Update (23. August 2023): Der frühere Chef-Redakteur der Bild-Zeitung, Julian Reichelt, und der Axel Springer-Verlag haben ihren arbeitsrechtlichen Streit außergerichtlich beigelegt. Bezüglich des Inhalts der Einigung haben beide Parteien Vertraulichkeit vereinbart. Der Medienkonzern verrät in seiner Pressemitteilung nur so viel: „Julian Reichelt bedauert, Informationen an den Berliner Verlag übermittelt zu haben“. Und weiter: „Die Einigung erfüllt Kernanliegen der Klage.“
Julian Reichelt und sein ehemaliger Arbeitgeber, der Springer-Verlag, haben sich am vergangenen Freitag vor dem Berliner Arbeitsgericht beim Gütetermin – dem ersten Termin nach Erhebung einer Kündigungsschutzklage – nicht geeinigt. Hier hätte es zu einem Vergleich kommen können. Zuvor hatten sie sich gegenseitig verklagt, nachdem der Verlag dem ehemaligen Chefredakteur das Arbeitsverhältnis kündigte. Grund dafür waren schwere Vorwürfe von Machtmissbrauch und sexueller Belästigung gegen Reichelt. Er soll mit mehreren Kolleginnen sexuelle Beziehungen gehabt haben.
Nicht aber wegen des angeblichen Machtmissbrauchs, sondern wegen vermuteter Verstöße gegen Klauseln des Abwicklungsvertrages fanden sich die Streitparteien vor Gericht wieder. Der Verlag fordert, dass Reichelt seine Abfindung in Höhe von 2 Millionen Euro zurückzahlt sowie eine Vertragsstrafe in Höhe von 192.000 Euro zahlt. Zudem hat der Springer-Verlag Strafanzeige gegen Reichelt wegen Betrugs gestellt. Hierzu ermittelt die Staatsanwaltschaft Berlin, es war am Freitag nicht Teil der Verhandlung.
Um welche Verstöße geht es?
Vielmehr drehten sich die Verhandlungen um folgenden Verdacht: In dem Abwicklungsvertrag mit seinem ehemaligen Arbeitgeber soll Reichelt sich dazu verpflichtet haben, vertrauliche Daten entweder zu löschen oder dem Springer-Verlag zu übergeben. Wie aber öffentlich bekannt ist, hat er Unterlagen an verschiedene Medien weitergegeben, darunter an Holger Friedrich, Chef des Berliner Verlags, der unter anderem die Berliner Zeitung publiziert. Friedrich hat die Unterlagen nicht veröffentlicht, den Springer-Verlag aber über die herausgegebenen Unterlagen in Kenntnis gesetzt. Es handele sich um private Chat-Nachrichten.
Stephan Pötters, Arbeitsrechtler der Kanzlei Seitz und Reichelts Anwalt, räumte im Gütetermin nun zwar ein, dass Reichelt Chats mit einer Mitarbeiterin an Holger Friedrich geschickt habe – darüber hinaus aber seien die Vorwürfe von Springer haltlos. In der Pressemitteilung des Arbeitsgerichts Berlin heißt es, Reichelt sei „zu deren Aufbewahrung und sogar Veröffentlichung […] von maßgeblichen Vertretern des Springer-Verlags ausdrücklich aufgefordert worden“. Weiterhin bestehe bezüglich dieser Chats keine Geheimhaltungsverpflichtung und daher liege kein Verstoß vor. Inwiefern die Klausel des Abwicklungsvertrag zur Geheimhaltung und zur Herausgabe von Gegenständen und Dateien nun also diese privaten Chat-Nachrichten abdeckt, gilt vom Gericht zu klären. Was genau Julian Reichelt an die Berliner Zeitung gesendet hat, muss der Springer-Verlag nun beweisen. Zudem soll Reichelt gegen die Klausel zu einem Abwerbeverbot verstoßen haben, in dem er Mitarbeitende von Axel Springer abgeworben haben soll.
Wieso klagt auch Reichelt?
Julian Reichelt wiederum hatte Widerklage eingereicht. Er verlangt vom Springer-Verlag Auskunft über bestimmte ihn betreffende gespeicherte Daten aus dem intern geführten Compliance-Verfahren sowie Schadensersatz in Höhe von mindestens 1000 Euro. Genauer genommen möchte Reichelt Einsicht in die Aussagen der Mitarbeiterinnen haben, die ihm Machtmissbrauch vorwerfen. Anspruchsgrundlage zur Einsicht in die Akten sei die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Der Springer-Verlag, vertreten von Arbeitsrechtler Christian Hoefs der Kanzlei Hengeler Mueller, erachtet die Ansprüche, die Reichelt zu erheben versucht, für unbegründet. In dem Compliance-Verfahren gehe es auch um die Daten Dritter, deren Offenlegung Reichelt nicht beanspruchen könne. Daher stehe der Zeugenschutz dem von der anderen Seite geforderten Datenschutz gegenüber.
Pascal Croset, der ebenfalls Arbeitsrechtler ist und beim Gütetermin vor Ort war, weist in einem Linkedin-Video darauf hin, dass es bei solchen Unterlagen grundsätzlich die Möglichkeit gibt, Teile zu schwärzen oder eine Vertraulichkeitsvereinbarung vor der Durchsicht zu unterschreiben. Croset zufolge sei in diesem Rechtsstreit wieder einmal besonders deutlich, wie wichtig wasserdichte Klauseln in solchen Abwicklungs- oder Aufhebungsverträgen seien.
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Die Sache wird in einem noch anzuberaumenden Kammertermin – voraussichtlich im November 2023 – fortgesetzt.
Info
Arbeitsgericht Berlin, Aktenzeichen 56 Ca 4513/23
(Dieser Artikel wurde ursprünglich am 13. Juni veröffentlicht. Am 23. August wurde er aktualisiert.)
Gesine Wagner betreut als Chefin vom Dienst Online die digitalen Kanäle der Personalwirtschaft und ist als Redakteurin hauptverantwortlich für die Themen Arbeitsrecht, Politik und Regulatorik. Sie ist weiterhin Ansprechpartnerin für alles, was mit HR-Start-ups zu tun hat. Zudem verantwortet sie das CHRO Panel.

