Mitte der Neunzigerjahre steht die Arbeit von HR vielfach in der Kritik. Die Abteilung verursache vor allem Kosten. Gefordert wird, dass Personalabteilungen ihre Kunden – Unternehmensleitung, Mitarbeitervertretung, Führungskräfte und aktuelle, ehemalige und potenzielle Mitarbeiter – mehr in den Blick nehmen.
HR als Profitcenter
Es kam die Idee von HR als Profitcenter auf. Kerngedanke war, aus der Personalabteilung eine eigenständige Einheit zu machen, die Verantwortung sowohl für den Erfolg als auch für die Kosten der von ihr angebotenen Dienstleistungen trägt. Da die Leistungen marktgerecht angeboten werden mussten, standen Personalerinnen und Personaler in Konkurrenz mit externen Anbietern wie Unternehmens- und Personalberatungen und freiberuflichen Trainern. Die Personalabteilung glänze in der Rolle des Profitcenters, heißt es zu Jahresbeginn 1995 in der Personalwirtschaft. Doch im November ist zu lesen: „Bleiben Qualität oder Kosten im Vergleich zu Konkurrenzdienstleistungen deutlich zurück, so wird der interne Kunde überlegen, ob er in Zukunft die Dienstleistung an externe Anbieter übergibt.“
Outsourcing als Schreckgespenst für HR
HR outsourcen kommt damals in Mode, und die Personalwirtschaft fragt: „Personalabteilung: lieber keine als die alte?“ Heutzutage wäre eine solche Frage undenkbar. Die Idee ist seinerzeit, dass manch ein Unternehmen ohne Personalabteilung besser aufgestellt sein könnte als eines mit institutionalisiertem Personalbereich. Kein Wunder, dass für Personalerinnen und Personaler Outsourcing zu einem „Schreckgespenst auf leisen Sohlen“ wird.

Für die Personalverantwortlichen ergibt sich aus dieser Situation vor allem eines: Unübersichtlichkeit. HR muss in den Neunzigerjahren seine Rolle neu definieren. Dabei klaffen Wirklichkeit und Wunsch weit auseinander: Die Personalabteilung konzentriert sich vor allem auf Personalverwaltung, obwohl sie lieber Personalentwicklung betreiben und als Berater fungieren würde, heißt es in einer Studie. „Die Personalabteilung will sich stärker auf die strategisch wichtigen Funktionen konzentrieren. Planung, Entwicklung und Beratung rücken in den Vordergrund“, folgert die Personalwirtschaft.
In dieser Situation können die Personalerinnen und Personaler auch Tipps lesen, insbesondere für den Fall, dass sich die Unternehmensleitung externe Berater ins Haus holt, die strategische Projekte umsetzen sollen: „Kooperieren Sie – so gut es geht – mit der extern beauftragten Beratergruppe, ohne allerdings Ihre Position einer strategieumsetzenden Personalentwicklung aufzugeben. Mit einer Verweigerungsstrategie können Sie nichts gewinnen.“
„Make up your body“ statt schneller Stehimbiss
Auch das Wohlbefinden der Mitarbeitenden ist 1995 Thema – wenn auch diese ersten keineswegs mit dem heutigen BGM vergleichbar sind. „Make up your body“ heißt es in der zweiten Ausgabe des Jahres, denn körperlich und geistig aktive Menschen seien ausgeglichener, intellektuell leistungsstärker und weniger krank. HR könne einiges für das Wohlbefinden und die Gesundheit der Beschäftigten tun. Wer seine Mitarbeitenden zu Sport motiviere, wecke Leistungspotentiale. Den Blick soll HR dabei insbesondere auf die Führungskräfte und deren Arbeitsalltag richten, denn „stundenlange Sitzungen in Konferenzräumen, das Hetzen von einem zum anderen Termin, der schnelle meist ungesunde Imbiss im Stehen oder bewegungsloses Brüten am Schreibtisch“ rufe Hirn- und Leistungsblockaden hervor.
Kommunikation leidet unter Telearbeit
Zur Telearbeit, die in den Neunzigern beliebt wird, veröffentlicht das Magazin Befragungsergebnisse. Demnach zeigen sich die Befragten mit der technischen Ausstattung ihrer häuslichen Arbeitsplätze außerordentlich zufrieden. Sie geben sogar an, zu Hause produktiver zu arbeiten als im Büro – eine Aussage, die auch heute immer wieder zu lesen ist. Allerdings bestätigen gerade die weiblichen Angestellten 1995, dass sich ihre Befürchtung bewahrheitet habe, die betriebliche Kommunikation verschlechtere sich durch Homeoffice. Das Fazit der Personalwirtschaft: „Frauen reagieren sozial sensibler und bewusster als die Männer, so dass künftig auf diesen Punkt geschlechtsspezifisch geachtet werden muss.“
Wunsch nach Gleichstellung

Mit Geschlechterunterschieden befassen sich auch zwei Wissenschaftlerinnen von der Freien Universität Berlin. Dabei geht es nicht etwa wie heute um Geschlechterunterschiede und Diskriminierung bei der Bezahlung von Frauen und Männern. Vielmehr haben die Wissenschaftlerinnen die Ungleichbehandlung bei der Verteilung von Führungs- und anderen Aufgaben im Blick. Sie fragen in der November-Ausgabe: „Sind Teamkonzepte ein geeignetes Vehikel zur Gleichstellung von Frauen, da Teamarbeit genau jene Eigenschaften und Fähigkeiten erfordert, die angeblich frauentypisch sind?“
Für die Autorinnen ist das eher ein Trugschluss. Ihr Lösungsansatz: Arbeiten nicht aufgrund von Geschlechterrollen zuzuordnen, sondern individuell zu verteilen. So sei eine Arbeitsgruppe vorstellbar, in der Frau X Motoren montiert, was Frau Y und Herr Z als belastend empfinden. Letztere könnten somit andere Aufgaben übernehmen. Zukunftsweisend sei, Tätigkeiten nicht allein aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit zuzuordnen, denn das verbaue Entwicklungsmöglichkeiten und die Chance, die „starren Muster der Bewertung herkömmlicher Frauen- und Männerarbeiten“ zu verändern.
Zitat des Jahres
„Der Manager ist tot, es lebe der Lotse!“: Die künftige Gesellschaft zeichnet sich aus durch andere Werte und eine neue Rollenaufteilung zwischen Mann und Frau – nicht zuletzt durch den demographischen Wandel. Diese Auffassung vertreten Expertinnen und Experten beim Frankfurter Management Forum im Jahr 1995. Erstens prognostizieren sie, dass spätestens nach der Jahrtausendwende Lotsen an die Stelle von Managern treten werden. Zweitens, dass 2020 aufgrund des demographischen Wandels die damaligen „Randgruppen, alte Menschen, Frauen oder Ausländer“ in der Gesellschaft dringend gebraucht würden und Querdenker und Quereinsteiger gefragt seien. Auch wenn aus heutiger Sicht das Wort „Randgruppen“ mehr als unangemessen erscheint, haben sich die Prognosen – zumindest teilweise – bewahrheitet.
Arbeitsrechtsfrage des Jahres

Abfindung statt Karenzentschädigung: Scheidet ein Arbeitnehmer aus, versuchten die Parteien oft, anstelle der Karenzentschädigung Abfindungsregelungen zu treffen. Dass dies nicht risikolos ist, zeigten 1995 mehrere Fälle aus der Praxis. So entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG), dass ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot nichtig ist, wenn der Arbeitgeber keine Karenzentschädigung zahlt. Ebenso ist eine Vereinbarung nichtig, nach der eine Abfindung nur unter der Voraussetzung gezahlt wird, dass der Arbeitnehmer keine Tätigkeit bei einem Wettbewerber aufnimmt.
Kirstin Gründel beschäftigt sich mit den Themen Compensation & Benefits, Vergütung und betriebliche Altersvorsorge. Zudem kümmert sie sich als Redakteurin um das Magazin "Comp & Ben". Sie ist redaktionelle Ansprechpartnerin für das Praxisforum Total Rewards.

