Seit geraumer Zeit ist eine gesellschaftliche Debatte im Gange, flankiert von Forderungen institutioneller Investoren, dass Unternehmen diskriminierungsfrei und im Sinne von Umwelt und guter Corporate Governance agieren sollen. Die ESG-Kriterien (Environment, Social, Governance) sind mittlerweile auch Bestandteil europäischer Regulatorik und Gesetzgebung. Zu ihnen zählt nicht zuletzt die diskriminierungsfreie, gerechte Vergütung – oder kurz Fair Pay. Insbesondere der Gender Pay Gap wird dabei als prominenter Indikator für eine faire Vergütung in Erhebungs- und Veröffentlichungspflichten für Unternehmen aufgegriffen, nicht nur in den European Sustainability Reporting Standards (ESRS).
So wurde im März 2023 die EU-Lohntransparenzrichtlinie vom Europäischen Parlament verabschiedet. Zu deren inhaltlichen Eckpunkten zählen
- Berichtserstattungspflichten von Unternehmen,
- Auskunftsansprüche von Arbeitnehmern gegenüber dem Arbeitgeber,
- verpflichtende Angaben zum Entgelt für Arbeitsuchende und
- die Beweislast des Arbeitsgebers in relevanten Verfahren.
Die Richtlinie soll dazu beitragen, geschlechtsspezifische Gehaltsunterschiede durch eine erhöhte Transparenz für Beschäftigte sichtbar zu machen und konkrete Instrumente zur Durchsetzung ihres Rechts auf faire Entlohnung aufzuzeigen. Auf dieser Basis steht für Unternehmen in den EU-Mitgliedstaaten die erste verpflichtende Veröffentlichung des Gender Pay Gaps im Jahr 2027 für das Jahr 2026 an; für große Unternehmen gilt nach ESRS die Berichtspflicht bereits für das Geschäftsjahr 2024.
Daher sollten Unternehmen beim Angang dieses Themas nicht zögern und entsprechende Projekte jetzt beginnen. Denn die Erfahrung zeigt, dass die Komplexität in der Schaffung einer konsistenten, sauberen Datenbasis liegt. Als Faustregel gilt: je komplexer und internationaler die Unternehmensstruktur, desto aufwändiger die Datenerhebung und -analyse.
Hinzu kommt die Positionierung als Arbeitgebermarke. Unternehmen, die ihre diskriminierungsfreie Vergütung und den Fair Pay nicht kommunizieren, werden sich in Zeiten des Fachkräftemangels schwertun, Mitarbeitende zu halten oder neue zu gewinnen.
Die Gender-Pay-Gap-Ermittlung ist eine operative Herausforderung
Der Gender Pay Gap ist zu einem relevanten KPI in Unternehmen geworden. Neben den strategischen Herausforderungen wird die operative Umsetzung erschwert, weil in den verantwortlichen HR-Bereichen nicht alle Daten zur Verfügung stehen.
Grundsätzlich wird bei der Berechnung des Lohngefälles zwischen Frauen und Männern zwischen bereinigtem und unbereinigtem Gender Pay Gap unterschieden. Der unbereinigte Gender Pay Gap zeigt den Unterschied des geschlechterspezifischen Durchschnittsgehalts auf. Er ist einfach zu berechnen, lässt allerdings keine konkreten Rückschlüsse auf eine geschlechtsbasierte Ungleichbehandlung in der Vergütung zu. So ist ein hoher Wert per se noch kein Indiz für unfaire Vergütung, sondern kann schlichtweg auf einer ungleichen Verteilung der Geschlechter auf unterschiedlichen Stellenwertigkeitsniveaus beruhen. Dennoch wird die Veröffentlichung dieses Wertes sowohl nach ESRS als auch der EU-Lohntransparenzrichtlinie für viele Unternehmen erforderlich und damit zu einer relevanten Vergleichsgröße.
Vor diesem Hintergrund ermitteln viele Unternehmen zusätzlich den bereinigten Gender Pay Gap. Dieser lässt eine differenziertere Betrachtung zu, wird doch hier „Gleiches mit Gleichem“ verglichen. So werden für die Ermittlung des betreffenden Werts neben dem Geschlecht weitere Einflussfaktoren hinzugezogen, beispielsweise die ausgeübte Funktion, die erforderliche Berufserfahrung etc. Der nach Berechnung verbleibende Unterschied, der nicht durch die ergänzenden Variablen erklärt werden kann, wird als auf das Geschlecht zurückzuführend betrachtet.
Grading: Die Funktion, nicht die Person bewerten
Ein zentrales Kriterium, das als Variable für den passgenauen Vergleich von Vergütung herangezogen werden kann, ist die Wertigkeit einer Funktion. Diese wird mit einem Grading-Modell bestimmt. Analysen der hkp///group (Anm. d. Red.: Die Autorinnen arbeiten bei hkp) zeigen, dass je nach Bewertungssystem und Anwendung in der Regel 60 bis 70 Prozent der individuellen Vergütungsunterschiede auf die Funktionswertigkeit zurückzuführen sind.
Der Funktionswert einer Stelle wird in Abhängigkeit der gewählten Bewertungsmethode anhand bestimmter Kriterien ermittelt wie zum Beispiel die Einschätzung der Komplexität der Tätigkeit, ihr Einfluss auf das Unternehmensergebnis, ihren Kommunikationsanforderungen und den benötigten Kenntnissen und Erfahrungen zur Ausübung der Tätigkeit. Damit beschreibt das Grading auch ein Anforderungsniveau, das Stelleninhaber erfüllen müssen. Hiermit können auch indirekt Faktoren in die Ermittlung des bereinigten Gender Pay Gap einfließen, die andernfalls erst strukturell erhoben werden müssten, falls sie überhaupt verfügbar sind, zum Beispiel Bildungsabschlüsse oder Berufserfahrung. Aus einer Bewertung würde sich beispielsweise ergeben, dass eine Abteilungsleitung höher bewertet und vergütet ist als eine Sachbearbeiterfunktion.
Im Detail können bei der Bestimmung der Vergütung und des Gender Pay Gap zwar noch weitere Kriterien wie die Unterscheidung nach Funktionsbereichen etc. hinzugezogen werden, das Grading stellt aber grundsätzlich eine objektive und geschlechtsneutrale Strukturierungsmethode dar. Es wird die Funktion, nicht die Person bewertet.
Da an das Grading typischerweise Gehaltsbänder oder Bonusstrukturen geknüpft sind, wird die Wahrscheinlichkeit von geschlechtsspezifischen Differenzen in der Vergütung im Unternehmen deutlich reduziert. Somit ist die Bewertung einer Funktion nicht nur als wichtige erklärende Variable in einer Gender-Pay-Gap-Analyse geeignet, sondern hat bei konsequenter Anwendung in Kombination mit den entsprechenden Regelungen zur Vergütungsgestaltung auch einen präventiven Charakter. Funktionsbewertung in Kombination mit entsprechenden Vergütungsstrukturen ist somit eine wichtige Grundlage für Fair Pay.
Erfolgsfaktoren im Kontext von Fair Pay
Ein Grading erlaubt nicht nur eine differenziertere Fair-Pay-Analyse, die Rückschlüsse auf eine mögliche ungleiche Vergütung der Geschlechter zulässt. Sind daran weitere Prozesse wie beispielsweise die konkrete Vergütungssteuerung im Unternehmen oder auch Entwicklungsmaßnahmen geknüpft, kann darüber hinaus einer geschlechtsspezifischen Ungleichbehandlung systematisch entgegengewirkt werden.
Für Unternehmen, die bereits ein Grading-Modell implementiert haben, gilt es, dies auf seine Aktualität sowie seine konsequente Anwendung zu überprüfen, auch um für Pay-Gap-Analysen gut gerüstet zu sein. Unternehmen, die noch kein Funktionsbewertungssystem implementiert haben, sollten hinsichtlich der geltenden Anforderungen bezogen auf Transparenz und Berichterstattung von Vergütungsunterschieden eine Einführung in Erwägung ziehen.
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bei der auf Corporate Governance und strategisches HR-Management spezialisierten Unternehmensberatung hkp///group.
