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Hosen Runter: Weg von der Schmuseabteilung

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HR, so könnte man es etwas zugespitzt formulieren, redet am liebsten über sich selbst und die eigene Rolle. Darüber, was eigentlich die Aufgabe von HR ist, wieso Personalerinnen und Personaler nicht am ominösen Tisch sitzen und wie man das eigentlich ändern könnte. Das gilt nicht nur für Fachmedien und Veranstaltungen, bei denen es immer wieder um dieses Thema geht, sondern ganz offenbar auch für die Tresengespräche nach eben diesen Veranstaltungen.

So jedenfalls kann man die Diskussion verstehen, die bei „Hosen Runter“, einem neuen Event in Hamburg, aufkam. Erdacht von Jess Koch und Ex-Personalwirtschaft-Chefredakteur Cliff Lehnen an einem ebensolchen Tresen, war das erklärte Ziel des Ganzen, die Gespräche, die sonst meist erst in den späten Abendstunden stattfinden, auf die Bühne zu holen.

Das ist gelungen – und zwar im Guten wie im weniger Guten. Denn tatsächlich wirkte die Diskussion deutlich lebhafter als auf anderen Bühnen. Zwar sind gerade die geladenen Expertinnen und Experten Cawa Younosi (Geschäftsführer der Charta der Vielfalt), Fabiola Gerpott (Professorin für Personalführung an der WHU – Otto Beisheim School of Management), Ralf Lanwehr (Professor für Management an der FH Südwestfalen) und Eva Stock (Chief People & Marketing Officer bei Comspace) gestandene Bühnenprofis, die wissen, wie man die eigenen Botschaften unterbringt. Die lockere Atmosphäre trug aber auch bei ihnen zu einer noch lebhafteren Diskussion bei, die gespickt war mit Bonmots. So attestierte Managementprofessor Lanwehr der gesammelten HR ein „globales Impostor-Syndrom“. Personalabteilungen würden seiner Beobachtung nach zum Beispiel viel besser mit Daten arbeiten als zahlreiche andere Abteilungen. „Wir verkaufen uns unter Wert“, sagte der Wissenschaftler, der zwar selbst kein Personaler ist, aber in der Szene aufgrund seiner Forschung sehr bekannt ist. Lanwehrs Wissenschaftskollegin Fabiola Gerpott äußerte sich in Bezug auf die Datennutzung innerhalb von HR allerdings „weniger optimistisch“, sie sieht noch Luft nach oben.

Es kostet Mut

Einigen konnten sich die meisten Anwesenden auf der Bühne und im Publikum doch auf die Diagnose Selbstverzwergung. Wie aber lässt sich die Situation ändern? Jedenfalls nicht damit, eine „Schmuseabteilung“ zu sein, wie Gerpott zu einem späteren Zeitpunkt sagte. Keine Abteilung sei neurotischer als HR, warf wiederum Ex-SAP-Personalchef Cawa Younosi ein. Das Grundproblem sei, dass HR mit dem eigentlichen Business zu wenig zu tun habe – aber nichts unternehme, um die Situation zu ändern. „Nicht jammern, machen!“, fasste er seinen Wunsch zusammen.

Dass das in vielen Organisationen leichter gesagt als getan ist, warf die vierte Diskutantin und die einzige aktive Personalerin des ersten Teils, Comspace-Personalchefin Eva Stock, ein. Das habe auch damit zu tun, dass in vielen Personalabteilungen überdurchschnittlich viele junge Frauen arbeiten. „Da kostet es viel Mut, seinen Platz in den entscheidenden Runden zu einzufordern“, sagte sie. Schließlich seien diese Runden meist traditionell männlich besetzt. So blieben für HR dann doch meist vor allem die unangenehmen Aufgaben: „Wir werden immer dann gerufen, wenn es etwas Unangenehmes zu verkünden gibt.“

Wortmeldungen aus dem Publikum

Zwischen den Statements gab es auch immer wieder Wortmeldungen aus dem Publikum. Jede und jeder Anwesende konnte so seine „offene Rechnung“ mit HR begleichen und in die Diskussion einsteigen. In der zweiten Hälfte des Abends konnte man sogar auch selbst auf die Bühne kommen.

Alle Anwesenden waren aufgefordert, ihre „offenen Rechnungen“ auf Bierdeckeln zu notieren – und mit den Anwesenden zu teilen. (Foto: Priscilla Felkenneyer- Weltdinge Fotografie)
Alle Anwesenden waren aufgefordert, ihre „offenen Rechnungen“ auf Bierdeckeln zu notieren – und mit den Anwesenden zu teilen. (Foto: Priscilla Felkenneyer- Weltdinge Fotografie)

Ausgehend vom Thema Equal Pay ging es dort noch einmal um die Gleichberechtigung der Geschlechter. Vor allem die Frage, was HR konkret tun könne, erhitzte die Gemüter. Rein technisch lösen lässt sich das Problem wohl sicher nicht, Kultur und Prozesse seien mindestens ebenso wichtig. Vor allem, ergänzte Lautsprecher-Teufel-Personalchef Jannis Tsalikis (wie schon im vergangenen Jahr auf der Schicht im Schacht), seien die Männer in der Pflicht, die Situation zu ändern.

Schnell ging es, ausgehend von dieser Frage, aber auch im zweiten Teil wieder um die Rolle der Personalabteilung im Unternehmen. „Je nach Blickwinkel schließt sich hier der Kreis – oder wir haben uns im Kreis gedreht“, fasst Moderator Cliff Lehnen die Diskussion im Anschluss zusammen.

Thesen am Tresen

Und in der Tat kann man beide Meinungen vertreten. Denn wie in den meisten Tresendiskussionen wurden zwar zahlreiche Themen angeschnitten, oft blieb es dabei aber an der Oberfläche. Es wurde zwar mehr und lebhafter diskutiert als auf zahlreichen anderen Bühnen, die Gesichter waren zu einem signifikanten Anteil aber die gleichen.

Lösungen auf die großen Fragen, die in der Diskussion aufgeworfen wurden, wollte und konnte der Abend dabei natürlich nicht bieten. Was er aber bot – neben intensivem Netzwerken und sichtbarem Spaß bei allen Beteiligten sowie Spendengeld für die beiden Initiativen „Love HR, Hate Racism“ und „Kein Wein den Faschisten“ –, waren einige steile und weniger steile Thesen, die bei dem einen oder der anderen noch nachwirken dürften. Und zwar deutlich länger als der Kater nach einem Abend an der Theke.

Info

Matthias Schmidt-Stein koordiniert die Onlineaktivitäten der Personalwirtschaft und leitet gemeinsam mit Catrin Behlau die HR-Redaktionen bei F.A.Z. Business Media. Thematisch beschäftigt er sich insbesondere mit den Themen Recruiting und Employer Branding.