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Weiterbildung: „Learning Professionals müssen zu Kuratoren werden“

Foto: privat
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Personalwirtschaft: Herr Pape, aus welchem Anliegen heraus wurde die Corporate Learning Community gegründet?

Karlheinz Pape: Wir sind der Meinung, dass Lernen ganz anders stattfinden sollte als es heute in der Unternehmenswelt der Fall ist. Selbstbestimmter und weniger starr. Daher wollen wir darauf hinwirken, dass sich die Art des Lernens in den Firmen in dieser Richtung ändert. Unsere Netzwerkmitglieder, die ja selbst Lernende sind, erfahren bei uns, dass es auch möglich ist, fernab der klassischen Trainingskonstellation zu lernen. Denn unsere Lernveranstaltungen laufen ohne Lehrende ab, der Austausch untereinander steht im Vordergrund. So machen die Teilnehmenden ihre persönlichen Lernerfahrung und trauen sich letztlich jeweils auch, einen neuen Lernansatz in ihr Unternehmen zu tragen.

Welcher Lernformate bedienen Sie sich in Ihren Veranstaltungen?
Barcamps sind zum Beispiel ein wichtiges Format. Damit sind wir auch gestartet bei unseren Zusammenkünften. Der Vorteil von Barcamps ist, dass man die Expertise des Plenums nutzen kann und keine Referenten einkaufen muss. Nicht zuletzt geht es hier um selbstgesteuertes Lernen, jeder entscheidet für sich selbst, zu welchen Sessions er geht, was er also lernen will.

Nach einem zweitägigen Barcamp mit intensivem Austausch in den einzelnen Sessions sagen die Leute in der Regel, dass sie noch nie so viel gelernt haben wie in den zwei Tagen. Angesichts dessen, dass nichts didaktisch vorbereitet wird, klassische Weiterbildungsveranstaltungen hingegen recht aufwändig in der Vorbereitung sind, sollte das alleine schon nachdenklich machen.

Ihre großen Veranstaltungen führt die CLC als Massive Open Online Course – kurz: MOOC – durch.
Ja, denn als Community haben wir das Lernen in Netzwerken Fokus – so wie wir auch denken, dass es für Mitarbeiter in Zukunft verstärkt darum geht, sich ein Netzwerk aufzubauen mit Leuten, von denen man profitiert und die auch von einem selbst profitieren können. Dafür nutzen wir MOOCs – frei nach dem Motto der MOOC-Pioniere George Siemens und Stephen Downes, die sagen: „Das Wissen ist nicht im Kopf, sondern es ist im Netzwerk, und Lernen ist die Fähigkeit, Bindungen zu knüpfen“. Für uns heißt das wiederum: Wenn das Wissen im Netzwerk steckt, brauchen wir es nicht aufzubereiten. Vielmehr ist gefragt, den Rahmen dafür zu setzen, dass die Teilnehmenden sich austauschen. Das geschieht, indem jeweils ein Unternehmen in den MOOC-Camps vorstellt, woran es arbeitet, wo es hinwill und wo es aktuell steht und wo es stockt. In der Regel entwickelt sich daraus eine Diskussion, bei der alle gleichermaßen lernen.

Die CLC hat eine Vision für Corporate Learning entwickelt. Was muss sich dieser zufolge konkret verändern?
Zum einen: Wir müssen weg von Lernen auf Vorrat hin zum anlassbezogenen Lernen kommen. Lernen wird immer noch als ein zu separierter Vorgang behandelt: Zum Lernen geht man ins Seminar. Dabei ist Lernen doch etwas, was in die Arbeit gehört. Im Arbeitsprozess sollten daher Zeit und Gelegenheit fürs Lernen gegeben sein. Damit wird auch der Antrieb fürs Lernen ein intrinsischer: Wenn ich weiß, dass ein bestimmtes Projekt ansteht, werde ich mich schnell bemühen, mir alles das drauf zu schaffen, was ich brauche, um das Projekt angehen zu können.
Zum anderen: Seminare treffen mit einer Teilnehmerzahl von bis zu 20 oder auch mehr Personen kaum die Bedürfnisse der einzelnen Teilnehmenden. In der Regel ist deren Vorwissen nicht bekannt, so weiß man auch nicht, wo der Einzelne hinwill, was er braucht und wo man ansetzen muss. Dennoch gibt es einen vorgegebenen Lehrplan. Das ist alles andere als wirtschaftlich – wenn wir 30 Prozent des Bedarfs befriedigen, ist das viel – und schon gar nicht motivierend für die Lernenden. Statt Seminare zu verordnen, sollten die Betriebe selbstgesteuertes Lernen fördern – mit dem Ziel, dass die Mitarbeiter von sich aus Hilfe in Anspruch nehmen, wenn sie bei einem Thema beziehungsweise einer Aufgabe nicht weiterkommen. Dass sie zum Beispiel Kollegen befragen, die in dem Thema firm sind, oder dass sie sich eine Community zum Thema suchen beziehungsweise aufbauen.

Welche Rolle nehmen die Learning Professionals dann ein?
Ihre Aufgabe wäre es, Hilfestellungen zu geben, indem sie etwa auf mögliche Wissensquellen für das Thema hinweisen. Hierzu müssen sie quasi zum Kurator der riesigen Menge an aufbereitetem Material werden, die es zu dem Thema gibt. Das heißt: Die zukünftige Rolle der Learning Professionals liegt darin, zu recherchieren, wer was zu einem Thema gut aufbereitet hat.
Auch gilt es für sie, zu erfassen, wie der einzelne Lernende sich in bestimmte Themen einarbeitet, um ihnen à la Amazon Hinweise zu geben, wer sich auf vergleichbarem Weg dem Thema widmet, und auch, wer einen anderen Weg geht. Und schließlich sollten sie dem Lernenden konkrete Angebote machen, wie er sein Lernziel erreichen kann. Dies am besten modularisiert, so dass der Lernende sich die Module heraussuchen kann, die er braucht.
Letztlich bedeutet das natürlich auch ein ganz anderes Geschäftsmodell des Weiterbildungsbereiches. Learning Professionals können keine Teilnehmertage abrechnen, sondern müssen den Produktivitätsfortschritt messen oder ein Maß für die Weiterentwicklung der Mitarbeiter finden.

Stichwort „modularisiertes Lernen“. Ist das nicht schon recht verbreitet in den Unternehmen?
Wir reden da in der Tat viel darüber, aber wirkliches modularisiertes Lernen ist kaum vorhanden. Auch viele E-Learning-Kurse sind nicht modularisiert, der Lernende muss das Programm meist von Anfang bis Ende durchlaufen. Die Idee der Learning Nuggets kommt der Idee vom modularisierten Lernen am nächsten. Sehr verbreitet ist dies aber noch nicht. Die Modularisierung, wie wir sie verstehen, geht im Übrigen über eine inhaltliche Aufteilung der Lerninhalte hinaus. Ziel ist, aus verschiedenen Lernvarianten Angebote machen zu können. Denn während der eine beim Lesen am besten lernt, ist für den nächsten ein Erklär-Video das richtige Angebot. Und dem Dritten muss man vielleicht einen Podcast empfehlen. Wir müssen zu einer Individualisierung von Lernen kommen, bei dem den Lernenden nicht nur die richten Inhalte, sondern auch das jeweils für sie richtige Format angeboten werden.

Das hört sich kostspielig an.
Wenn man alles selbst produziert, ist es sehr teuer. Aber: Zum einen werden so viele Trainings von unglaublich vielen Trainern mehr oder weniger durchschnittlich durchgeführt. Da steckt ja auch viel Vorbereitung drin … Zum anderen gibt es im Netz so viele gute Aufbereitungen, die man nutzen kann. Wichtig ist, dass Personalentwickler und Weiterbildner anfangen, sich damit auseinanderzusetzen.

2020 stand bei der CLC unter dem Thema „Lernräume gestalten“. Nun sind durch Corona bedingt derzeit alle Augen auf digitale Lernräume gerichtet. Wie sind Sie das Thema angegangen?
Wir sind inzwischen zu der Auffassung gekommen, dass die Unterscheidung zwischen Online- und Präsenzlernen gar nicht so wichtig ist. Schließlich geht es immer um die Kommunikation zwischen Menschen. Den Kanal, den man dafür wählt, hängt letztlich von den Bedingungen ab. Und so ist es nicht nötig, bezüglich der Wahl des Lernraums abzuwägen, beziehungsweise die Entscheidung wird automatisch gefällt. Die Pandemie ist dafür ein gutes Beispiel: Da derzeit alles von Corona bestimmt ist, ist es gar keine Frage, dass größere Lernveranstaltungen online stattfinden. Vor der Pandemie war in der Regel die Entfernung ausschlaggebend für den Lernkanal: Mit Kollegen in Übersee tauschte man sich online aus, mit Kollegen im Nachbarbüro persönlich. Aber: Der Austausch ist der gleiche. Aus unserer Sicht ist es daher falsch, immer die Trennung online – offline vorzunehmen.

Welche Erfahrungen haben Sie mit den Online-Veranstaltungen gemacht, die zuerst als Präsenz-Veranstaltungen geplant waren?
Was den Austausch der Teilnehmenden betrifft, war der Unterschied nicht groß. Im Schnitt gab es mehr Vor- als Nachteile. So ermöglichte der Online-Kanal einigen Menschen, die wegen der Anreise und ähnlichem nicht teilnehmen konnten, dabei zu sein: Unser erstes digitale Camp sollte ursprünglich in Präsenz mit 300 Teilnehmenden stattfinden, online hatten wir dann 450 Teilnehmende. Auch haben uns viele rückgemeldet, dass sie das Online-Barcamp als persönlicher empfunden haben als ein Barcamp in Präsenzform.

Das ist allerdings überraschend. Wie ist das zu erklären?
In Online-Barcamp sieht man die Gesichter aller Teilnehmenden samt deren Reaktionen. Bei physischen Barcamps haben Sie im ungünstigsten Fall einen kleinen Raum mit Bestuhlung, und wenn Sie hinten sitzen sehen Sie alle nur von hinten. Sie kriegen also in Präsenzveranstaltungen von den anderen gar nicht so viel mit. Das ist das eine. Zudem: Man ist online durch die Technik mehr gezwungen, zuzuhören. Wenn alle durcheinanderreden, funktioniert es einfach nicht, – also muss man warten, bis der andere ausgeredet hat. Auch der Plausch mit dem Nachbarn fällt weg, man ist schlicht fokussierter.

Welche weiteren Erkenntnisse haben Sie hinsichtlich der Online-Veranstaltungen gewonnen?
Ich habe den Eindruck – und viele bestätigen dies –, dass die Diskussions-Qualität in den Online-Sessions höher ist als in den Präsenz-Sessions. Nicht nur, weil man sich mehr zuhört, die Teilnehmenden haben vor allem mehr Zeit zum Nachdenken. Das hat auch mit der Ruhe der Umgebung zu tun, es gibt keine Ablenkungen von außen, sodass man sich mehr auf die Veranstaltung und den jeweils Sprechenden konzentrieren kann – natürlich vorausgesetzt, man sorgt dafür, dass man während der Teilnahme an der Veranstaltung nicht gestört wird.
Darüber hinaus merken wir jetzt nach den Veranstaltungen, dass die Leute immer selektiver unterwegs sind. Sie scheinen autonomer zu werden und suchen sich das heraus, was sie wirklich interessiert.

Weitere Infos unter: colearn.de