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Foto: pressmaster / stock.adobe.com
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Die Altersvorsorge ruht auf drei ungleich hohen Säulen: In der Physik wird das Resultat als schiefe Ebene bezeichnet. Diese Statik wäre nicht weiter dramatisch, wenn die Säule der gesetzlichen Rente ausreichen würde, um den Lebensstandard im Alter zu halten.

Selbst wenn die Politik meint, genügend Anreize zu schaffen, um den Pfeiler der betrieblichen Altersvorsorge (bAV) auf gleiche Höhe mit der gesetzlichen zu bringen: Ein entscheidender Wachstumsschub bleibt aus – trotz Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG). Die Verbreitung der bAV stagniert und gerade in kleinen und mittelständischen Betrieben ist sie unterrepräsentiert.

Status Quo

Als betriebsame Stagnation beschreiben die Rentenexperten die aktuelle Lage in Sachen bAV. Zwar harmonisieren und modernisieren viele Arbeitgeber ihre Versorgungswerke, vereinheitlichen ihre Zusagen im Konzern und/oder wählen einen modernen Leistungsplan. Doch das Beitragsvolumen insgesamt ändert sich nur marginal. Auch an der Umstellung der digitalen bAV-Prozesse arbeiten etliche Unternehmen. Unterm Strich gibt es zwar viel Bewegung, doch die Anzahl der Arbeitnehmer, die von einer bAV profitieren, vergrößert sich kaum.

Zinsflaute & Co.

Für Versicherer und Pensionskassen wird es aufgrund der aktuellen Niedrigzinsphase immer schwieriger, die Zinsversprechen am Kapitalmarkt zu erwirtschaften. Mehr als 30 Pensionskassen stehen unter intensivierter Aufsicht der BaFin. Finanzierungslücken und Leistungskürzungen waren im Jahr 2019 kein Einzelfall. Welcher Durchführungsweg ist derzeit überhaupt geeignet?

Eine Reihe von Unternehmen mit Direktzusagen denkt darüber nach, den Durchführungsweg zu wechseln. Andere haben den Wechsel in Richtung Unterstützungskasse oder Pensionsfonds bereits hinter sich. Eine solche Übertragung ist insbesondere für HGB-Bilanzierer interessant, denn sie können die Spezialvorschrift des Passivierungswahlrechts nutzen und haben das Zinsänderungsrisiko nicht mehr in der Bilanz. Arbeitgebern, die den Weg der Direktzusage beibehalten möchten, raten die Experten, sich von der Zinsabhängigkeit zu lösen, indem sie zum Beispiel die Höhe der Versorgungsleistungen an Wertpapiere oder Versicherungen koppeln.

Hürden bei der Entgeltumwandlung

Eigentlich klingt § 1a Absatz 1a im Betriebsrentengesetz (BetrAVG) glasklar, doch das täuscht. Denn bei der Vorschrift, die für Neuabschlüsse seit dem 1. Januar 2019 gilt, herrscht in der Umsetzung viel Unsicherheit. Der erste Stolperstein des Gesetzes: Es fehlt eine Entscheidung, ob bei schon bestehenden Matching-Modellen, in denen sich der Arbeitgeber zu einem pauschalen Zuschuss zur Entgeltumwandlung verpflichtet hat, der nach neuer Rechtslage fällige Arbeitgeberzuschuss erfüllt ist. Hier wird erst ein gerichtlicher Prozess Klarheit schaffen. Bis dahin ist Unternehmen zu empfehlen, zusammen mit dem Betriebsrat in der bestehenden Versorgungsordnung klarzustellen, dass mit dem bisher geleisteten Zuschuss auch eine Erfüllung des gesetzlich verpflichtenden Arbeitgeberzuschusses sichergestellt ist. Weitere Stolpersteine des Gesetzes: Muss die spitze Abrechnung der 15 Prozent auf den Jahresbetrag zur Sozialversicherung erfolgen oder auf den Monatsbetrag? Und ist bei einer pauschalen Berechnung der Beitrag, bei dem ein Arbeitgeber unterm Strich mehr einzahlt, auch insolvenzgeschützt und unverfallbar? Hier fehlen noch Antworten.

Erster Tarifvertrag nach dem Sozialpartnermodell

Erst gab es viel Optimismus, dann Hoffnung bis hin zur ersten Resignation. Und nach 22 Monaten BRSG kommt die Premiere: Im Oktober 2019 wurde das erste Sozialpartnermodell mit „Die Deutsche Betriebsrente“, Verdi und der Talanx AG beschlossen. Dass Talanx und Zurich die beiden Kooperationspartner hinter dem Versorgungswerk sind und Talanx nun auch der erste Kunde wird, lässt sich als geschickter Schachzug bezeichnen. Im Januar könnte der Startschuss fallen, vorbehaltlich der Genehmigung des Bundesvorstands von Verdi und der Genehmigung der BaFin.

Die Resonanz der Round-Table-Experten ist ausgesprochen positiv. Wenn jetzt erste Erfahrungen zeigen würden, dass die Zielrente funktioniere, wachse das Interesse von Arbeitnehmer und Tarifpartnern.

Kommt das Obligatorium?

Um den Verbreitungsgrad der betrieblichen Altersversorgung zu erhöhen, hatte die Regierungskommission „Verlässlicher Generationenvertrag“ ein Rechtsgutachten ausgeschrieben, das die verfassungsmäßigen Grenzen für ein Obligatorium und von Opting-out-Modellen ausloten soll. Das Gutachten – im Dezember 2019 veröffentlicht – sieht wenig Hindernisse. Aber ist dieser Weg eine ernsthafte Alternative? Aus Sicht der bAV-Fachleute eher nicht, denn es würde von Arbeitnehmern als Sonderabgabe wahrgenommen. Und vor dem Hintergrund der schon heute hohen Belastung der Arbeitgeber mit Sozialabgaben, sei ein Obligatorium auch aus grundsätzlichen wirtschaftspolitischen Gründen nicht sinnvoll. Wünschenswert sei dagegen, so die Berater, wenn der Gesetzgeber seine Hausaufgaben erledigen und die Rahmenbedingungen bei Rückstellungen und Doppelversteuerungen angehen würde.

bAV-Digitalisierung im Aufschwung

In den meisten HR-Prozessen ist die digitale Abwicklung, beziehungsweise ein hoher Automatisierungsgrad, längst Alltag. So auch bei der Sozialversicherung und der Payroll. Jetzt zieht die bAV nach. Immer mehr Arbeitgeber erkennen, dass digitale bAV-Plattformen dabei unterstützen, die Komplexität der bAV aufzufangen sowie die Aufklärungs- und Informationspflicht zu vereinfachen. Auch registrieren sie, dass die digitale Abwicklung viel Zeit und Geld sparen kann. Online-Plattformen bieten außerdem eine transparente Entscheidungsbasis für Arbeitnehmer. Auch das spart Ressourcen bei den Arbeitgebern, die am Ende auf eine höhere Rente einzahlen.

Bilderstrecke:

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie beeinflussen auch die betriebliche Altersversorgung. Hier finden Sie die wichtigsten Aussagen der acht bAV-Expertinnen und -Experten, die im Round Table diskutierten.

Christiane Siemann ist freie Wirtschaftsjournalistin und insbesondere spezialisiert auf die Themen Comp & Ben, bAV, Arbeitsrecht, Arbeitsmarktpolitik und Personalentwicklung/Karriere. Sie begleitet einige Round-Table-Gespräche der Personalwirtschaft.

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