In der Theorie besteht kein Zweifel: Natürlich könnte die Anwendung lernender Systeme HR die Arbeit (auch) in der Personalentwicklung leichter machen. Doch praktisch ist dies bisher weitgehend auf den Teilbereich Weiterbildung beschränkt. So lässt die Telekom ihren Mitarbeitern mittels einer KI-gestützten Software Kurse vorschlagen, die deren Interessen entsprechen oder durch die sie spezielle Kompetenzlücken schließen können, welche, zum Beispiel, einer Beförderung im Wege stehen. Wobei Angebot und Nachfrage laut dem Saarbrückener Professor und KIExperten Stefan Strohmeier selbst im Learning-Bereich, für den es „forschungsseitig viele Vorschläge zur sinnvollen KI-Nutzung“ gebe, noch recht begrenzt sind. In ein System zu investieren, das je nach Lerntyp bestimmte Inhalte, Lernphasen oder auch Pausen vorschlage, habe für wenige Unternehmen Priorität.
Noch, muss man sagen. Die durch Corona beschleunigte Digitalisierung steigert gleichermaßen den Bedarf wie die Möglichkeiten der Personalentwicklung. Und zwar nicht nur im Learning. So sieht Britta Gross, Leiterin Talent und Transformation Innovation für die DACHRegion bei IBM, „große, durch Technologiesprünge begünstigte Transformationen“ in Gang gekommen.
Ihr Arbeitgeber reagiert darauf mit den Watson Talent Frameworks: Eine Bibliothek mit industriespezifischen Jobprofilen, die HR zu definieren helfen, was Mitarbeiter für eine bestimmte Tätigkeit benötigen. Gross: „Heute gehen alle Unternehmen in die Cloud. Dabei haben zum Beispiel bei IBM noch viele der rund 350 000 Mitarbeiter ihre Karrieren in einer Welt von Nicht-Cloud-Systemen gemacht.“ Deshalb bedürfe es eines organisationsübegreifenden Re-Skillings. Dazu habe IBM eine KI entwickelt, die durch Ontologien das cloudspezifische Verständnis- und Kompetenzniveau von Mitarbeitern prüfe und passende Weiterbildungsmaßnahmen vorschlage.
Personal entwickeln, Personal organisieren
Tatsächlich könnten sich Systeme wie die der Telekom und von IBM bald ausbreiten. Denn wo der besagte Digitalisierungsschub, fortbestehender Fachkräftemangel und verstärkter Kosten- und Veränderungsdruck zusammenkommen – also in sehr vielen Unternehmen –, liegt es nah, Bestandsmitarbeiter fortzubilden und sie dort einzusetzen, wo sie am meisten bewirken.
Vielerorts wird dann vielleicht folgendes Szenario zur Realität: Ausgeklügelte KI-Systeme helfen Mitarbeitern zu verstehen, welche Fertigkeiten ihre Rollen und Positionen erfordern. Bots führen die Beschäftigten durch einen PE-Prozess, in dessen Verlauf sie ihre Kompetenz-Sets, speziellen Karriereoptionen und Jobvorstellungen erfassen und dazu passende Weiterbildungsmaßnahmen vorschlagen – die die Bots, Zustimmung vorausgesetzt, auch sogleich automatisch buchen. Das Ganze, nachdem sie zuvor anhand von Daten aus 360-Grad-Feedbacks und KI-gesteuerten Assessment-Tools die Softskills der Mitarbeitenden analysiert und mit den Erfordernissen abgeglichen haben. Ein Lernbot wie „Ed“ von SAP beantwortet dabei auch noch Fragen und unterstützt damit Trainer und Tutoren.
Für die meisten Arbeitgeber ist das freilich Zukunftsmusik – die zu spielen es Übung braucht, aber auch richtig ausgestattete und wohlgestimmte Instrumente. So sind Big Data Voraussetzung für das beschriebene KI-Szenario, das allerdings in fünf bis zehn Jahren Standard sein könnte. Konventionelle PE-Medien werden sich voraussichtlich bald als zu träge erweisen, um den Anforderungen einer hoch flexibilisierten, VUCA-bestimmten Arbeitswelt an das Qualifizierungsmanagement genügen.
Im Zuge dieser Veränderung dürfte PE auch noch stärker mit Nachbardisziplinen wie Personalplanung und Organisationsentwicklung verschmelzen.
Denn der Einsatz KI-gestützter Anwendungen treibt die Verzahnung der Prozesse voran, wie sie moderne Mitarbeiterentwicklung verlangt. Re- und Upskilling hier, Informationstransfer und Wissensaustausch da: Am Ende geht es beim Watson Talent Framework IBM oder Ed, dem Bot, stets um etwas, das nach in der HR-Community vorherrschender Ansicht für das Unternehmen der Zukunft entscheidend sein wird: Die Einzelnen fachlich und persönlich zu stärken und sie in jenen Bereichen und Teams einzusetzen, in denen sie am besten zur Geltung kommen.
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Ulli Pesch ist freier Journalist und schreibt regelmäßig über das Thema HR-Software in der Personalwirtschaft.