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Berufsorientierung: Spielerisch zur Selbsterkenntnis 

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Mehr als 22.000 Studiengänge verzeichnet der Hochschulkompass der Hochschulrektorenkonferenz, über 320 Ausbildungsberufe die Bundesagentur für Arbeit. Schulabgängerinnen und Schulabgänger können also aus einem riesigen Angebot wählen, welche berufliche Richtung sie einschlagen möchten. Viele Jugendliche, die in diesen Tagen in Deutschland die Schule verlassen, stehen jedoch eher ratlos und überwältigt vor der doppelten Aufgabe, sich einerseits über ihre eigenen Interessen und Fähigkeiten klarzuwerden und sich dann noch in dem Labyrinth der Möglichkeiten zurechtfinden zu müssen. 

Um Jugendliche beim Übergang von der Schule in den Beruf zu unterstützen, hat das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) das Portal „zynd“ entwickelt. Das Kunstwort „zynd“ steht dabei für den Startschuss „in eine wichtige Phase, den Anstoß, das Aktivwerden. Es geht darum, auf der Suche nach einem beruflichen Weg irgendwann für etwas zu ‚brennen‘; es geht um das Feuer, das im Zweifel zu entfachen ist“, heißt es zum Start vom BIBB. Der Name zynd sei auch Programm für das Angebot dahinter, das junge Menschen auf verschiedenen Ebenen „entflammen“ lassen soll – bei der Ansprache, der Gestaltung sowie der technischen Umsetzung zielgruppengerechter Medieninhalte“, so das BIBB. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger gab vor einigen Tagen bei der Eröffnung des „Sommers der Berufsausbildung“ offiziell den Online-Auftritt von zynd frei. 

Selbsterkenntnis ist der Start

Das Tool bietet dabei weit mehr als nur eine Vorstellung von Studien- oder Ausbildungswegen. Tatsächlich holt es die Jugendlichen in ihrer Ratlosigkeit ab und führt sie interaktiv durch einen Prozess von der Selbsterkenntnis der eigenen Interessen und Stärken bis zu praktischen Umsetzungshilfen bei der Studien- und Berufswahl.  
Unter der Fragestellung „Wo stehe ich?“ etwa bekommen die User zahlreiche Anregungen, um sich über die eigenen Positionen und Prioritäten Gedanken zu machen. Spielerisch können sie sich durch sogenannte Playlets klicken, unterschiedliche interaktive Tools zum Selbstlernen, angesiedelt zwischen Games und klassischen Lernangeboten. Mit diesen sollen die Jugendlichen beispielsweise herausfinden, welche Eigenschaften sie haben, welche Ressourcen sie mitbringen und wie sie mit Konflikten umgehen.  

Ein weiterer Baustein ist überschrieben mit der Frage: Was interessiert mich? „In sogenannten 360°-Berufsfeldpanoramen werden Berufsfelder dargestellt, die Jugendlichen nicht so vertraut (weil nicht so sichtbar) sind oder in denen sie kaum Praktika machen können“, erklärt Frank Neises, Koordinator der Fachstelle für Übergänge in Ausbildung und Beruf am BIBB. „Wir haben dort aktuell zum Beispiel die Ausbauberufe der Bauwirtschaft, das Elektrohandwerk oder die Pflege. In Kürze werden dort aber weitere Panoramen zu finden sein. So sind die Berufsfelder Chemie, Optik/Glas oder Umwelttechnische Berufe in Planung.“ 

Ein Berufe-Navigator ist ebenfalls Teil von zynd, er führt zu verschiedenen Infoseiten. Zentral ist die Botschaft, dass Entscheidungen zwar schwierig sind, aber eben auch nicht Stein gemeißelt: Meinungsänderungen sind erlaubt! Die vierte Einheit schließlich hilft bei Umsetzungsfragen: Wie mache ich das? Dabei gibt es unter anderem Tipps und Vorlagen für Bewerbungsverfahren, Vorstellungsgespräche, es wird erklärt, wie man Praktikumsberichte schreibt und was in einen Lebenslauf gehört. Alle Playlets, alle Fragelisten, Filme und Hilfestellungen können in beliebiger Folge genutzt werden. 

Beitrag zur Fachkräftesicherung

Auch wenn das Online-Tool in erster Linie Jugendlichen bei der Berufsorientierung unterstützen soll, hat es neben der individuellen Hilfestellung auch die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes im Blick, wie BIBB-Experte Frank Neises erläutert: „zynd möchte unbedingt einen Beitrag zur Fachkräftesicherung leisten. Allerdings erscheint es uns wichtig, dass der Prozess der Berufsfindung und -wahl offenbleibt und sich an den Interessen und Neigungen der Jugendlichen ausrichtet. Das Ziel ist eine reflektierte Berufswahlentscheidung, die, das zeigen auch Untersuchungen im BIBB, vorzeitigen Vertragslösungen oder Ausbildungsabbrüchen vorbeugt.“  

Azubi-Verantwortliche in Unternehmen können das Tool nutzen

Um das zu erreichen, gibt es für die Orientierung suchenden Nutzerinnen und Nutzer die Möglichkeit, innerhalb des Online-Tools auch mit „echten“ Menschen in Kontakt zu treten. In einem geschlossenen Bereich können Fachkräfte, die rund um Berufsberatung, Ausbildung, Coaching in das Thema involviert sind, mit den Jugendlichen kommunizieren, etwa in Form eines Austausches über die Erkenntnisse aus den gespielten Modulen. Dafür müssen sich diese Fachkräfte registrieren – und erhalten in der Folge Zusatzinformationen und begleitende Materialien zu den einzelnen Angeboten. Eine Kommunikation mit den Jugendlichen erfolgt online über Gruppenräume und sogenannte „Coaching Zones“. „In erster Linie sprechen wir mit den Fachkräften jene an, die junge Menschen am Übergang begleiten. Das sind vor allem Lehrkräfte, Berufsberater oder auch in der Jugendhilfe Tätige“, erklärt Frank Neises. Genutzt werden kann diese Option aber auch von Personen, die sich in Unternehmen um die Azubis kümmern, von „ausbildendem Personal, welches ebenfalls mit den Jugendlichen zu tun hat, ob bei der Rekrutierung (Messen, Speed-Dating et cetera), beim Onboarding in der Ausbildung oder auch bei persönlichen Problemen der jungen Menschen“, so Neises. Unternehmen und Ausbildungsbetriebe könnten überdies von ihren Seiten auf zynd für die digitale berufliche Orientierung verlinken.  

Zahl junger Menschen ohne Berufsabschluss auf Rekordhöhe

Wie notwendig die Unterstützung von Jugendlichen beim Berufseinstig ist, zeigen Zahlen, die das BIBB in seinem Datenreport 2024 Anfang Mai veröffentlicht hat. Demnach ist die Anzahl der jungen Menschen unter 35 Jahren ohne Berufsabschluss auf jetzt rund 2,9 Millionen gestiegen, im Jahr 2021 waren es noch 2,64 Millionen. BIBB-Präsident Friedrich Hubert Esser sagte dazu: „Mittlerweile ist fast jeder fünfte in dieser Altersgruppe davon betroffen. Das können wir uns nicht leisten, das ist ein ‚No-Go‘ für den Bildungs- und Wirtschaftsstandort Deutschland. Hier sind zielführende Maßnahmen gefragt. Fachkräfterekrutierung und -sicherung bleiben zentrale Aufgaben für die ganze Gesellschaft!“ 

Christina Petrick-Löhr betreut das Magazinressort Forschung & Lehre sowie die Berichterstattung zur Aus- und Weiterbildung. Zudem ist sie verantwortlich für die redaktionelle Planung verschiedener Sonderpublikationen der Personalwirtschaft sowie den Deutschen Personalwirtschaftspreis.