Um den Fachkräftemangel zu verringern, wollen das Bundesarbeits- und das Innenministerium die Einreisebedingungen für Talente aus dem Ausland entschärfen. Ein Teil der Strategie ist die sogenannte Chancenkarte. Sie ist eine neue Form des Aufenthaltstitels für Menschen aus Drittstaaten, die noch keinen Arbeitsvertrag in Deutschland haben. War die Chancenkarte bisher nur eine grobe Idee, liegt den Ministerien nun ein Gesetzesentwurf vor, der das geplante Konzept im Detail erklärt.
Medienberichten zufolge bekommt jeder und jede Interessierte eine Chancenkarte, der oder die bestimmte Kriterien erfüllt und mindestens sechs Punkte auf Basis dieser Kriterien erhält. Der Bewerber oder die Bewerberin muss, um für die Chancenkarte in Betracht gezogen zu werden, aber auch eine mindestens zweijährige Berufsqualifikation oder einen Hochschulabschluss haben. Auch muss er oder sie seinen oder ihren Lebensunterhalt in Deutschland selbst stemmen können.
Chancenkarte: Das neue Punktesystem
Sind diese beiden Voraussetzungen gegeben, spielen Kriterien wie Berufserfahrung, Deutschkenntnisse, Alter und Berufsabschluss für die Punktevergabe eine Rolle:
- Vier Punkte: Wenn der Bewerber oder die Bewerberin über einen Berufsabschluss verfügt, der nach hiesigem Recht auf Anhieb mindestens teilweise in Deutschland anerkennungsfähig ist, erhält er oder sie bereits vier Punkte. Das ist beispielsweise auch der Fall, wenn für eine Anerkennung des Berufsabschlusses noch Nachqualifikationen nötig sind.
- Drei Punkte: Drei Punkte gibt es dafür, wenn eine mindestens dreijährige Berufserfahrung vorliegt.
- Zwei Punkte: Bewerberinnen und Bewerber, die Deutschkenntnisse auf dem B2-Level haben, erhalten zwei Punkte. Das gilt auch für Menschen, die jünger als 35 Jahre sind.
- Ein Punkt: Einen Punkt gibt es für diejenigen, die Deutsch auf dem B1-Niveau beherrschen, und für solche, die 39 Jahre und jünger sind. Auch Bewerberinnen und Bewerber, die in den vergangenen fünf Jahren mindestens sechs Monate rechtmäßig in Deutschland lebten, erhalten einen Punkt. Dasselbe gilt für Menschen, die einen „Paten“ oder eine „Patin“ in der Bundesrepublik haben, der oder die sie auf dem Weg in die Arbeit unterstützt. Welche Kriterien die Paten oder Patinnen wiederum erfüllen müssen, ist bisher nicht bekannt.
Arbeitszeit mit Chancenkarte ist begrenzt
Wer mindestens sechs Punkte gesammelt hat, erhält die Chancenkarte und kann sich für ein Jahr in Deutschland aufhalten, um einen Job zu finden. Mit einem anerkannten Abschluss erhalten Interessierte die Chancenkarte direkt. In Vollzeit arbeiten können Karteninhaber allerdings nicht.
„Die Chancenkarte berechtigt nur zur Ausübung von Beschäftigungen von insgesamt bis zu 20 Stunden je Woche sowie für jeweils bis zu zwei Wochen von zeitlich unbegrenzten Probebeschäftigungen“, heißt es Medienberichten zufolge im Gesetzesentwurf. Sprich: Talente aus dem Ausland dürfen mit der Chancenkarte nur 20 Stunden pro Woche arbeiten oder für bis zu zwei Wochen im Rahmen einer Testphase wöchentlich eine unbegrenzte Anzahl an Stunden tätig sein. Wer eine reguläre Vollzeitstelle findet, der habe laut den Vertreterinnen und Vertretern der Ministerien die Aussicht auf einen dafür geeigneten längerfristigen Aufenthaltstitel.
Was die neue Strategie bewirken soll
Die Chancenkarte soll mehr Talente aus dem Ausland nach Deutschland locken – Menschen, die aufgrund des demografischen Wandels dringend benötigt werden. Laut der Bundesagentur für Arbeit müssen jährlich rund 400.000 Fachkräfte aus dem Ausland nach Deutschland einreisen und hier einen Job annehmen, um den Fachkräftemangel zu beheben. Von diesem Ziel ist die Bundesrepublik derzeit noch entfernt.
Wie der Fachkräftemigrationsmonitor der Bertelsmann Stiftung zeigt, sind 2021 rund 40.400 Menschen aus Drittstaaten nach Deutschland gekommen, um einer Arbeit in der Bundesrepublik nachzugehen. Innerhalb der EU-Staaten waren es etwa 468.000 Menschen, die 2021 nach Deutschland kamen. Zahlenmäßig würde dies die Lücke in Höhe von 400.000 Fachkräften schließen, doch wie viele davon wegen der Arbeit in der Bundesrepublik sind, ist unklar.
Mit der Einführung der Chancenkarte und der gleichzeitigen Ausweitung der bestehenden Westbalkanregelung – nicht mehr 25.000, sondern 50.000 ungelernte Arbeitskräfte aus dem Balkan dürfen mit Jobzusage nach Deutschland kommen – sollen jährlich rund 65.000 mehr Menschen aus Drittstaaten für die Arbeit in die Bundesrepublik einreisen. Die Chancenkarte bildet die zweite von drei Säulen, mit denen die Bundesregierung dem Fachkräftemangel entgegenwirken möchte. Mehr Informationen zu den weiteren Vorhaben finden Sie hier.
Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.