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Azubi-Recruiting: Nicht ohne Mama und Papa

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Wenn es um die Berufswahl geht, stehen Jugendliche heute vor einem riesigen Regal voller Möglichkeiten – von „Zerspanungsmechaniker:in“ bis „Kaufmann/-frau für E-Commerce“. Nur: Wer hilft ihnen dabei, die richtige Entscheidung zu treffen? Genau: die Eltern. Und hier beginnt das Dilemma – oder besser gesagt, das riesige Potenzial für kluges Elternmarketing. 

Rat der Eltern zählt, aktuelles Wissen fehlt 

Studien belegen, dass Eltern die wichtigsten Bezugspersonen bei der Berufswahl sind. Laut einer Umfrage der Bertelsmann Stiftung sagen rund drei Viertel der Jugendlichen, dass sie sich bei der Berufswahl stark an den Empfehlungen ihrer Eltern orientieren. Das Vertrauen ist groß – aber Eltern sind meist keine Experten für Berufsorientierung. 

Denn während Unternehmen längst mit Virtual-Reality-Brillen durch ihre Ausbildungswerkstätten führen, stecken viele Eltern gedanklich noch in den 1990er Jahren. Viele wissen schlicht nicht, welche spannenden Ausbildungsberufe es heute gibt, wie attraktiv die Vergütung bereits im ersten Lehrjahr sein kann – und dass ein Azubi heute nicht mehr mit dem Besen beginnt, sondern mit dem Tablet. 

Eltern lieben Sicherheit – und den Hochschulabschluss 

Ein weiteres Hindernis ist der akademische Tunnelblick. Zahlreiche Eltern drängen ihre Kinder regelrecht in ein Studium – oft aus gut gemeinter Sorge um deren Zukunft. Vor allem Eltern, die selber eine akademische Laufbahn absolviert haben, bevorzugen den Hochschulweg für ihre Kinder, obwohl die duale Ausbildung in vielen Branchen langfristig ebenso gute – wenn nicht bessere – Berufsperspektiven bietet. 

Was Väter und Mütter oft nicht wissen: Eine Ausbildung kann der Start in eine steile Karriere sein. Viele Azubis übernehmen später Führungspositionen, machen den Meister oder Betriebswirt, sind kaum von Arbeitslosigkeit betroffen – und verdienen nicht selten mehr als viele Akademiker. 

Elternmarketing: Das wirkt 

Genau hier setzt das sogenannte Elternmarketing an. Betriebe, die Eltern als Zielgruppe erkennen und ernst nehmen, gewinnen nicht nur die Jugendlichen, sondern auch deren wichtigste Beraterinnen und Berater. Doch wie sieht erfolgreiches Elternmarketing in der Praxis aus? 

1. Schulkooperationen als Basis – aber bitte mit Extra-Sauce 

Der Klassiker: Unternehmen, die mit Schulen zusammenarbeiten, sind im Vorteil. Doch ein Stand auf dem Berufsinformationstag reicht nicht mehr. Eltern erreicht man dort oft nur am Rande – oder gar nicht. Besser sind gezielte Elternabende, bei denen Betriebe direkt mit ihren Ausbildungsangeboten auftreten dürfen. 

Ein gelungenes Beispiel sind die Eltern-Schüler-Abende der Handwerkskammer Stuttgart, bei denen regionale Betriebe nicht nur ihre Berufe vorstellen, sondern auch ehemalige Azubis und deren Eltern berichten lassen. Das wirkt: authentisch, nahbar, glaubwürdig. 

2. Digitale Formate – aus dem Wohnzimmer ins Herz 

Gerade nach Corona haben viele Eltern Webinare und Online-Elternabende für sich entdeckt. Betriebe, die in Zusammenarbeit mit Schulen oder Kammern solche Formate anbieten, können in lockerer Atmosphäre informieren – ganz ohne Anfahrtsstress. Ein Beispiel ist der „digitale Elternabend“ der IHK München, bei dem über 500 Eltern online über Ausbildungsmöglichkeiten in der Region informiert wurden – inklusive Q&A mit Personalverantwortlichen. Noch innovativer sind Podcasts für Eltern, oder Social-Media-Kampagnen auf Plattformen, wo Eltern tatsächlich unterwegs sind: Facebook, Instagram, YouTube oder LinkedIn. 

3. Persönlich, ehrlich, direkt – wie gutes Marketing eben funktioniert 

Eltern sind nicht nur Informationssuchende, sie sind auch emotional. Und sie wollen wissen, ob ihr Kind bei einem Unternehmen gut aufgehoben ist. Wird es respektvoll behandelt? Gibt es echte Perspektiven? Hier sind einige konkrete Beispiele, wie und wo Eltern angesprochen werden können: 

  • Azubi-Stories und Elternstimmen: Wenn Eltern andere Eltern hören, öffnet das Türen. 
  • Social Media (Instagram, Facebook, TikTok): Möglich sind beispielsweise Azubi-Übernahmen („Takeovers“) oder kurze Clips mit Azubis und Eltern samt Zitaten und Fotos. Deren Leitmotiv: „Wir waren skeptisch – heute sind wir stolz!“. Mit Familienfotos und Untertiteln beispielsweise in Türkisch oder Arabisch lassen sich ausgewählte Zielgruppen adressieren und man schafft Vertrauen. 
  • Website oder Karrierebereich: Hier funktionieren Erfahrungsberichte oder Interviews in Textform, in der Rubrik „Eltern erzählen“, vorzugsweise mit echten Stimmen und Bildern. 
  • Print (Flyer & Broschüren): Sie können bei Schulkooperationen, Elternabenden oder auf Ausbildungsmessen verteilt werden, möglich ist auch die Einbindung in Elternbriefe oder Schulzeitungen. 
  • Veranstaltungen: Laden Sie Eltern oder Azubis als Vortragende bei Elternabenden oder Messen ein, die kurze Erfahrungsberichte beisteuern und für Q&A-Runden mit Familien zur Verfügung stehen. 
  • Audio/ Podcast: Produzieren Sie eine Reihe von Mini-Episoden, in denen Azubis und Eltern im Gespräch sind. Das Motto: „Meine Ausbildung, unsere Entscheidung.“ Dabei zählt Authentizität mehr als Perfektion, denn echte Geschichten überzeugen – gerade andere Eltern. 
  • Betriebsbesichtigungen für Familien: Eine Einladung zum „Tag der offenen Werkstatt“ wirkt Wunder. 
  • Infoflyer speziell für Eltern, die klar, kompakt und visuell aufbereitet sind – keine Textwüsten. 
    Unser Tipp dazu: Erstellen Sie mehrsprachige Versionen – etwa auf Türkisch, Arabisch oder Russisch. Viele Eltern mit Migrationsgeschichte verstehen zwar gut Deutsch, fühlen sich aber sicherer, wenn zentrale Informationen auch in ihrer Muttersprache verfügbar sind. Das zeigt Wertschätzung und schafft Vertrauen. Vertrauen ist übrigens ein wahres Zauberwort, denn Betriebe, die authentisch kommunizieren, schaffen eine emotionale Bindung – und gewinnen so oft nicht nur das Kind, sondern gleich die ganze Familie. 

Hier finden Betriebe Unterstützung 

Wer Elternmarketing betreiben will, muss dafür nicht ständig das Rad neu erfinden, es gibt zahlreiche kostenfreie Materialien und Beratungsangebote rund ums Elternmarketing. Hier ein paar zentrale Anlaufstellen: 

  • Netzwerk SCHULEWIRTSCHAFT Deutschland: In Kooperation mit der Bundesagentur für Arbeit wurde ein kompakter Praxisleitfaden veröffentlicht, der zeigt, wie Betriebe Eltern gezielt in die Berufsorientierung einbinden können – mit konkreten Beispielen, Tipps für die Ansprache und Checklisten für Elternabende. Der Leitfaden ist kostenlos verfügbar: Eltern ins Boot holen – Impulse aus der Praxis 

Die besten Influencer haben graue Schläfen 

Viele Betriebe unterschätzen, wie wichtig Eltern als Multiplikatoren sind. In WhatsApp-Gruppen, auf dem Sportplatz, beim Elternabend, überall kommunizieren Eltern ihre Erfahrungen und Einschätzungen. Unternehmen, die Eltern überzeugen, bekommen so Multiplikatoren frei Haus. Besonders wirksam sind Eltern, deren Kinder gute Erfahrungen in der Ausbildung gemacht haben. Sie erzählen das weiter. Halten Sie also den Kontakt mit den Eltern – auch nach Ausbildungsbeginn. Ein netter Brief an die Eltern nach dem ersten Monat wirkt oft mehr als jede Imagebroschüre. 

Vielfalt zeigen – und auch mal mit Klischees brechen 

Eltern denken oft in überholten Berufsbildern und haben veraltete Vorstellungen. Ein paar Beispiele: Pflege? Zu anstrengend. Handwerk? Zu unsicher. IT? Nur was für Nerds. An diesen Stellen braucht es Aufklärung mit Charme. Wie wäre es mit einem Elternabend unter dem Motto: „Ihr Kind, der IT-Security-Held von morgen“ oder „Mit dem Schraubenschlüssel zum Chef – Handwerkskarrieren heute“? Humor, Überraschung und neue Perspektiven helfen, alte Denkmuster aufzubrechen. 

Ein wichtiger Aspekt in Sachen Vielfalt ist der Zugang zu Familien mit Migrationsgeschichte: In vielen dieser Familien fehlt oft detailliertes Wissen über das deutsche Bildungssystem und das Vertrauen in die duale Ausbildung. Hier helfen niedrigschwellige, kultursensible Angebote – wie etwa Elterncafés speziell für türkische, arabische oder osteuropäische Familien. In vertrauter Runde, teils mit Sprachmittlern, können Fragen geklärt, Vorurteile abgebaut und Perspektiven aufgezeigt werden. Einige Schulen und Kammern arbeiten hier erfolgreich mit interkulturellen Bildungslotsen oder Migrantenorganisationen zusammen. Denn wer Eltern erreicht, die sich im System nicht sicher fühlen, öffnet auch für deren Kinder neue Türen. 

Eltern haben keine Nebenrolle. Sie sind Hauptdarsteller 

Betriebe, die Eltern ins Boot holen, erweitern ihren Einfluss enorm. Wer die Entscheider hinter den Entscheidern erreicht, verbessert nicht nur die Chancen auf passende Azubis – sondern auch auf eine langfristige Bindung. In Zeiten des Fachkräftemangels darf Elternarbeit kein „Nice-to-have“ mehr sein. Sie ist ein Muss – am besten kreativ, digital, emotional und mit einem Augenzwinkern.

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