Führungsgebote für die Zukunft
Führen im Zeitalter der Digitalisierung – hilft nur noch beten? Das jedenfalls legte der Ausrichtungsort des zweiten Digital Leadership Summits nahe. Die Veranstaltung in der Trinitatiskirche Köln hatte jedoch mehr zu bieten als fromme Sprüche.
Das Ende der Arbeits- und Leistungsgesellschaft
„Was die Politik gerade macht, ist wie Liegestühle auf der Titanic umdekorieren", lautete das Fazit des bekannten Philosophen zu den Bemühungen deutscher Politiker, den Herausforderungen der Digitalisierung gerecht zu werden. Bislang hätten sie keine ernstzunehmende Agenda für die Zukunft gegeben, die Precht prophezeit: In nicht allzu ferner Zeit wird die Hälfte der Menschen keinen Job mehr haben, die Arbeit erledigen dann Computer und Roboter.
Prechts diverse Seitenhiebe auf die amerikanische Tech-Szene waren auch als Echo auf den Vortrag von Sabine Remdisch zu verstehen, deren Präsentation den vom Branchennetzwerk › Web de Cologne e. V. veranstalteten Summit eröffnete. Die Wirtschaftspsychologin berichtete von ihren Erfahrungen als Gastwissenschaftlerin an der Stanford University im Silicon Valley. Dort wundert man sich zum Beispiel sehr, wenn die Deutsche wissen will, ob uns die Digitalisierung krank macht. Ihre Gesprächspartner würden die Frage nicht verstehen und erwidern: „Wieso? Das Silicon Valley hat uns doch ungeheuren Wohlstand gebracht.“
Aber was lässt sich von den USA in Sachen Führung im digitalen Zeitalter lernen?
Die Führungskraft von morgen ist ein guter Netzwerker, ein guter Storyteller und ein guter Coach,
fasste Remdisch ihre Forschung zusammen. Ein Leader fördert Innovation, baut Netzwerke auf, vermittelt eine Vision, führt (auch dank Technik) effektiv über Distanzen, ist eher Influencer als Bestimmer und lebt gesunde Führung. In deutschen Unternehmen seien überdies vor allem gute Change Manager gefragt, denn „wir haben es bei der Digitalisierung mit einem klassischen Change-Prozess zu tun“, so die Forscherin der Leuphana Universität Lüneburg.
Den Sinn des Unternehmens erkennen
Diese Sichtweise bestätigten die Vorträge der Praktiker beim Digital Leadership Summit vollauf. Oliver Eckert, CEO des digitalen Publishers Burda Forward (Focus Online, Huffington Post, Chip.de), sprach über neue Konzepte zur Organisationsentwicklung. Er berichtete von Burdas Weg in den Online-Journalismus. Seine Tipps für digitales Wirtschaften und ein entsprechendes Personalmanagement:
• „Schwimme gegen den Strom“: Das heißt bei Burda zum Beispiel, Print und Online klar zu trennen, statt wie vielerorts üblich crossmediale Newsrooms zu installieren.
• „Sei kunterbunt vernetzt“: Hierarchien sind grundsätzlich nichts Schlechtes, müssen aber um Netzwerke ergänzt werden.
• „Setze auf Sinn und Werte“: Mitarbeiter und Führungskräfte müssen den Unternehmenszweck („Purpose“), den ureigenen Sinn des Unternehmens kennen – warum existiert es und was würde den Menschen fehlen, wenn es nicht mehr da wäre?
Weiterschwitzen am Nachmittag
Als Chief Innovation Evangelist brachte Stephan Grabmeier nicht nur den passenden Jobtitel für die Veranstaltung in der Kirche mit. Er hatte auch ein „Upgrade des Betriebssystems für die Transformation zur Organisation 4.0“ im Gepäck, so der Name seines Vortrags, der den Nachmittag eröffnete. Sein Arbeitgeber Haufe Umantis hat einen erfolgreichen Wandel vom Fachverlag zum digitalen Lösungsanbieter hinter sich. Wobei Arbeitgeber wohl das falsche Wort ist. Bei Haufe führen vor allem die Mitarbeiter das Unternehmen. Die Führungskräfte werden regelmäßig demokratisch gewählt und alle Mitarbeiter beteiligen sich an der Bestimmung von Regeln, Werten und der Unternehmensstrategie. Grabmeiers Empfehlung an HR für den Weg zum erfolgreichen digitalen Unternehmen: die Transformation nicht nur in der Dimension „Verhaltensänderung und Befähigung der Mitarbeiter“ denken, sondern ebenso das „Design der Organisation“ und die „Technologie als Infrastruktur“ fokussieren.
Schrei vor Mitarbeiterglück!
So weit wie bei Haufe Umantis wird die Beteiligung der Mitarbeiter bei Zalando nicht gehen. Dennoch berichtete Frauke von Polier, verantwortlich für Personal und Organisationsentwicklung, von einem umfassenden Kulturwandel, den der Online-Versandhändler zurzeit vollzieht. Mit ihrer erfrischenden Art gelang es ihr, das Publikum vor der Hitzelethargie des Nachmittags zu bewahren.
Kultur ist der einzige Wettbewerbsvorteil, den man nicht kopieren kann,
heißt Zalandos Credo für die Arbeit am Miteinander beim Modeexperten, der in weniger als zehn Jahren vom Start-up zur Aktiengesellschaft mit 13.000 Beschäftigten gewachsen ist. Die Hebel, um eine vorteilhafte, talentzentrierte Kultur zu schaffen:
• Fördern einer Speak-up-Kultur, zum Beispiel in Form von wöchentlichen Gesprächen zwischen dem Vorstand und den Mitarbeitern, in der alle Fragen erlaubt sind und beantwortet werden.
• Etablierung einer Feedback-Kultur. Jeder kann von jedem Rückmeldung erhalten. Die Mitarbeiter werden intensiv geschult, um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was Feedback bringt und wie es geht.
• Bewusstmachen des Unternehmenszwecks. Wie Burda hat Zalando zusammen mit den Mitarbeitern herausgearbeitet, wofür man steht.
Viele Impulse und Austauschmöglichkeiten
In den Pausen ergaben sich vielerlei Möglichkeiten, sich auszutauschen und neue Kontakte zu knüpfen. Die Summit-Gemeinde bestand wirklich aus Gleichgesinnten, Personalexperten mit Neugier auf zukunftsweisende Lösungen für ihre Unternehmen. Und ins Gespräch kam man auch ganz leicht. Dafür reichte die Klage über die Hitze.
Word up! Die besten Zitate der Speaker:
„Die Führungskraft von morgen ist ein guter Netzwerker, ein guter Storyteller und ein guter Coach.“ Prof. Dr. Sabine Remdisch, Wirtschaftspsychologin, Leuphana Universität Lüneburg
„In 30 Jahren wird ein Computer so intelligent sein wie alle menschlichen Gehirne zusammen.“ Oliver Eckert, CEO, Burda Forward
„Im Gegensatz zu den drei industriellen Revolutionen zuvor macht die vierte Revolution bestehende Märkte effizienter, schafft aber keine neuen Wachstumsmärkte.“ Richard David Precht, Philosoph
„HR ist eine Qualitätsfunktion, keine reine Effizienzfunktion.“ Stephan Grabmeier, Chief Innovation Evangelist, Haufe Umantis
„Kultur ist der einzige Wettbewerbsvorteil, den man nicht kopieren kann.“ Frauke von Polier, SVP People & Organisation, Zalando SE
„Bitte betrachten Sie die Digitalisierung nicht nur als Prozessoptimierung.“ Gabriele Riedmann de Trinidad, Geschäftsführerin, Platform 3L
„Management by Flachbildschirm ermöglicht führungsunwilligen Führungskräften die Flucht vor ihren Mitarbeitern.“ Prof. Dr.-Ing. Andreas Syska, Hochschule Niederrhein
„Digitale Transformation ist wie Rock’n’Roll: das Aufbrechen alter Strukturen.“ Tanja Friederichs, Vice President HR, Puls Group
„HR-Systeme werden sich ändern: weg vom Speicheransatz hin zu Lösungen, die uns neue Einsichten bringen.“ Sven Semet, HR Thought Leader, IBM
Autor: Christoph Bertram