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Siemens schafft globales Grading ab

Um schneller und flexibler auf Veränderungen in Geschäften und Märkten reagieren zu können, wird der Industriekonzern Siemens zurzeit grundlegend umgebaut. Die Basis dafür bildet das Strategieprogramm „Vision 2020+“. Auch die Führungskultur muss sich dementsprechend ändern: Entscheidungswege und Strukturen müssen dezentraler werden. Als Teil dieser Transformation hat sich das Unternehmen bereits vor längerer Zeit auch vom globalen Gradingsystem für das Senior Management verabschiedet und eine neue Führungskultur mit flacheren Hierarchien eingeführt.

Schon seit dem Herbst 2017 vollzieht Siemens in der Stellenarchitektur des Senior Managements einen radikalen Strukturwandel. Die Digitalisierung in der Arbeitswelt mit allen Umbrüchen und einer extremen Beschleunigung von Prozessen und Entwicklungszyklen veranlasste das Unternehmen zu agieren: „In der Vergangenheit haben wir mit einem weltweit einheitlichen analytischen Bewertungssystem und einem globalen Grading gearbeitet“, erklärt Dr. Heinrich Reiter, Global Head of Compensation & Benefits bei Siemens. „Dies war nicht mehr zeitgemäß und musste daher den äußeren Bedingungen angepasst werden.“

Verändernde Rahmenbedingungen erfordern neuen Ansatz beim Gradingsystem

Jahrelang wiesen die Global Position Levels (GPLs) den rund 4.500 Senior Managern im Konzern vier verschiedene Hierarchiestufen zu. An das Gradingsystem für die globalen Führungskräfte dockte bis 2017 ein klassisches Vergütungsmodell an. Es umfasste Gehaltsbänder, feste Jahresziele für den STI (kurzfristigen Bonus), Aktienpakete, bAV-Zusagen und weitere Benefits.

Doch die Digitalisierung verwandelt alle Lebens- und Arbeitsbereiche grundlegend, praktisch alle Prozesse vollziehen sich immer schneller und dynamischer, und in Zukunft werden sie noch weiter an Tempo gewinnen. Mit diesem rasanten, tiefgreifenden Wandel und den disruptiven Änderungen kann ein traditionelles, komplexes Gradingsystem nur schwer Schritt halten. „Deshalb sind wir zu der Überzeugung gekommen, dass ein starres, analytisches Einstufungssystem unsere Mitarbeiter und unsere Organisation in der Entwicklung zu sehr einengt und den Bedürfnissen unserer Geschäfte nicht mehr gerecht wird“, erklärt Reiter.

Der Konzern muss kontinuierlich seine Organisation verändern und sie an neue Gegebenheiten anpassen, etwa durch neue Geschäftsmodelle, M & A-Deals oder Umstrukturierungen. Dieser kontinuierliche Wandel führte früher dazu, dass auf allen Ebenen ein unterschiedliches Verständnis von Stellenfunktionen und den damit verbundenen Verantwortlichkeiten vorherrschte. „Mitarbeiter und Führungskräfte sahen sich bei der eigenen beruflichen Entwicklung vorrangig die Stellenbewertung an“, kritisiert Reiter. „Sie beachteten leider nicht immer, welche anderen Kompetenzen die neue Rolle von ihnen verlangte oder wie sie sich in dem anderen Job inhaltlich weiterentwickeln können – unabhängig vom Grading.“ Die Folge: Die Beschäftigten vermieden horizontale Veränderungen hin zu notwendigen, aber vermeintlich schlechter bewerteten Aufgaben.

Die Ursache lag in der viel zu engen und unflexiblen Verknüpfung vom Global Grade mit den Vergütungsbestandteilen, das heißt, je höher eine Funktion innerhalb des Systems eingruppiert war, desto größer war automatisch der Anteil variabler Vergütung und bestimmter Benefits. Darüber hinaus war das globale Gradingsystem mehr und mehr Synonym für internen Status und Hierarchie. Deshalb entwickelten sich Mitarbeiter tendenziell zu wenig nach ihren Kompetenzen und persönlichen Wünschen. Vielmehr passten sie sich ihrem Job an, um zu den gewünschten Ergebnissen im Gradingsystem zu kommen. Auch kam die Compensation & Benefits-Abteilung in der althergebrachten analytischen Welt mit den Bewertungen kaum mehr nach, weil sich Strukturen, Aufgabenbereiche und Mitarbeiter in ihren Rollen so schnell und dynamisch veränderten.

Der Weg zu „level-less“ bei Siemens

2017 beschloss Siemens dann, sich vom globalen Gradingsystem für das Senior Management zu verabschieden. Zwar blieb die globale Stellenarchitektur erhalten, doch sowohl die Bewertung als auch die enge Verknüpfung mit Vergütungsbestandteilen wurden herausgenommen. Einen solchen Schritt hatte zuvor noch kein DAX-30-Konzern gewagt. Siemens brauchte ein flexibles System – eines, das auch zu kleinen, agilen Start-ups passen würde. Doch wie kommt Siemens im Einzelfall zu einer angemessenen Vergütung? „Wir nennen das Market Intelligence“, so Reiter. „Unsere Aufgabe ist es, der Organisation zu jeder Zeit aktuelle und geeignete Informationen zur Verfügung zu stellen, damit eine individuell sinnvolle Gehaltsentscheidung für jeden Senior Manager ermöglicht wird.“

Bei jeder Entscheidung über die Vergütung eines Managers schauen sich die CB-Verantwortlichen die Funktion, das Profil und die Jobfamilie an, vergleichen diese mit den Vergütungsdaten aus dem eigenen Unternehmen sowie dem Markt und sammeln die Daten in einem zentral verfügbaren IT-Tool. „Statt mit globalen Dienstgraden und starren Gehaltsbändern arbeiten wir nun mit fallbezogenen Datenanalysen, die wir aus einem globalen Market-Intelligence-Datenpool speisen“, unterstreicht Reiter. „So kommen wir jeweils zu einem angemessenen Vergütungsvergleich für die einzelnen Jobs und schaffen dadurch mehr Transparenz und datengestützte, objektive Beratung für die Führungskräfte und letztlich auch für die Mitarbeiter. Wir nennen das „smarter insights – better decisions.“

Analog dazu hat der CB-Bereich die notwendigen Entscheidungsspielräume in der Vergütung geschaffen. „Diese Spielräume werden sehr gut angenommen, und seitdem sind weder unsere Gehälter inflationär gestiegen, noch sind unsere Führungskräfte mit dem neuen Ansatz unzufrieden“, erklärt Reiter.

Ausblick

Die Abschaffung der globalen Dienstgrade hat Siemens vor mehrere Herausforderungen gestellt. Nicht zuletzt bedeutete dies einen fundamentalen Kulturwandel für die Organisation. Mit dem Wegfall der alten Gradingfunktion und den damit verbundenen starren Regeln eröffneten sich nun größere, anfangs ungewohnte Entscheidungsräume. Auch musste sich HR noch mehr als vorher an externen Orientierungspunkten wie beispielsweise Marktdaten zur Vergütung ausrichten.

Für Siemens liegen die Vorteile des neuen Systems auf der Hand:

  • Das neue Modell ist flexibler und einfacher. Es wird professionelle und IT-gestützte Market Intelligence als Basis für Gehaltsentscheidungen eingesetzt.
  • Es gibt beim STI kein „One size fits all” mehr, so dass sich die variable Vergütung näher am Bedarf im Geschäft ausrichten lässt.
  • Die Verteilung von aktienbasierter Vergütung erfolgt flexibler.
  • Lokale Vergütungs- und Benefit-Programme lassen sich leichter modifizieren.

Dem globalen Grading von einst weint bei Siemens niemand mehr eine Träne nach. Stattdessen wird die neu gewonnene Flexibilität immer mehr geschätzt.