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Wie die Umsetzung einer nachhaltigen Vergütung gelingen kann

Bereits in den vergangenen Jahren sind die regulatorischen Anforderungen an Unternehmen in Bezug auf das Thema Nachhaltigkeit deutlich gestiegen. Diese Entwicklung setzt sich weiter fort. Auch nicht börsennotierte Unternehmen entscheiden sich zunehmend dafür, Nachhaltigkeit in ihren Vergütungssystemen zu verankern.

Die EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive) wird bald umfassende Anforderungen an die Transparenz hinsichtlich der Bereiche Umwelt (Environmental), Soziales (Social) und Unternehmensführung (Governance) – gemeinsam bezeichnet als ESG – stellen. Bei einem Teilaspekt der Governance, nämlich der Vergütung, erfährt das Thema ESG schon seit einigen Jahren besondere Aufmerksamkeit. Ursprünglich von Investoren stärker gefordert, ist es für börsennotierte Unternehmen spätestens seit dem Inkrafttreten von ARUG II notwendig, Nachhaltigkeit in der Vorstandsvergütung zu berücksichtigen. Dies geschieht, indem ESG-Ziele in den variablen Vergütungsbestandteilen verankert werden.

Wie die Kienbaum-Studie „Corporate Governance 2022“ zeigt, halten viele Unternehmen (76 Prozent  der Teilnehmenden) die verpflichtende Nutzung von ESG-Zielen in der Vorstandsvergütung für richtig. Denn die Verankerung von ESG-Zielen in der variablen Vergütung führt aus Sicht der meisten Studienteilnehmer (78 Prozent) dazu, dass diese auch umgesetzt werden. Auch nicht börsennotierte Unternehmen, die keiner Verpflichtung zur Nutzung von ESG-Zielen unterliegen, entscheiden sich zunehmend dafür, Nachhaltigkeit in ihren Vergütungssystemen zu verankern. Dabei stehen die Unternehmen vor der Herausforderung, passende Ziele auszuwählen, die Ziele ambitioniert zu setzen (Kalibrierung) und sie sinnvoll in das übrige Vergütungssystem einzubinden. Im Folgenden zeigen wir auf, wie Unternehmen diesen Herausforderungen begegnen können, um ihre Vergütungssysteme nachhaltig aufzustellen. Dabei ist grundsätzlich zu beachten, dass die Ausgestaltungsparameter sowohl für die Geschäftsführungs- beziehungsweise Vorstandsvergütung als auch für die Vergütung der nachfolgenden Ebenen bedacht werden sollten, da ein durchgängiges Vergütungssystem einen starken Steuerungsimpuls schafft.

Auswahl geeigneter ESG-Ziele für die variable Vergütung

Für die Umsetzung einer nachhaltigen Vergütung müssen Unternehmen in einem ersten Schritt die richtigen ESG-Ziele (sogenannte Leistungskriterien) auswählen. Dabei sollten grundsätzlich ESG-Ziele genutzt werden, die mit der Strategie des Unternehmens im Einklang stehen und dessen Umsetzung fördern. Am Beispiel von L’Oréal lässt sich die Vorgehensweise zur Ableitung geeigneter ESG-Ziele anschaulich verdeutlichen. Im Unternehmen stellen Diversität und Inklusion die zentralen Bausteine der strategischen Säule „Beauty for all“ dar. Denn die weltweit unterschiedlichen Anforderungen der Kundinnen und Kunden an die Produkte können nur mit diversen Teams erfüllt werden. Daher stellt Vielfalt einen Teil des Geschäftsmodells von L’Oréal dar. In diesem Fall können Diversitätsziele sinnvolle ESG-Ziele sein, die einen positiven Effekt auf die Strategieumsetzung haben und deren Erreichung einen echten Wettbewerbsvorteil darstellt. Eine pauschalisierte Aussage zur Passung von Diversitätszielen für andere Unternehmen ist darauf aufbauend nicht möglich und ist im Einzelfall zu beurteilen.

Ob die Nachhaltigkeitsziele im STI oder LTI verwendet werden, sollte primär von der Eignung der Ziele abhängig gemacht werden. Die Kienbaum-Studie „Corporate Governance 2022“ zeigt allerdings, dass ein Vorgehen nach dem Vorgehen von  L’Oréal für viele Unternehmen kurzfristig nicht möglich ist, beispielsweise weil ESG-Kriterien in dieser Form (noch) nicht Teil der Strategie sind oder geeignete Ziele noch nicht definiert oder messbar sind. In diesem Fall kann eine Orientierung an vergleichbaren Unternehmen im Markt sinnvoll sein. Generell zeigt der Blick in den Markt, dass Unternehmen aktuell meist Ziele der Environmental- oder Social-Dimension verwenden (zum Beispiel die Reduktion der CO2-Emissionen oder die Mitarbeiterzufriedenheit). Auch ist es üblich, ESG-Ziele zu nutzen, die bereits im Unternehmen verwendet werden. Häufig sind dies mitarbeiter- oder kundenbezogene Ziele wie etwa Mitarbeiter- oder Kundenzufriedenheit.

Verknüpfung der ESG-Ziele mit dem Gesamtvergütungssystem

Die gewählten ESG-Ziele müssen anschließend mit dem Gesamtvergütungssystem verknüpft werden. Dafür sind zwei grundsätzliche Entscheidungen zu treffen: Zum einen stellt sich die Frage, ob die Ziele in der kurzfristigen variablen Vergütung (Short Term Incentive, STI) oder der langfristigen variablen Vergütung (Long Term Incentive, LTI) verwendet werden sollen. Zum anderen ist zu entscheiden, wie sie mit den finanziellen Zielen in Verbindung stehen.

Bei der Frage der Fristigkeit formulieren Investoren im Rahmen der Vorstandsvergütung klar ihre Erwartungen, dass Nachhaltigkeitsziele im LTI verankert werden sollen. Abseits der Vorstandsebene besteht eine größere Flexibilität der Verortung von ESG-Zielen. Im Markt zeigt sich, dass ESG-Ziele sowohl im STI als auch im LTI verwendet werden. Ziele, die eher einen kurzfristigen Horizont aufweisen oder eine schnelle Umsetzung relevanter Initiativen betonen sollen, werden häufig im STI verwendet. Besonders für den LTI geeignet sind hingegen ESG-Ziele, die auf einem langfristigen Planungshorizont basieren, wie zum Beispiel die Reduktion des CO2-Ausstoßes.

Sowohl im STI als auch im LTI können die ESG-Ziele additiv oder multiplikativ mit den finanziellen Zielen verknüpft werden. Bei einer additiven Verknüpfung muss das ESG-Ziel ebenso wie die finanziellen Ziele mit einer konkreten Gewichtung versehen werden, sodass sich alle Leistungskriterien zu 100 Prozent aufaddieren lassen. Bei einer multiplikativen Verknüpfung übt das ESG-Ziel eine Hebelwirkung innerhalb eines vorgesehenen Korridors auf die Zielerreichung der finanziellen Ziele aus. Dieser Korridor bewegt sich auf der Vorstandsebene häufig zwischen 0,8 und 1,2. Die Steuerungswirkung der ESG-Ziele unterscheidet zwischen den beiden Ausgestaltungsformen, da sich bei der multiplikativen Verknüpfung die Zielerreichungsgrade der ESG- und der finanziellen Ziele gegenseitig beeinflussen. Die Auswahl der Verknüpfung sollte daher auch mit Bezug zur Strategie getroffen werden.

Kalibrierung der Nachhaltigkeitsziele

Das Ambitionsniveau der ESG-Ziele wird über die Kalibrierung der Bonuskurve bestimmt. Diese definiert die für eine Auszahlung notwendige Mindest-Performance, den Zielwert und eine Leistungsobergrenze sowie die damit einhergehenden Auszahlungen aus den ESG-Zielen. Es empfiehlt sich, bei der Kalibrierung zu prüfen, welche Auszahlung in der Vergangenheit erzielt worden wäre, wenn die Ziele in vergangenen Jahren bereits genutzt worden wären. Wenn im ersten Schritt ESG-Ziele gewählt wurden, die auch in der Vergangenheit bereits im Unternehmen verwendet wurden und für die historische Erfahrungswerte bestehen, kann dies einer hohen Volatilität und einer zu (wenig) ambitionierten Zielsetzung entgegenwirken.

Bei neu eingeführten ESG-Kennzahlen ohne Erfahrungswerte kann eine hohe Volatilität in den ersten Jahren vermieden werden, indem verschiedene Performance-Szenarien betrachtet und mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit versehen werden. Bei neu eingeführten ESG-Kennzahlen ist eine Berücksichtigung der Historie nicht möglich. Um eine hohe Volatilität in den ersten Jahren zu vermeiden, sollten verschiedene Performance-Szenarien betrachtet und mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit versehen werden. Zudem kann es in diesem Fall sinnvoll sein, die Bonuskurven breit auszugestalten: Die Mindestanforderung an die Performance wird gesenkt und die Leistungsobergrenze entsprechend erhöht. So kann sichergestellt werden, dass eine geringe Abweichung vom Zielwert nicht zu sensitiv auf die Auszahlung wirkt.

Umsetzung einer nachhaltigen Vergütung

Die Bedeutung von Nachhaltigkeit wird für Unternehmen zukünftig weiter steigen, auch in der Vergütung. Zur Umsetzung einer nachhaltigen Vergütung sollten ESG-Ziele für die variablen Bestandteile gewählt werden, die direkt auf die Strategie einzahlen. Ist dies noch nicht möglich, können übergangsweise auch marktübliche ESG-Kennzahlen verwendet werden. Wenn die gewählten ESG-Ziele bereits in der Vergangenheit im Unternehmen erhoben wurden, kann dies die Kalibrierung der Bonuskurve erleichtern. Ob die Nachhaltigkeitsziele im STI oder LTI verwendet werden, sollte primär von der Eignung der Ziele abhängig gemacht werden. Bei der Verknüpfung mit den übrigen Leistungskriterien sollte neben der Steuerungswirkung auch die Strategie bedacht werden.

Julius Flottmann
Executive Compensation & Board Advisory
Kienbaum Consultants International
julius.flottmann(*)kienbaum(.)de
www.kienbaum.de

Dr. Sebastian Pacher
Managing Director & Partner
Kienbaum Consultants International
sebastian.pacher(*)kienbaum(.)de
www.kienbaum.de