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Jedes fünfte Unternehmen bietet langfristige ­Zeitwertkonten an

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Gut jedes fünfte Unternehmen nutzt Zeitwertkonten (ZWK) im Sinne des SGB IV mit dem Ziel von Teil- oder Vollfreistellungen. Die größte Nachfrage der Mitarbeiter besteht nach bezahlter Arbeitszeitreduktion in der ruhestandsnahen Lebensphase und nach mehr bezahlter Zeit. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Entscheiderbefragung.

 

Berufsbiographien verlaufen heute deutlich heterogener als in der Vergangenheit. Sie weisen mehr Berufsstationen und mehr Zeiträume ohne eine Berufstätigkeit auf. Dadurch verläuft die beruflich aufgewendete Zeit ebenso unterschiedlich.

 

So wollen viele Beschäftigte aus individuellen Gründen längere Auszeiten vom Beruf nehmen oder zeitweise kürzertreten, während sich ältere Arbeitnehmer gleitende Übergänge in den vorzeitigen Ruhestand wünschen. Somit steigt seitens der Arbeitnehmer die Nachfrage nach personalpolitischen Instrumenten, die ihren Lebensentwürfen Rechnung tragen. Bislang war unklar, wie viele Betriebe Zeitwertkonten im Sinne des SGB IV als vornehmlich für solche Zwecke konzipiertes und seitens des Gesetzgebers gefördertes Modell anbieten. Die Arbeitsgemeinschaft Zeitwertkonten und FRANKFURT BUSINESS MEDIA – Der F.A.Z.-Fachverlag haben jetzt gemeinsam eine Studie herausgegeben, die Antworten auf die Fragen gibt, wie intensiv Arbeitgeber in Deutschland Zeitwertkonten anbieten, an welchen Stellen Hemmnisse bestehen und wie der konkrete Bedarf der Beschäftigten an flexiblen Arbeitszeitlösungen und an Zeitwertkonten aussieht. Im Januar 2018 hat der F.A.Z.-Fachverlag 317 Geschäftsführer, Vorstände und Personalleiter in Unternehmen in Deutschland befragt.

 

Eine ausgewogene Work-Life-Balance wird den Mitarbeitern immer wichtiger

 

Fast neun von zehn Unternehmen registrieren ein ­größeres Bedürfnis der Mitarbeiter nach einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Arbeitszeit und Freizeit. Längst hat das Thema einer gesunden Relation zwischen Arbeitszeit und freier Zeit auch Einzug in die Vorstellungsgespräche gehalten. Dabei sind die mitarbeiterstarken Unternehmen den kleineren Betrieben deutlich voraus. Allerdings mangelt es vielen Beschäftigten am Bewusstsein für den Wert zeitbezogener Anreize. So fragen Mitarbeiter bei ihrem Arbeitgeber bevorzugt finanzielle Anreize oder Sachentgelte nach, etwa eine Gehaltserhöhung oder ein Diensthandy. Zeitbasierte Anreize schneiden dagegen schwächer ab.

 

Der Bedarf der Beschäftigten an bezahlter Arbeitszeitreduktion gerade in der ruhestandsnahen Lebensphase ist in jedem dritten Unternehmen angekommen. Etwa ebenso viele Unternehmen berichten von Mitarbeiteranfragen nach mehr Urlaubstagen. Auch möchte ein Teil der Beschäftigten im Kontext persönlicher Anliegen bezahlt freigestellt werden. Immerhin in gut jedem zehnten Unternehmen wird über eine bezahlte Arbeitszeitreduktion im Zusammenhang mit einer Fortsetzung der Berufstätigkeit über das Renteneintrittsalter hinaus nachgedacht.

 

Um die Nachfrage der Mitarbeiter nach mehr Flexibilität in der Gestaltung der täglichen Arbeitszeit zu bedienen, setzen drei Viertel der Betriebe auf Flexi- bzw. Gleitzeitkonten. Vor allem mittlere Betriebe und Indus-trieunternehmen wenden entsprechende Systeme häufig an. Während die Gewähr von unbezahltem Urlaub in vielen Betrieben möglich ist, finden sich Altersteilzeitmodelle noch nicht bzw. nicht mehr in der Mehrheit der Unternehmen. Zeitwertkonten mit dem Ziel einer Finanzierung von Teil- oder Vollfreistellungen über Zeitwertkonten im Sinne des SGB IV hat bereits mehr als ein Fünftel aller befragten Unternehmen implementiert. Dieses Instrument dient sowohl dem Management unterjährigen Arbeitsanfalls als auch einer größeren Flexibilisierung der individuellen Lebensarbeitszeit. Je größer ein Unternehmen ist, desto eher nutzt es ein Zeitwertkonto.

 

ZWK-Abstinenzler verweisen auf fehlenden Bedarf, Betriebsregelungen und Garantierisiken

 

Die Gründe, aus denen Unternehmen auf Zeitwertkonten verzichten, sind vielfältig. Die Mehrheit der Organisationen, die kein Zeitwertkonto anbieten, vertritt den Standpunkt, bereits durch andere betriebliche Regelungen gut aufgestellt zu sein. Für jeweils etwas mehr als ein Drittel der Unternehmen kommen Zeitwertkonten aufgrund bestehender Risiken im Zusammenhang mit der gesetzlichen Beitragsgarantie und unzureichender Rentabilität in der Niedrigzinsphase nicht in Frage. Ferner mangelt es in den Betrieben oft an der Nachfrage der Arbeitnehmer nach Zeitwertkonten.

 

Nach Einschätzung der befragten Unternehmen, die Zeitwertkonten anbieten, nutzen unterschiedlich viele Mitarbeiter dieses Modell. Fast die Hälfte der Befragten geht davon aus, dass zwischen 11 und 50 Prozent ihrer Mitarbeiter von diesem Modell Gebrauch machen. Jeweils über ein Viertel der Befragten schätzt, dass nur 1 bis 10 Prozent bzw. 51 bis 100 Prozent der eigenen Mitarbeiter Zeitwertkonten nutzen.

 

Mitarbeiter lassen vor allem Überstunden auf den Konten gutschreiben. Sieben von zehn Betrieben dotieren das Zeitwertkonto aus angeordneter Mehrarbeit der Beschäftigten. Sonderzahlungen in Form von Urlaubs- und Weihnachtsgeld wandern in etwa zwei Fünfteln der Unternehmen auf Zeitwertkonten der Mitarbeiter.

 

Fallbeispiel Deutsche Telekom AG

 

2013 führte die Deutsche Telekom ein Modell für Lebensarbeitszeitkonten zunächst für die leitenden Beschäftigten als Pilotprojekt ein. Nach Verhandlungen mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di folgte 2016 ein Zeitwertkontenmodell für die Tarifmitarbeiter und die außertariflich Beschäftigten. Das Angebot ist freiwillig, und von den etwa 80.000 berechtigten Mitarbeitern der Deutsche Telekom AG nehmen inzwischen rund 9.000 Personen daran teil. Für manche Beschäftigte gelten Sonderregelungen. So existiert für die Beamten im Telekom-Konzern ein ähnliches, eigenes Modell, mit dem sie Überstunden langfristig sichern können.

 

Die Telekom-Mitarbeiter können über das Zeitwertkonto flexibel und selbstbestimmt Gehaltsbruttobestandteile umwandeln. Die Beträge können aus dem Fixgehalt wie auch aus der variablen Vergütung stammen. Ein Aufbau von Guthaben ist fast unbegrenzt möglich, solange das verbleibende Gehalt monatlich über der Minijobgrenze von 450 Euro liegt und somit der Beschäftigte in der Sozialversicherung bleibt. Zudem lassen sich Gleitzeitguthaben in Guthaben auf dem Zeitwertkonto umwandeln, maximal 80 Stunden pro Jahr. Dagegen dürfen die Beschäftigten keine Urlaubstage in Wertguthaben umwandeln. Der Arbeitgeber unterstützt etwa 1.300 Mitarbeiter, die eine bestimmte Einkommenshöhe nicht übersteigen und die Zeitwertguthaben aufbauen, mit einem Beitrag von 300 Euro brutto.

 

Die gesamten Guthaben aller Teilnehmenden werden in Geld geführt und sind am Kapitalmarkt investiert und in einer Treuhandgesellschaft gesichert. Dort erzielt der Konzern aktuell einen Wertzuwachs von mehr als 1 Prozent. Der Administrationsaufwand für das Management der Zeitwertkonten ist überschaubar, da das Modell komplett automatisiert in ein Mitarbeiterportal und über SAP läuft und die Konten selbst bei einen Dienstleister geführt werden. Drei Full-Time-

 

Employees kümmern sich bei der Deutschen Telekom um die Kontenadministration. Das Zeitwertkonto ist ein erklärungsbedürftiges Produkt. Deshalb informiert der Arbeitgeber interessierte Beschäftigte über ein internes soziales Medium und bietet ein Portal für die Kontrolle der Guthaben und für die Administration an. Die Beschäftigten können ihre Zeitwertguthaben für diverse Zwecke nutzen, so für den vorzeitigen Ausstieg aus dem Berufsleben, für Sabbaticals, Teilzeitaufstockung und als Ergänzung der Altersteilzeit, die die Deutsche Telekom den Beschäftigten offeriert.

 

Fallbeispiel Brückner Maschinenbau

 

Das Familienunternehmen mit Sitz im bayerischen Siegsdorf ist Weltmarktführer in der Folien-Strecktechnologie. Das Leistungsspektrum des Unternehmens umfasst verfahrens- und maschinentechnische Entwicklungen zur Folienherstellung sowie Planung, Bau und Inbetriebnahme kompletter Produktionsanlagen. Deshalb sind viele der mehr als 500 hochqualifizierten Beschäftigten oft wochen- oder monatelang für Projekte international unterwegs. Teams müssen bei Bedarf auch innerhalb kurzer Zeit flexibel an Ort und Stelle sein. Der Akademikeranteil in der Belegschaft von Brückner ist hoch. Fast zwei Drittel der Beschäftigten sind Diplomingenieure. So anspruchsvoll die Maschinenbauprojekte sind, so groß ist der Freiraum für unabhängiges Denken und Handeln, die das Management den Mitarbeitern einräumt.

 

Freiraum, Flexibilität und Individualität spiegeln sich auch in der Zeitwertkontenlösung wider, die Brückner Maschinenbau 2005 implementiert hat. Mit dem Modell managt das Unternehmen die Mehrarbeitszeiten der Mitarbeiter. In Projektphasen bauen die Beschäftigten Zeitwertguthaben auf, oft über mehrere Jahre hinweg, und brauchen zumindest einen Teil der Guthaben in auftragsschwachen Zeiten auf. Die Zeitwertkonten sind durch den Versicherer Allianz rückgedeckt und mit einer Garantieverzinsung versehen. 2008 ergänzte Brückner das Zeitwertkonto um ein Vorruhestandskonto. Der Bedarf entstand durch einen wachsenden Anteil langjähriger und inzwischen älterer Beschäftigter in der Belegschaft. Heute nutzen 20 Prozent aller Mitarbeiter Vorruhestandskonten. Dazu zählen vor allem Ingenieure ab dem 50. Lebensjahr. Die Beschäftigten können regelmäßiges Entgelt sowie Sonderzahlungen wie Gewinnbeteiligungen oder das Weihnachtsgeld in das eigene Konto einzahlen. Auch wenn sich die Höhe und der Rhythmus der Beiträge flexibel gestalten lassen, sollten sich die Mitarbeiter auf einen Beitragsmodus festlegen. Der Arbeitgeber gibt keinen finanziellen Zuschuss zu den Zeitwertkonten, administriert diese aber intern selbst. Inzwischen haben ältere Beschäftigte so umfangreiche Zeitguthaben aufgebaut, dass sie vor ihrem offiziellen Eintritt in den Ruhestand bereits Freiphasen von bis zu einem Jahr einlegen können.

 

Dr. Guido Birkner,

verantwortlicher Redakteur Human Resources

FRANKFURT BUSINESS MEDIA – Der F.A.Z.-Fachverlag

guido.birkner@frankfurt-bm.com

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