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Rüstungsbranche braucht Personal: So ist HR gefordert 

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Während ein Großteil der Wirtschaft gerade mit einer Konjunkturflaute kämpft, Personal abbaut oder zumindest nicht neu einstellt, suchen Rüstungshersteller händeringend neue Mitarbeitende. Ob in den Chefetagen, der IT, im Personalwesen oder in der Produktion: Der Hunger nach neuer Arbeitskraft ist angesichts der üppigen Auftragslage groß.  

Rheinmetall etwa stellte seit Jahresbeginn seriösen Schätzungen zufolge 500 neue Mitarbeitende pro Monat ein, vor allem im Produktions- und IT-Sektor. Der Radar- und Sensorspezialist Hensoldt suchte bereits im 2024 eigenen Angaben zufolge bereits 1.000 neue Beschäftigte. Laut der Zeitung „Die Welt“ kamen im Mai dieses Jahres rund 10.000 Bewerber auf 1.000 Stellen. Ebenfalls hoch ist der Bedarf bei Diehl, Renk und Airbus Defence and Space. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) erwartet aktuell, dass durch die hohen Verteidigungsausgaben des Bundes in Deutschland bis zu 200.000 Arbeitsplätze entstehen könnten.  

Doch wie kommen die Unternehmen an so viele geeignete Kandidaten und Kandidatinnen, wenn viele in Berufen arbeiten, die sowieso schon gefragt sind, der Sektor für ethische Bedenken sorgen könnte und Sicherheitsfreigaben eine Rolle spielen? 

Rüstungshersteller von Bewerbungen überrollt 

Dazu kann Mark Brenner etwas sagen. Er ist Managing Partner bei der Headhunting-Agentur The People Hive, die mit Defensearch (Eigenschreibweise: defensearch) vor einem Jahr eine eigene Marke für die Rüstungsbranche gegründet hat. Er beobachtet gerade, wie sich der Bereich rapide ändert. Da wäre zum Beispiel der Ruf, der vor Jahren noch eher schlecht war. Für viele war eine Karriere im Rüstungsbereich ausgeschlossen: „Es war eine vorbelastete Branche”, sagt Brenner.  

Auch im Recruiting habe man sich von der Rüstungsindustrie ferngehalten. „Das hat sich komplett gedreht.” Nun könnten sich Bewerbende auch wieder mehr mit der Branche identifizieren: „Es gibt dieses Gefühl, dass man ein Stück auch dankbar sein muss, dass wir hier in Deutschland eine recht gut aufgestellte Rüstungsindustrie haben.”  

Zu beobachten ist das an den Bewerberzahlen. Der Rüstungsriese Rheinmetall verzeichnete 2023 beispielsweise mehr als 100.000 Bewerbungen und 2024 bereits 175.000. Für dieses Jahr werden sogar bis zu 300.000 Bewerbungen erwartet. Zu erklären sei das vor allem durch den medialen Hype: „Es gibt einige sehr große Unternehmen, die im Rampenlicht stehen”, sagt Brenner. Neben Rheinmetall meint er damit auch Unternehmen mit einem innovativen Image wie das Drohnen-Start-up Helsing. „Es gibt auch sehr viele kleinere Unternehmen, die händeringend suchen.” Manche von ihnen steigen erst gerade in den Rüstungsbereich ein. 

Den Imagewandel der Industrie unter Bewerbenden erklärt sich Brenner vor allem durch die guten Aussichten, auch im Vergleich zu der angeschlagenen Automobilindustrie. Unternehmen aus der Zulieferindustrie melden gerade reihenweise Insolvenz an. Die benötigten Qualifikationen für die Rüstungsindustrie überschneiden sich dabei oft mit den vorhandenen in der Automobilindustrie.  

Im Januar dieses Jahres bot das Rüstungsunternehmen Hensoldt Mitarbeitenden des geschlossenen Werks des Automobilzulieferers Continental in Wetzlar eine Übernahme an. Dafür mussten sich Mitarbeitende zwar erst einmal bewerben, doch das Beispiel zeigt, wie interessant Beschäftigte aus den angeschlagenen Branchen für die Rüstungsunternehmen sein können. 

Bewerber suchen Sicherheit statt Rekordgehalt 

Dass die Bewerbenden vor allem wegen der besseren Bezahlung zu den Rüstungsunternehmen strömen, sei ein Mythos. „Viele suchen Sicherheit und sind dafür sogar bereit, ein niedrigeres Gehalt zu akzeptieren”, sagt Brenner. „Das war vor drei Jahren noch anders.” Generell werde in der Rüstungsindustrie nicht viel besser bezahlt als in anderen Industrien. Nur für spezialisierte Posten und Führungspositionen, die viel Vorerfahrung in der Branche voraussetzten, werde vor allem mit der Höhe des Gehalts um Kandidaten und Kandidatinnen geworben.    

Das Geld fließe gerade in Forschung und Entwicklung, den Aufbau von neuen Produktionsstandorten und Internationalisierung. Obwohl in allen Bereichen gesucht werde, läge die Nachfrage nach Mitarbeitenden deshalb auch überwiegend in der Produktion sowie in der Forschung und Entwicklung, sagt Brenner. Das sei bedingt durch den Aufbau neuer Produktionsanlagen infolge der Auftragsflut. Geschätzt lägen hier 60 bis 70 Prozent der gesuchten Positionen.  

Um diese Massen an Stellen und Bewerbungen zu verarbeiten, nutzt Rheinmetall ein eigenes Bewerbungsportal. Aus Datenschutzgründen werden Bewerbungen per E-Mail oder Post nicht akzeptiert. Doch hier spielt das Auswahlverfahren eine große Rolle. Neben „Diagnostiktools”, die je nach Position zum Einsatz kämen, sei auch die Vertrauenswürdigkeit eine wichtige Voraussetzung.  

„Grundsätzlich suchen wir Persönlichkeiten, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen – sei es in fachlicher Hinsicht, in Projekten oder im Umgang mit vertraulichen Informationen”, teilt ein Rheinmetall-Sprecher mit. Derzeit suche man auf allen möglichen Positionen, vom Industriemechaniker über Ingenieurinnen bis hin zum Kfz-Elektriker.  

Führungspositionen besonders schwer zu besetzen  

Hier läuft die Suche eigentlich wie bei vielen anderen Unternehmen ab. Aber wenn es um die Kernthemen geht, wird es spezieller. So etwa bei Stellen in Führungspositionen. Dort hätten es Quereinsteiger und Quereinsteigerinnen aus anderen Industrien schwer, sagt Mark Brenner. In die Kreise stoße man meist durch eine Karriere in der Rüstungsindustrie. Ein Problem für Recruiter und Recruiterinnen. Denn „über klassische Kanäle funktioniert die Ansprache häufig nicht.” Die geeigneten Kandidaten und Kandidatinnen säßen häufig bereits auf sicherheitsrelevanten Positionen, weshalb sie nur schwer zu erreichen seien. „Man findet einen Admiral nicht mal eben auf Linkedin”, sagt er.  

Wichtige Zugangspunkte seien deshalb Rüstungsmessen und die klassische Netzwerkarbeit, um Empfehlungen zu erhalten. Ebenfalls wichtig sei die Loyalität der Kandidaten und Kandidatinnen, da die Rüstungsindustrie in langen Zyklen organisiert ist. Ein Auftrag kann bis zum Abschluss viele Jahre in Anspruch nehmen: „Hier sollten Unternehmen sicherstellen, dass sie den Projektleiter in fünf Jahren immer noch an Bord haben”, sagt Brenner.  

Sicherheitscheck sorgt für time-lag

Zudem steigen die Sicherheitsvoraussetzungen mit dem Hierarchielevel der zu besetzenden Position. In Deutschland gibt es drei Sicherheitsstufen, die sowohl einfache Angestellte als auch Führungskräfte je nach Geheimhaltungsstufe ihrer Projekte benötigen. Laut Jasmin Dopatka, Kollegin von Mark Brenner bei Defensearch, benötigen bis zu ein Drittel der Belegschaft in Rüstungsunternehmen eine Sicherheitsfreigabe. Auch externe Dienstleister, IT-Fachkräfte, Logistikpersonal oder Projektleitungen könnten betroffen sein, insbesondere wenn sie Zugang zu geschützten Informationen oder Kundenanlagen erhalten sollen. Das kann zum Hemmnis werden.  

Der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) beschwert sich über Wartezeiten von bis zu einem Jahr, bis Mitarbeitende durch das Bundeswirtschaftsministerium eine Freigabe erhielten. „Weil das so lange dauert, können einige Rüstungsfirmen ihre Produktion nicht so schnell erweitern, wie es sonst der Fall wäre”, sagte der Hauptgeschäftsführer des BDSV. Doch nicht nur das: „Bei Neueinstellungen sind Unternehmen unverschuldet in der Situation, dass sie sich, nach Ablauf der Probezeit, nicht einfach von Mitarbeitenden mit negativem Ergebnis der Sicherheitsüberprüfung trennen können”, heißt es in einem Positionspapier des Verbands.  

Jasmin Dopatka berichtet, die Wartezeit bei Sicherheitsfreigabe Ü2 („V[erschluss]S[ache]-Vertraulich) liege mittlerweile bei sechs bis neun Monaten, teilweise auch länger. Besonders bei projektbezogenen Einsätzen in sicherheitsrelevanten Bereichen könnte es deshalb also schneller laufen. In der Praxis würden häufig Übergangslösungen gesucht oder Aufgaben zunächst intern umverteilt, bis die Freigaben vorliegen. Besonders für die Branchenneulinge unter den Unternehmen stelle die Wartezeit eine spürbare Herausforderung dar, weil sie nicht wie bei den traditionellen Rüstungsunternehmen ein gewohnter Teil der Planungsprozesse sei.  

Kräfte werden also meist rechtzeitig eingestellt, können aber erst Monate später mit der Arbeit anfangen, für die sie eigentlich geholt wurden. Neue Kräfte werden aber weiterhin gebraucht. Und für viele Brancheneinsteiger und -einsteigerinnen wird der neue Job kein Zwischenspiel sein. In der Rüstungsbranche gelte meist das Prinzip: „Einmal Rüstung, immer Rüstung“, sagt Mark Brenner – wer das Know-how und das Netzwerk einmal aufgebaut hat, bleibt in der Regel der Branche bis zur Rente erhalten.  

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