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Wie erfolgreich war der Job-Turbo wirklich?

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Um Geflüchtete – besonders aus der Ukraine – besser in den Arbeitsmarkt integrieren zu können, hatte die ehemalige Ampelkoalition 2023 den sogenannten Job-Turbo eingeführt. Die Maßnahme wird jetzt von einem internationalen Forschungsteam als großer Erfolg verbucht, worüber zunächst der Spiegel berichtete.

Laut der Studie vom Immigration Policy Lab sind seit Oktober 2023 102.000 zusätzliche Arbeitsaufnahmen erfolgt. Rund 58.000 davon waren von Ukrainerinnen und Ukrainern, etwa 44.000 von Geflüchteten aus anderen Herkunftsländern. Dies sei ein zusätzlicher Wechsel in den Arbeitsmarkt gewesen, den es ohne den Job-Turbo nicht gegeben hätte.

Was steckt hinter dem Job-Turbo?

Der Job-Turbo besteht aus unterschiedlichen Maßnahmen. So etwa, dass die Geflüchteten nach Abschluss des Integrationskurses regelmäßig von den Jobcentern eingeladen und beraten werden. So sollte die Kontaktdichte zwischen Jobcenter und geflüchteter Person erhöht werden – ein Ziel, das laut den Studienverfassern erreicht wurde. Die Jobcenter sollten zudem Geflüchtete mit dem Sprachniveau B1 oder A2 in die Beschäftigung vermitteln. Bei den Gesprächen sollen sie den Geflüchteten Integrationswege – beispielsweise berufsbegleitende Qualifizierungen und Spracherwerbe – unter Berücksichtigung der individuellen Potenziale und Bedarfe aufzeigen.

Ein weiterer Teil des Programms: Jobcenter sollten branchenspezifische Matching-Aktionen mit Wirtschafts- und Bildungspartnern ausbauen und Arbeitgeber sowie Beschäftigte über beschäftigungsbegleitende Qualifizierungs- und Berufssprachangebote informieren. Unternehmen wiederum sind dazu aufgerufen, Geflüchtete verstärkt auch ohne gute Deutschkenntnisse zu beschäftigen und berufsbegleitend weiterzuqualifizieren.

Geflüchtete sind nicht in Billigjobs untergekommen

Ein Ansatz, der laut der Studie zum Erfolg führte. Der Job-Turbo hatte demnach eine Wirkung über alle Altersgruppen, Bundesländer und Qualifizierungslevel hinweg. Und auch mögliche bisher oftmals aufgetretene Nebeneffekte einer Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten sind nicht eingetreten: Die Jobs, welche die in der Analyse betrachteten Geflüchteten aufgenommen haben, sind nahezu immer sozialversicherungspflichtig gewesen. Zudem sind Qualifizierte nicht in Billigjobs gedrückt worden und sie sind nach ihrer Jobaufnahme dauerhaft in Arbeit geblieben.

Damit erzielte der Job-Turbo nicht nur ein gutes Ergebnis für deutsche Verhältnisse, sondern auch im internationalen Vergleich – wie die Studienautoren betonen, deren Forschungsnetzwerk seit rund 15 Jahren untersucht, welche Bemühungen Regierungen in aller Welt unternehmen, um Geflüchtete zu integrieren. „Noch nie haben wir derartig große Effekte gesehen“, sagt Co-Autor Jens Hammüller gegenüber dem Spiegel.

Das Ergebnis steht damit auf den ersten Blick im Gegensatz zu Erfahrungsberichten zahlreicher Unternehmensvertreterinnen und -vertreter, die sich häufig über lange Prozesse bei der Einstellung von Fachkräften aus dem Nicht-EU-Ausland beklagt hatten. Umgekehrt impliziert der Befund jedoch, dass die Situation ohne den Job-Turbo noch herausfordernder gewesen wäre. Andere Wissenschaftler wie der Sozialforscher Andreas Herteux verweisen darauf, dass die positiven Effekte womöglich nicht nur durch den Job-Turbo, sondern auch durch andere Rahmenbedingungen verursacht wurden, wie etwa kommunale und Trägerangebote oder Arbeitgeberinitiativen. Wiederum andere bestätigen die internationale Studie, indem sie den Job-Turbo ebenfalls als Erfolg verzeichnen.

Mehr Männer als Frauen integriert

Eine solcher Forscher ist Panu Poutvaara, Professor an der Universität München und beim ifo Institut. „Der Job-Turbo hat insgesamt gut funktioniert“, sagt er und gibt weitere Einblicke in die Situation der Geflüchteten. Generell ist die Arbeitsmarktintegration von geflüchteten Männern erfolgreicher als die von Frauen. Nach acht Jahren in Deutschland sind demnach drei von vier geflüchteten Männern beschäftigt, aber nur eine von drei Frauen. Geflüchtete aus der Ukraine werden dabei offenbar schneller in den deutschen Arbeitsmarkt integriert als solche aus anderen Drittstaaten.

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Hier hapert es bei der Integration noch

Trotz der guten Zahlen gibt es laut Poutvaara Herausforderungen im Prozess. Qualifikationen aus dem Ausland würden zu langsam anerkannt werden. Dadurch gelangen Top-Fachkräfte nicht oder erst nach Jahren in den Arbeitsmarkt. Poutvaara nennt ein Beispiel: Besonders die Geflüchteten aus der Ukraine haben oft einen Universitätsabschluss, viele von ihnen sind Ärzte oder in anderen reglementierten Berufen tätig gewesen.

 „Es sollte möglich sein, dass eine ukrainische Ärztin ukrainische Patienten mit deren Zustimmung auf Ukrainisch oder Russisch betreuen darf, auch, bevor ihre Qualifikationen anerkannt sind“, sagt Poutvaara. „Das würde eine Sonderregelung bezüglich der Haftpflichtversicherung erfordern, aber alle würden gewinnen: Die ukrainische Ärztin könnte ihren Beruf ausüben, die Patienten würden in der eigenen Sprache betreut, und das deutsche Gesundheitssystem wäre weniger belastet.“

Doch auch auf Unternehmensseite gibt es laut dem Wissenschaftler noch Verbesserungsbedarf. Unternehmen könnten noch flexibler bezüglich der Sprachanforderungen sein. Das sieht auch Sekou Keita, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) so.

Er sieht noch weitere Stellschrauben aufseiten der Arbeitgeber. In manchen Fällen schrecke mangelnde Rechtssicherheit Unternehmen davor ab, Geflüchtete einzustellen. Hier gebe es Beratungsstellen, an die sich die Arbeitgeber wenden können. Gerade bei den geflüchteten Frauen aus der Ukraine seien zudem fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten eine Hürde, um eine Arbeit aufzunehmen. Durch flexible Arbeitszeiten könnten Arbeitgeber sie diesbezüglich unterstützen.

Generell habe der Job-Turbo gut funktioniert, sagt aber auch Keita. Anders als die Studienautoren ist für die Forscher und Forscherinnen des IAB allerdings noch offen, ob die Abgänge aus der Arbeitslosigkeit auch wirklich zu einer nachhaltigen Beschäftigung führen und inwieweit die aufgenommenen Jobs zur Qualifikation der geflüchteten Person passen.

DGFP schaut zufrieden auf das Projekt zurück

Unternehmen – beziehungsweise deren Personalabteilungen –, bei welchen diese Fragen aufkommen, unterstützt die Deutsche Gesellschaft für Personalführung (DGFP). Sie war Teil der Initiative Job-Turbo, diente als Mittler zwischen dem Arbeitsministerium beziehungsweise der Bundesagentur für Arbeit (BA) und den Unternehmen. DGFP-Vorstandsmitglied Daniel Terzenbach wurde dafür als Sonderbeauftragter der Bundesregierung für die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten berufen. „Die Zusammenarbeit zwischen allen war äußerst erfolgreich und hat gezeigt, wie effizient und offen eine solche Kooperation funktionieren kann“, sagt DGFP-Geschäftsführer Ralf Steuer.

Das habe vor allem am schnell und flexibel agierenden Projektteam gelegen, ergänzt Susanne Blüml, Leiterin der Projektkooperation bei der DGFP. Ein kontinuierlicher Praxisabgleich mit den DGFP-Mitgliedsunternehmen sei zudem ein wichtiger Erfolgsfaktor des Job-Turbos gewesen. „Wir haben regelmäßig Rückmeldungen aus der betrieblichen Realität eingeholt, diese gebündelt und in die Arbeit des Job-Turbo-Teams einfließen lassen“, sagt Blüml. „Dadurch konnten Ansätze und Maßnahmen fortlaufend an den tatsächlichen Bedarf der Unternehmen angepasst werden.“

Bei dem Erfolg des Job-Turbos überrascht es, dass die schwarz-rote Regierung das Projekt faktisch beenden möchte. Innerhalb der DGFP hat er laut Blüml allerdings ein Netzwerk und Dialogformate geschaffen, die noch einen „spürbaren Multiplikationseffekt über die Projektlaufzeit hinaus haben“.

Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.