Aktuelle Ausgabe neu

Newsletter

Abonnieren

Der Weg zur Entgelttransparenz bei der Rewe Group

Artikel anhören
Artikel zusammenfassen
Teilen auf LinkedIn
Teilen per Mail
URL kopieren
Drucken

Als die EU-Richtlinie zur Entgelttrans­parenz am 6. Juni 2023 in Kraft trat, setzte die ­Rewe Group unmittelbar danach ein Projekt auf. Michael ­Fräßdorf, Head of Compensation & Benefits, berichtet im Interview, warum und wie der Konzern zeitnah mit den strategischen und operativen Aufgaben startete.

COMP & BEN: Herr Fräßdorf, Sie haben die Tragweite der EU-Richtlinie sehr früh erkannt. Warum hat sich die Rewe Group so rechtzeitig an die Arbeit ­gemacht?

Michael Fräßdorf: Eine der Kernaufgaben des Unternehmensbereichs Compensation & Benefits liegt darin, die Entwicklungen am Markt, der Rechtsprechung und der Gesetzgebung für die gesamte Rewe Group zu verfolgen. Tatsächlich bin ich 2021 schon auf den ersten Entwurf der Entgelttransparenzrichtlinie aufmerksam geworden. Mein Team und ich haben uns damit befasst und festgestellt, dass da einige Aufgaben auf uns zukommen. Denn die Rewe Group ist nicht nur ein großer Konzern, sondern als Genossenschaft gehören auch viele selbstständige Kaufleute zu uns.

Was folgt daraus?

Das bedeutet: Wir müssen das Thema Entgelttransparenz sowohl aus der Perspektive des Konzerns als auch aus dem Blickwinkel der selbstständigen Kolleginnen und Kollegen mitdenken. Da wir erkannt haben, dass die Richtlinie ein hohes Maß an Komplexität beinhaltet, sind wir frühzeitig in die Thematik eingestiegen, um zu prüfen, was sie für die Rewe Group im Detail bedeutet und wie wir das Thema möglichst effektiv und effizient angehen können. Aber die Voraussetzungen der EU-Richtlinie zu erfüllen, ist nur eine Seite unserer Motivation.

Welche weiteren Motive treiben Sie an?

Zum einen wollen wir als Rewe Group selbst­motiviert gleiche und faire Chancen für alle unsere Beschäftigten bieten, und die Entgelttransparenz wird uns helfen, eventuell vorhandene Gender-Pay-Gaps zu identifizieren und zu schließen. Je früher und je transparenter das gelingt, umso attraktiver werden wir für Bewerberinnen, Bewerber und ­natürlich auch für unsere langjährigen Beschäf­tigten. Zum anderen haben wir die EU-Vorgaben zum ­Anlass genommen, um unsere Gehaltssystematiken zu überprüfen und zu modernisieren. Zum Beispiel haben wir Joblevel, Jobfamilien und Fachkarrieren eingeführt, um ein einheitliches Verständnis von gleicher und gleichwertiger Arbeit zu erlangen.

Gibt es weitere Aspekte?

Ein weiterer Effekt der Überarbeitung des Ver­gütungssystems ist: Auch organisatorische und administrative Prozesse werden bei der Umsetzung der EU-Richtlinie auf den Prüfstand gestellt und können, wo notwendig, optimiert werden. Also sind es nicht nur das Erkennen und Beseitigen des ­Gender-Pay-Gaps, was uns weiterbringt, sondern auch positive Nebenaspekte, die wir für uns nutzen wollen.

Wie sahen die ersten Schritte aus?

Wir sind im Oktober 2023 auf den Vorstand zugegangen und haben uns einen Projektauftrag geholt, um die Umsetzung der EU-Richtlinie innerhalb der Rewe Group vorzubereiten. Anfang 2024 haben wir in einer Kick-off-Veranstaltung die Betriebsräte eingebunden. Im Anschluss konnten wir mit der Zuordnung aller Stellen und Personen in die neue Jobarchitektur beginnen. Diese wurde zum größten Teil bis zum Jahresende 2024 abgeschlossen. Nun werden die Ergebnisse in unsere IT-Systeme überführt.

Welche Maßnahmen standen als Nächstes an?

Da wir in 21 europäischen Ländern aktiv sind, war es vordringlich, ein einheitliches und gemeinsames Verständnis der Gleichwertigkeit von Funktionen zu erzielen. Es war ein großer Projekterfolg, dass uns dies gelungen ist. Wir haben eine Fachlaufbahn mit zehn Jobleveln und eine Führungslaufbahn mit sechs Jobleveln definiert. Damit liegt nun eine Zielstruktur vor, mit der wir zukünftig einheitlich in allen europäischen Ländern der Rewe Group verbindlich arbeiten wollen – in den anderen optional.

Häufig ist zu hören, das Zusammentragen von Stellen- und Vergütungsdaten sei extrem aufwendig. Welche Erfahrung haben Sie damit gemacht?

Das Sammeln der Daten war grundsätzlich nicht schwierig, aber die Zuordnungen und Quer­ver­gleiche sind sehr zeitintensiv. Eine Hürde lag bei uns darin, dass es kein zentrales HR-Stammdaten­system gibt, sondern mehrere unterschiedliche. Daher müssen nun in mehreren Systemen parallel die Strukturen, die wir einführen, sauber abgebildet werden.

Die EU-Richtlinie überlässt es den einzelnen Mitgliedstaaten, die erforderlichen Konzepte zu entwickeln, um den Wert von gleicher und gleichwertiger Arbeit zu ermitteln und zu vergleichen. Vom deutschen Gesetzgeber sind in unmittelbarer Zukunft keine Vorschläge zur Methode zu erwarten. Welches Vorgehen haben Sie für die Bewertung bei Rewe gewählt?

Ich begrüße es sehr, dass es von der Europäischen Union keine Vorgaben zu einer Methode gibt. Ich ­gehe ebenso davon aus, dass die neue Gesetzgebung an dieser Stelle keine zusätzlichen Vorgaben machen wird. Viele Unternehmen haben bereits seit etlichen ­Jahren Stellenbewertungssysteme etabliert, sodass es eine völlig unnötige Überforderung wäre, alle auf einen Standard zu verpflichten. Für das Einordnen unserer Stellen haben wir eine solide, pragmatische Lösung gefunden: Es ist uns ge­lungen, in kürzester Zeit mit überschaubarem Aufwand und guter Qualität die Einordnung vorzunehmen.

Warum ist das ein zentraler Erfolgsfaktor?

Nach traditionellem Denken wäre es notwendig gewesen, für jede Stelle zunächst eine Beschreibung abzugeben und dann klassisch zu graden. Selbst wenn wir dabei auf bewährte Stellenbewertungssysteme zurückgegriffen hätten, wäre es notwendig gewesen, jeden und jede, die in den Prozess eingebunden sind, zu schulen, sodass alle Beteiligten die Kriterien einheitlich anwenden können. Der Zeit- und Kostenaufwand wäre gigantisch gewesen und hätte Führungskräfte, Betriebsräte und HR-Verantwortliche lange Zeit bei ihrem Tagesgeschäft blockiert. Daher haben wir geschaut, die Stellen auf einem anderen Weg zu bewerten und einzuordnen.

Welche Lösung haben Sie gefunden?

Die Ausgangsfrage „Wie komme ich von einer Stelle zur Beschreibung und Bewertung sowie zur Einordnung in eine Jobfamilie?“ lässt sich umkehren. Wir fragten uns: „Gibt es ein diskriminierungsfreies Stellenbewertungssystem, das unsere Bedürfnisse erfüllt, sodass unsere Zielstruktur mit den Ebenen und Jobfamilien abgebildet werden kann?“ Mehrere Modelle haben wir unter den genannten Prämissen angeschaut, und wir haben uns entschieden, die Kriterien, die die Wertigkeit der Stellen definieren, aus der Analytik von Mercer abzuleiten. Auf dieser Basis konnten wir für jedes Joblevel auf unserer Fach- und Führungslaufbahn Beschreibungen ableiten, wie man sie aus Tarifverträgen kennt.

Wie gingen Sie weiter vor?

Die Beschreibungen haben wir gemeinsam mit unserer Zielstruktur und einem Glossar als Arbeitsmittel in die Organisation gegeben, um die Stellen zuzuordnen. Da wir am Ende des Prozesses die Stellen mit marktbasierten Gehaltsbändern aus fundierten Vergütungsstudien abgleichen wollen, ist es letztendlich sinnvoll, auch die Jobfamilien des Anbieters der Vergütungsstudie anzuwenden und keinen eigenen Jobfamilienkatalog zu erfinden. Im Ergebnis ist es uns gelungen, bis Ende 2024 eine stabile Basis für alle weiteren Projektschritte zu schaffen. Das ist ein enormer Erfolg.

Die Rewe Group ist in vielen Geschäftsbereichen wie Einzelhandel, Großhandel, Spedition, Produktion und Touristik in Deutschland tarifgebunden. Die Annahme der Urheber der EU-Entgelttransparenzrichtlinie lautet, dass auf tarifgebundene Unternehmen kaum Arbeit zukommt. Sehen Sie das auch so?

Das ist aus zwei Gründen leider nicht richtig. Erstens wird meiner Einschätzung nach auf die Tarif­parteien die Frage zukommen, ob alle ­Tarifverträge diskriminierungsfrei und zeitgemäß sind. Mit zeitgemäß meine ich insbesondere, dass die in den Tarifverträgen beschriebenen Tätigkeiten auch noch zur modernen Arbeitswelt passen. Zweitens ist es bei vielen Arbeitgebern und auch bei der Rewe Group üblich, dass die tariflich eingruppierten Beschäftigten nicht ausschließlich von Vergütungsbestandteilen profitieren, die im Tarifvertrag geregelt sind. Sie erhalten auch übertarifliche Leistungen, bei denen ebenso gesichert sein muss, dass diese diskriminierungsfrei gestaltet sind und zugeteilt werden. Im Übrigen gelten die individuellen Auskunftsansprüche selbstverständlich auch für tarifliche Mitarbeitende auf den eingruppierten Positionen. Das bedeutet für Arbeitgeber, dass sie ebenfalls Prozesse aufsetzen müssen, um diese Auskunfts­ersuche effizient und in hoher Qualität zu bearbeiten.

Welche Arbeitsschritte auf dem Weg zur Entgelttrans­parenz liegen 2025 noch vor Ihnen, und haben Sie schon einen Überblick über den Gender-Pay-Gap?

Den haben wir heute noch nicht. Sobald die neue Jobarchitektur in unseren IT-Systemen abgebildet ist, können wir die Vergleichsgruppen bilden und eine Analyse vornehmen. Danach wird sich zeigen, ob und wo Handlungsbedarf besteht, um ungerechtfertigte Gender-Pay-Gaps zu schließen. Hierbei ist auch noch zu klären, wie wir Entgelt­unterschiede erklären können und wollen. Wir werden in diesem Jahr auf Basis der neuen Jobarchitektur auch neue Vergütungsbänder entwickeln und entscheiden, ob wir zukünftig im Rahmen des Recruitings die Bänder oder die Einstiegsgehälter kommunizieren wollen und wie zukünftig die Verteilung der Gehaltsanpassungsbudgets erfolgen soll. Weiterhin ist geplant, die Berichterstellung sowie das individuelle Auskunftsverfahren möglichst zu automatisieren.

Alles zum Thema

COMP & BEN

Dieser Beitrag ist zuerst im Vergütungsmagazin Comp & Ben erschienen. Das Onlinemagazin berichtet in sechs Ausgaben pro Jahr über aktuelle Themen rund um Compensation & Benefits und betriebliche Altersversorgung. Hier können Sie das Magazin kostenlos herunterladen – und hier können Sie den COMP-&-BENNewsletter abonnieren.

Die Entgelttransparenzrichtlinie sieht vor, dass Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden mitbestimmungspflichtig sind. Wie sind Sie vorgegangen?

Wir haben uns die Frage gar nicht gestellt, ob wir das irgendwann müssen und in welchem Umfang, sondern wir sind proaktiv auf die Betriebsräte zugegangen. Wir haben eine gemeinsame Arbeitsgruppe mit Vertretern der deutschen Betriebsratsgremien eingerichtet und unsere Vorgehensweise in dieser Arbeitsgruppe abgestimmt. Dort werden auch Kommunikations- und Befähigungsmaterialien für HR-Partner, Führungskräfte, Betriebsräte und Mitarbeitende erarbeitet. Wesentliche Aufgabe in der Arbeitsgruppe ist, Musterbetriebsvereinbarungen zur Jobarchitektur, zur Vergütungssystematik und zur Schließung der vorhandenen Regelungs­lücken in der EU-Richtlinie zu erstellen. Wir möchten unser gemeinsames Verständnis dokumentieren, wie wir die Anforderungen bestmöglich erfüllen wollen. Die Zusammenarbeit findet vertrauensvoll und auf Augenhöhe mit gemeinsamer Zielsetzung statt.

An welchen Punkten muss der neue Gesetzgeber konkreter werden?

Zum einen benötigen wir klare Vorgaben, wie die Vergleichsgruppen sauber zu bilden sind. Geht es nun um „gleiche“ oder „gleichwertige“ Jobs? Folgt man der EuGH-Rechtsprechung, dann überwiegt die Interpretation der Gleichwertigkeit. Das wiederum würde zu sehr großen Vergleichsgruppen führen. Hier wünschen wir uns Klarheit. Zum anderen ist der sehr breit gefasste Begriff des Entgelts, mit dem die EU-Richtlinie operiert, irritierend. Unter Entgelt fallen demnach alle Formen von finanziellen und nicht finanziellen Leistungen, die ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses erhält. Wäre es nicht sinnvoller, sich auf die Bestandteile zu konzentrieren, bei denen eine Diskriminierung vorliegen kann, und diese dann auszuschließen? Wir sind auf jeden Fall gewillt, eine sehr gute Umsetzung der Richtlinie auf die Beine zu stellen, aber wir stochern bei vielen Fragen noch im Nebel.

(Dieser Artikel erschien zuerst am 17. Juni 2025 und wurde zuletzt am 18. Juni 2025 leicht angepasst.)

Christiane Siemann ist freie Wirtschaftsjournalistin und insbesondere spezialisiert auf die Themen Comp & Ben, bAV, Arbeitsrecht, Arbeitsmarktpolitik und Personalentwicklung/Karriere. Sie begleitet einige Round-Table-Gespräche der Personalwirtschaft.