sich weiterentwickeln wollen. Das Programm dreht sich daher stark um die persönliche Entwicklung im Sinne der Unternehmensziele. Als Basis dient der Gallup Strength Finder.
Es sind zwölf Plätze pro Jahr frei und um teilzunehmen, muss man sich innerhalb einer zweimonatigen Frist aktiv bewerben. Die Bewerbung setzt sich aus Leitfragen zu Werdegang, Erfahrung, Kompetenzen, Erfolgen, persönlicher Zukunftsvision und den Unternehmenswerten sowie einem Empfehlungsschreiben einer ausgewählten Promoterin oder eines Promoters zusammen – das ist bewusst nicht die eigene Führungskraft. Wer dabei sein darf, entscheidet ein unabhängiges Gremium, das aus Mitarbeitenden verschiedener Legal Entities bei Nagarro besteht. Für die erste Kohorte gab es mehr als 20 Bewerbungen. Durch das Verfahren wurde sichergestellt, dass besonders motivierte und eigenverantwortliche Mitarbeitende teilnehmen und das Geld sozusagen an der richtigen Stelle investiert wurde. Die Kosten für Navarro für einen einzelnen Teilnehmenden des Young Talent Programms liegen im fünfstelligen Bereich.
Unterteilt ist das Programm in eine Kick-off-Veranstaltung, vier Blöcke à zwei Module sowie eine Abschlusspräsentation. Die Blöcke lauten 1) Werte und Stärken, 2) Kommunikation, Feedback und Konflikt, 3) Change Management und Intrapreneurship sowie 4) Selbstmanagement. Jeder Block dauert zwei Tage und ist an echten Fallbeispielen ausgerichtet. Dazu gibt es Skripte und Fotoprotokolle zum Download. Zwischen den Blöcken liegen vier bis sechs Wochen mit virtuellen Reflexionsstunden und Hausaufgaben gemeinsam mit den Promotern, um den Transfer in den Arbeitsalltag sicherzustellen. Nach jedem Modul wird zudem Feedback von den Teilnehmenden per Fragebogen eingeholt.
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Die Programme
Young Talents Programm: 6 Monate, 4 Blöcke, 12 Teilnehmende nach Bewerbungsverfahren. Zielgruppe sind junge Talente, nach abgeschlossenem Trainee und einem Jahr im Unternehmen. Fokus liegt auf persönlicher Entwicklung, Stärken und Soft Skills.
New Leaders Programm: 12 Monate, 5 Blöcke, 12 Teilnehmende nach Bewerbungsverfahren. Zielgruppe sind angehende Führungskräfte und Projektmanager. Das Programm bereitet auf Leitungsfunktionen vor, konzipiert mit Training-on-the-Job-Elementen.
Experienced Leaders Programm (in Vorbereitung): 12 Monate, 4 Blöcke, 12 Teilnehmende. Teilnehmer werden benannt. Zielgruppe sind Mitarbeitende mit mehr als fünf Jahren reiner Führungserfahrung. Schwerpunkte sind strategische und globale Rollen und Aufgaben, Netzwerken wird gefördert.
Enge Begleitung durch People Development
Durchgeführt wird das Programm von Trainerinnen und Trainern der Partnerakademie in Präsenz. People Development begleitet und unterstützt die Teilnehmenden in jedem Modul. Damit verfolgt das Team zwei wesentliche Ziele: Zum einen Qualitätskontrolle. So soll gewährleistet werden, dass in einer heterogenen Gruppe jeder individuell nach seinem Bedürfnis geschult wird. Zum anderen nutzt People Development die Termine zum Netzwerken, um so im Unternehmen sichtbarer zu sein und als Ansprechpartner für den Karriereweg wahrgenommen zu werden.
Zweite Stufe für angehende Führungskräfte
Die nächste Stufe nach dem Young Talent Programm ist das Angebot „New Leaders“. Es richtet sich an angehende Führungskräfte und Projektmanager und beinhaltet Leadership Tools, Kommunikationsskills, Teamentwicklung und Change-Management. Diese beiden Stufen fanden bereits 2018 erstmals statt.
Neu ist dagegen die dritte Stufe, das Experienced Leaders Programm. Es wird derzeit gemeinsam mit der Partnerakademie und der Geschäftsführung erarbeitet. Geplanter Start ist November 2025. Das Programm soll erfahrene Führungskräfte auf strategische, globale Aufgaben – auch im Bereich Geschäftsentwicklung – vorbereiten. Im Herbst soll es an den Start gehen. In Zukunft soll der Fokus darauf liegen, die Programme zu etablieren, zu optimieren und auch auf Englisch anzubieten. Schließlich besteht ein erheblicher Bedarf, das traditionelle Mittelstandsdenken auch im Bereich der Weiterbildung hinter sich zu lassen und sich stärker an der globalen Organisationsentwicklung des Konzerns zu orientieren.
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Die wichtigsten Erkenntnisse von People Development:
- Grundvoraussetzung ist das Commitment der Geschäftsführung. Nur wenn diese Wert auf die Personalentwicklung im Unternehmen legt und die Abteilung mit Gestaltungsfreiraum und Ressourcen ausstattet, kann wirklich etwas bewegt werden. Gleiches gilt für Führungskräfte und Teammitglieder – Weiterbildung sollte grundsätzlich gefördert und unterstützt werden. Dies ist eine Frage der Kultur.
- Orientierung bei der Konzeptionierung von Weiterbildungsprogrammen und -inhalten bieten Unternehmenswerte.
- Weiterbildung muss immer individuell gestaltet sein, auch wenn Teilnehmergruppen heterogen zusammengesetzt sind – nur dann hat sie einen persönlichen Mehrwert.
- People Development sollte die Programme eng begleiten. Geschieht dies nicht, besteht die Gefahr, dass die Qualität leidet.
- Es ist wichtig, regelmäßig Feedback von den Teilnehmenden einzuholen und die Programme zu optimieren.
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