Obwohl empirisch und theoretisch die Evidenz von Bonusmodellen bewiesen ist, verschenken viele Industrieunternehmen das Potenzial, das Vertriebsvergütungssysteme bieten. Insbesondere bei Produktions- und Vertriebsmitarbeitenden steigt die Performance. Darüber hinaus erfüllen Boni auch ihre Erwartungen an eine faire Entlohnung.
Die Verbreitung von Vertriebsvergütungssystemen variiert je nach Industriezweig erheblich: Während sie im Hightech- und Softwarebereich fast flächendeckend eingesetzt werden, hinken die traditionellen Industrieunternehmen häufig hinterher. Ein großer Teil dieser Unternehmen nutzt überhaupt keine speziellen Vertriebsvergütungssysteme, bei anderen lässt sich ein gewisser „Wildwuchs“ beobachten. Sie sind häufig ungeplant in den Landesorganisationen gewachsen und machen eine einheitliche Steuerung unmöglich. Häufig haben weder die zentralen Vertriebsleiter noch HR einen vollständigen Überblick, welche Systeme gruppenweit zum Einsatz kommen.
Seit einigen Jahren lässt sich jedoch beobachten, dass Vertriebsvergütungssysteme auch verstärkt außerhalb des Hightech- und Softwarebereichs eingesetzt werden. Ihre Anwendung basiert auf global einheitlichen Standards mit regionalen Freiheiten. Dabei gibt es unterschiedliche Ausprägungen hinsichtlich des Standardisierungsgrades. Die Mehrzahl der Unternehmen arbeitet dabei weder mit einer vollständigen Vereinheitlichung der Modelle weltweit noch mit einer ausschließlich lokalen Fokussierung, sondern sie bewegt sich eher zwischen den beiden Polen mit einem „Global framework, local flexibility“-Modell.
Global standardisiert ist dagegen in Unternehmen zumeist der Plantyp, also die Entscheidung über ein Kommissionsmodell oder ein Zielbonussystem, das mehrere Ziele additiv verknüpft. Auch die Auszahlungskurven (inklusive Begrenzungen der möglichen Auszahlungen), Performance-Ziele sowie die Auszahlungshäufigkeit (monatlich, vierteljährlich, halbjährlich, jährlich) werden zentral vorgegeben. Regionale Flexibilität kommt auch international nahezu immer beim Paymix-Modell – dem Verhältnis von fixer Grundvergütung und variabler Vertriebsvergütung – zur Anwendung.
Bonusmodelle wirken in Produktion und Vertrieb
Warum werden Vertriebsvergütungssysteme bisher nicht flächendeckend genutzt? Ein Grund: Es fehlen eindeutige empirische Aussagen zur Wirksamkeit von Boni. In Bezug auf Jahresbonus- (Short Term Incentives) und Mehrjahresbonusmodelle (Long Term Incentives) für die Management- und Executive-Ebene zeigen die wissenschaftlichen Studien widersprüchliche Ergebnisse. Eindeutige Aussagen treffen dagegen Untersuchungen zur Wirkung von Bonusmodellen bei zwei Zielgruppen: bei Produktions- und Vertriebsmitarbeitern. So zeigen Studien (siehe Kasten „Mehr zum Thema“), dass die Einführung von Vertriebsvergütungssystemen die Performance von Verkäufern nachhaltig steigert.
Dass ausgerechnet Bonussysteme bei Beschäftigten im Vertriebs- und Produktionsbereich wirken, lässt sich mit der guten Quantifizierbarkeit der Performance-Größen und den relativ kurzen Mess- und Auszahlungsfrequenzen erklären. In der Produktion basieren die Bonussysteme häufig auf Stückzahlenvorgaben: Sie werden am Ende des Monats gemessen, und wenn die Vorgabe erreicht ist, wird der Bonus ausbezahlt. Der Mitarbeitende hat folglich ein objektives Ziel, die Messung und die monetäre Honorierung direkt „vor Augen“.
Vergleichbar funktionieren Vertriebsvergütungssysteme, die häufig vierteljährlich oder sogar monatlich anhand der Messung von Auftragseingangszielen den Bonus auszahlen. Die objektive Messbarkeit von Zielen in Kombination mit der kurzfristigen Auszahlung „in line of sight“ erfüllen bei Vertriebsmitarbeitenden ebenso ihre Erwartung, dass sie fair und leistungsgerecht entlohnt werden – absolut und auch im Vergleich zu ihren Kolleginnen und Kollegen.
Dieser Fairnessgedanke findet sich in der Equity-Theorie wieder, die verkürzt besagt, dass Beschäftigte ihre Leistungen mit denen ihrer Teammitglieder vergleichen wollen und darüber hinaus auch eine entsprechende Gegenleistung für ihre Performance vom Arbeitgeber erwarten. Wenn sich dieses Verhältnis nicht in der Balance befindet, können verschiedene Konsequenzen folgen, wie etwa die Reduktion der eigenen Leistung bis hin zum Verlassen des Arbeitgebers.
Die empirischen Befunde lassen den Schluss zu, dass bei Vertriebsmitarbeitenden die häufig kontrovers diskutierte Principal-Agenten-Beziehung funktioniert. Hierbei werden den Beschäftigten (Agenten) Ziele im Interesse des Arbeitgebers (Principal) vorgegeben, für deren Erreichung sie im Gegenzug eine Honorierung (monetär oder nicht monetär) erhalten.
Handlungsempfehlungen für Unternehmen
In Anbetracht der eindeutigen empirischen und theoretischen Evidenz verwundert es, dass viele Industrieunternehmen bisher noch nicht das Potenzial von Vertriebsvergütungssystemen nutzen. Umso mehr ist zu begrüßen, dass aktuell immer häufiger Arbeitgeber Bonusmodelle aufsetzen. Hierbei gilt jedoch, dass weniger mehr ist. Unternehmen sind vor dem Hintergrund einer einheitlichen strategischen Steuerung gut beraten, klare Rahmenbedingungen vorzugeben und nachstehende Handlungsempfehlungen zu berücksichtigen:
- Governance: Die Hoheit über die Standards der Vertriebsvergütung und die entsprechenden Policies sollten in der Zentrale liegen – idealtypischerweise bei Corporate Compensation & Benefits.
- Plantyp: Der Plantyp (Kommissions- oder Zielbonusmodell) wird zentral vorgegeben.
- Auszahlungsmechanismus: Die Anzahl der möglichen Auszahlungskurven pro Vertriebsrolle ist limitiert und zentral definiert (inklusive möglicher Auszahlungsbegrenzungen).
- Zielgrößen: Die Ziele werden einheitlich und global durch den Chief Sales Officer vorgegeben. Dabei werden zwei bis drei Hauptziele (zumeist Auftragseingang) definiert und ergänzt durch einen Zielgrößenkatalog, aus dem die Landesorganisationen oder Geschäftsbereiche eine limitierte Anzahl an Zielen flexibel auswählen können. In der Regel kommen zwei bis vier sehr gut quantifizierbare Ziele zur Anwendung.
- Zielmessungs- und Auszahlungsrhythmus: Produktabhängig sollten die Auszahlungen vierteljährlich oder monatlich erfolgen beziehungsweise soweit „in line of sight“ möglich ist.
- Paymix: Das Verhältnis von fixer Grundvergütung zu den variablen Vertriebs-Incentives wird durch Corporate Compensation & Benefits landesspezifisch definiert.
Info
- Adams, J-S. : Inequity in social exchange. In L. Berkowitz (Ed.), Advances in experimental social psychology (Vol. 2, pp. 267 –299). New York, 1965.
- Friebel, G./Heinz, M./Krueger, M. und Zubanov, N.: Team Incentives and Performance: Evidence from a Retail Chain. American Economic Review, 107(8), 2168–2203, 2017.
- Mercer: Policy & Practice Report 2023 – market cut for manufacturing/ engineering companies, 2023.
Viele Vertriebsvergütungssysteme haben neben einer nicht einheitlichen Ausgestaltung nach wie vor das zusätzliche Problem, dass sie häufig zu kleinteilig ausgestaltet sind – mit zu viele Zielgrößen, komplexen Auszahlungskurven et cetera. Dies entstammt häufig aus der unternehmensseitigen Befürchtung, nicht alle wichtigen Zielgrößen zu incentivieren. Arbeitgeber sind gut beraten, sich zu vergegenwärtigen, dass ein Incentive-Modell nie alle Probleme lösen kann und eine stärkere Fokussierung und Standardisierung wesentlich effektiver und im wahrsten Sinne des Wortes zielführender ist.
Autor
Dr. Björn Hinderlich
Partner, Executive Rewards Solutions Leader Central & Eastern Europe
Career und Workforce Solutions, Mercer
bjoern.hinderlich@mercer.com
www.mercer.com
Dr. Nicolas Tichy
Senior Compensation Consultant, Mercer
nicolas.tichy@mercer.com
www.mercer.com
