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Nachhilfe für Azubis: Mentoren machen Lehrlinge fit 

489.200 duale Ausbildungsverträge haben Unternehmen im Jahr 2023 mit jungen Talenten geschlossen. Das geht aus Zahlen des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) hervor. Allerdings: Jeder vierte Auszubildende beendet laut dem Berufsbildungsbericht 2023 vorzeitig seine Ausbildung oder wird vom Betrieb entlassen.  

Warum die Verträge vorzeitig gekündigt werden, untersucht die Berufsbildungsstatistik aber nicht. Sie liefert jedoch mögliche Erklärungen und beruft sich dabei auf verschiedene Studien: Demnach brechen Auszubildende ihre Lehre ab, wenn sie Konflikte mit Ausbilderinnen, Ausbildern oder Vorgesetzten haben, wenn sie die Qualität der Ausbildung als mangelhaft empfinden oder die Arbeitsbedingungen ihnen nicht passen. Auch persönliche und gesundheitliche Gründe führen zur vorzeitigen Vertragsauflösung.  

Betriebe ihrerseits geben an, dass sie Azubis entlassen, wenn deren Leistungen oder deren Motivation mangelhaft sind oder sie sich nicht in den Betrieb integrieren. Auch nennen sie – wie die Talente selbst – falsche Berufsvorstellungen als Grund für eine Vertragsauflösung. Darüber hinaus kann die Insolvenz oder Betriebsschließung das Unternehmen zwingen, den Azubi zu entlassen. 

Mentoren sollen Azubis stärken 

Die Lösung: Um die Abbrecherquoten zu senken, haben mehrere Bundesländer, Institutionen sowie Unternehmen Mentorenprogramme etabliert. Ziel ist, dass erfahrene Beschäftigte junge Talente begleiten und ihnen bei Problemen – egal ob beruflicher oder privater Art – helfen. Je nach Modell arbeiten die Mentorinnen und Mentoren noch im Unternehmen, oder sie haben dort früher gearbeitet. Aber auch externe Expertinnen und Experten, die schon in Rente sind, können Auszubildende und Unternehmen zur Unterstützung heranziehen.  

Eines der Programme, das junge Talente stärkt, ist VerAplus – Verbesserung von Ausbildungserfolgen. Das Projekt basiert auf einem Tandemmodell: Dabei erhalten Lehrlinge nach dem Eins-zu-eins-Prinzip Hilfe von einem Ehrenamtlichen des Senior Experten Service (SES). Die Ruheständler betreuen bundesweit derzeit rund 4.000 junge Menschen aller Berufe, die in der Regel vor besonders großen Herausforderungen stehen.  

„In vielen Fällen haben die bei uns unterstützten Azubis Migrationserfahrung. Diese Gruppe ist häufig mit speziellen und vor allem multiplen Schwierigkeiten konfrontiert“, beschreibt Felix Strauch, Koordinator bei VerAplus, die Situation. Im Programm erlebt er oft, dass den Auszubildenden sprachliche Fertigkeiten, schulische Vorkenntnisse insbesondere in Mathematik, Ausbildungsreife und teilweise auch Selbstinitiative fehle. „Azubis ohne deutsche Muttersprache haben große Schwierigkeiten, dem Unterricht zu folgen und deutsche Fachbegriffe zu verstehen“, sagt er und weist darauf hin, dass Prüfungsfragen oft umständlich formuliert seien. Vielen Auszubildenden reiche zudem die Zeit in den Prüfungen nicht aus. Auch hat er erlebt, dass junge Menschen für sich zu anspruchsvolle Ausbildungsberufe gewählt hätten.  

Nachhilfe erhöht Erfolgschancen 

Aus Strauchs Sicht seien die Herausforderungen, vor denen die Auszubildenden stehen, prinzipiell nicht größer als früher. Allerdings gebe es mehr Schwierigkeiten bei der Ausbildung durch die erhöhte Migration nach Deutschland in Folge der geopolitischen Konflikte. Das mache sich auch in dem Projekt bemerkbar. 

Hat sich ein Tandem aus Experte und Auszubildendem gefunden, vereinbaren die beiden individuell, wie die gemeinsame Arbeit aussehen soll. Sie besprechen die Häufigkeit und Orte der Arbeitstreffen, die Themen sowie weitere Personen, die einbezogen werden sollen. Denn viele der von VerAplus begleiteten Azubis erhalten flankierend noch andere Unterstützungen wie Sprachkurse, Nachhilfe durch das von der Agentur für Arbeit finanzierte Programm AsA flex oder eine spezielle Prüfungsvorbereitung der Handels- und Handwerkskammern. Auch andere professionelle Beratungsstellen wie Migrationsberatung, psychosoziale Beratung und Ausbildungsberatung der Kammern können hinzugezogen werden, wie Strauch erläutert. In der Regel begleiten die Experten ihre Schützlinge bis zum Abschluss der Ausbildung – mit Erfolg: Drei Viertel (75 Prozent) der begleiteten jungen Menschen schließen ihre Ausbildung erfolgreich ab.  

Um die Erfolge zu erhöhen, wünscht sich Strauch, dass junge Menschen schon während der Schulzeit optimal auf die Berufsausbildung vorbereitet werden. „Wünschenswert wäre eine effektive Berufsorientierung in der Schule und die Ausprägung für eine Berufsausbildung oder die Arbeitswelt generell notwendiger Kenntnisse.“ 

Viele Betriebe bieten Mentorenprogramme an

Neben staatlich geförderten Projekten bieten auch Unternehmen Mentorenprogramme und andere Unterstützung für Azubis an. Darunter Möbel Höffner, das auf betriebsinternes Mentoring setzt. In dem Möbelhaus werden Auszubildene von Ausbilderinnen und Ausbildern und Mentorinnen und Mentoren eng betreut. Diese beraten nach Auskunft des Unternehmens zu allen Fragen und Problemen, die Auszubildende haben und gehen dabei individuell auf deren Belange ein, um bei Nachholbedarf gezielt unterstützen zu können.

Auch der Stahlhersteller Thyssenkrupp hat Mentorenschaften für seine Lehrlinge etabliert. Auszubildende ab dem zweiten Ausbildungsjahr werden mit den neuen Lehrlingen zusammengebracht. Die Unterstützung geht noch darüber hinaus: Damit die Azubis erfolgreich sind, bietet das Unternehmen im Rahmen der Ausbildung Einführungswochen, Dialogtrainings, erlebnispädagogische Elemente, Prüfungsvorbereitung und individuelle Betreuung der Auszubildenden vor allem durch die hauptamtlichen Ausbilderinnnen und Ausbilder an. „Wir stellen unseren Auszubildenden einen Sozialarbeiter an die Seite. Bei Bedarf können sie sich aber – wie alle Beschäftigten im Unternehmen – auch an spezialisierte Sozialarbeiter zum Beispiel bei Überschuldung oder Sucht wenden“, erklärt Dr. Veit Echterhoff, Leiter Ausbildung bei der thyssenkrupp Steel Europe AG. Falls ein Azubi starke Lerndefizite haben sollte, empfiehlt der Konzern, die ausbildungsbegleitenden Hilfen der Arbeitsagenturen in Anspruch zu nehmen.

„In der Regel sind die Azubis dankbar für jede Unterstützung und Aufmerksamkeit, bevorzugt von Personen, denen sie vertrauen wie ihrem Ausbilder oder ihrer Ausbilderin“, sagt der Ausbildungsleiter. Gegenüber fremden Organisationen oder Ansprechpersonen sei die Scheu dagegen oft größer.

Es hapert oft an Pünktlichkeit und Sorgfalt

Unterstützung ist oft notwendig, da in den vergangenen Jahren – so die Wahrnehmung des Unternehmens – grundsätzlich das Leistungsniveau bei Abschlüssen und Abschlussnoten abgefallen sei. „Die Schwerpunktberufe bei thyssenkrupp Steel, also die industriell-technischen Berufe, erfordern vor allem grundlegende Kenntnisse von Mathematik und Naturwissenschaft. Diese sind leider bei heutigen Jugendlichen zunehmend lückenhaft“, bedauert Echterhoff. Auch die klassischen Arbeitstugenden wie Verlässlichkeit, Pünktlichkeit, Sorgfalt, Verantwortungsübernahme, die ein Ausbildungsunternehmen von jungen Erwachsenen erwarten würde, vermisse der Konzern bei vielen, die sich bewerben.

Der Ausbildungsleiter von thyssenkrupp Steel, Dr. Veit Echterhoff bedauert, dass vielen jungen Talenten heutzutage Tugenden wie Verlässlichkeit und Pünktlichkeit fehlen.

Auch stelle er vermehrt fest, dass sich Berufsanfänger häufig keine 15 Minuten auf eine Sache konzentrieren könnten und sich leicht ablenken ließen. „Meine persönliche These ist, dass die sozialen Medien und der Rückzug vieler Jugendlicher in eine digitale Welt einen derart sozialisierenden Einfluss auf junge Menschen haben, der für die Arbeitswelt nicht förderlich ist“, sagt Echterhoff.

Vielen jungen Menschen bereits es auch Schwierigkeiten, sich an die neue Umwelt im Betrieb oder Ausbildungsunternehmen anzupassen, sich mit den Hausregeln zu arrangieren und ihren Platz zu finden und sich in diesem Rahmen weiterzuentwickeln. Aus Echterhoffs Sicht hätten sowohl Elternhäuser als auch die Schulen früher besser auf den Übergang ins Berufsleben vorbereitet, als es heute der Fall ist.

Kirstin Gründel beschäftigt sich mit den Themen Compensation & Benefits, Vergütung und betriebliche Altersversorgung. Zudem kümmert sie sich als Redakteurin um das F.A.Z.-Personaljournal. Sie ist redaktionelle Ansprechpartnerin für das Praxisforum Total Rewards.