Frau Zech, in der aktuellen Kampagne für den Equal Pay Day 2021 teilen sogenannte Game Changer aus unterschiedlichen Unternehmen mit, wie sie sich für Lohngerechtigkeit einsetzen. Damit sind sie Teil einer Bewegung, die schon seit Jahren aktiv ist. Wo stehen wir derzeit hinsichtlich Lohngerechtigkeit?
Uta Zech: Im Jahr 2008 haben wir in Deutschland mit der Equal-Pay-Day-Kampagne angefangen, auf den Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern aufmerksam zu machen. Damals waren es 23 Prozent, jetzt sind wir bei 19 Prozent. Die Zahlen werden vom Statistischen Bundesamt anhand von europaweiten Kriterien festgelegt. In Europa liegt die Gender Pay Gap bei 14,1 Prozent. Damit gehört Deutschland zu den Schlusslichtern in Europa.
Das scheint überraschend, gilt Deutschland in den meisten Bereichen doch als modernes Vorreiterland.
Uta Zech: Ja. Es gibt zwar viele gute Ansätze wie das „FüPo-Gesetz“ (Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen) oder das Entgelttransparenzgesetz. Leider bringen diese Gesetze die Sache nur zögerlich und in sehr kleinen Schritten voran. Sie sind zu unkonkret und enthalten keine Sanktionen. Auch könnten die Verpflichtungen klarer formuliert und regelmäßig eingefordert werden. Transparente Kriterien, wie Arbeit beurteilt wird, würden faire Bezahlung in Unternehmen voranbringen.
Diese klaren Gesetze existieren allerdings noch nicht. Warum fällt es vielen Arbeitgebern, schwer, Frauen und Männer als Arbeitskräfte gleich zu behandeln?
Uta Zech: Rollenstereotype gehören bestimmt zu den größten Hindernissen. Es ist immer noch keine Selbstverständlichkeit, dass Väter mehr als zwei Monate Elternzeit nehmen. Familien- und Hausarbeit sind immer noch Frauensache. Doch gerade das ist oft ein Karriereknick in Erwerbsbiografien von Frauen. Unternehmen müssen Erwerbsarbeit und unbezahlte Familienarbeit zusammendenken und einpreisen statt Care-Arbeit als Schadensfall zu sehen.
Kann die Corona-Pandemie daran etwas verändert haben?
Uta Zech: Definitiv. Die Pandemie und der damit verstärkt einhergehende Umzug ins Home-Office haben Männer mehr in den Familienalltag integriert. Diese Flexibilität von Arbeitsort und -zeit löst alte Denkmuster und damit verbundene Stereotypen auf und schafft neue Chancen. Was wir durch Corona auch erlebt haben, ist, wie essenziell Pflege- und Erziehungsberufe für unsere Gesellschaft sind – Berufe, in denen hauptsächlich Frauen arbeiten.
Das hört sich doch nach einer guten Entwicklung an. Warum hält sich der große Lohnunterschied dann noch so stur?
Uta Zech: Die Arbeitsorganisation ist in vielen Unternehmen weiterhin männlich geprägt, vor allem in den Führungsetagen. Wo sind dort die Frauen, die nachgewiesen in großer Anzahl sehr gute Abschlüsse vorweisen? Repräsentieren Vorstände, in denen nur Männer vertreten sind, wirklich eine Auswahl der fähigsten Mitarbeitenden – oder sind sie doch nur per Ähnlichkeitsprinzip und dank Beziehungen zusammengestellt worden? Stefan befördert Stefan und nicht Sabine.
Wie kann dieses Muster von Personalerinnen und Personalern durchbrochen werden?
Uta Zech: HR sollte sich und die anderen Mitarbeiter für Rollenstereotype sensibilisieren, ihre Beurteilungskriterien überdenken und die eigene Wahrnehmung überprüfen. Folgende Fragen könnten dabei hilfreich sein: Aus welchen Gründen habe ich mich für genau diese Person bei einer Einstellung, einer Beförderung oder einer Gehaltserhöhung entschieden? Erwarte ich Berufserfahrung, die Frauen mit Kindern meistens nicht haben können? Bezahle ich Frauen und Männer wirklich gleich, oder denke ich das nur? Welche Art von Arbeit belohne ich aus welchen Gründen mehr?
Und natürlich sollten auch die Frauen im eigenen Unternehmen befragt werden. Darauf muss gegebenenfalls eine Handlung in Form einer Umstrukturierung folgen. Chancengleichheit für Männer und Frauen bedeutet mehr als eine Willensbekundung – es ist harte Arbeit.
Es ist also viel zu beachten. Warum sollte HR diese Arbeit auf sich nehmen?
Uta Zech: Wenn einmal klare Kriterien festgehalten sind, nach denen das Gehalt der Mitarbeitenden berechnet wird, dann schafft dies auf recht unkomplizierte Weise eine Lohntransparenz, die allen zugutekommt. Das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend stellt einen Gleichstellungscheck für kleine und mittlere Unternehmen zur Verfügung. Dieser Check lohnt sich. Ein Betrieb, der sich transparent aufstellt und Vereinbarkeit von Arbeit und Familie gewährleistet, wird als guter und sympathischer Arbeitgeber angesehen.
Es gibt auch Studien, die besagen, dass Unternehmen mit gemischten Teams bessere Ergebnisse erzielen und die Mitarbeitenden kreativer sind. Und dann geht es natürlich vor allem auch um Herstellung von Gerechtigkeit und gesellschaftliche Verantwortung. Dafür brauchen wir so viele mutige Personaler und Personalerinnen wie möglich. Denn Lohngerechtigkeit ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.