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„Wie politisch soll/kann/darf ein CEO sein?“, diese Frage stellte Siemens-Chef Joe Kaeser in einem auf LinkedIn veröffentlichten Artikel und beantwortete sie sogleich. Er schreibt über zunehmenden Populismus, über Anstand und die Verantwortung von Unternehmenslenkern und stellt den geplanten umstrittenen Stellenabbau des Konzerns als gesellschafts- politische Entscheidung dar.
„Ein CEO kann, darf, soll politisch sein“, leitet Joe Kaeser seinen Artikel ein, manchmal müsse er das sogar. Vor einigen Wochen hatte er sich bereits auf Twitter über den „respektlosen Umgang mit Mitbürgern, nationalistische Grundhaltungen und vor allem um die rassistische Ausgrenzung von Minderheiten“ geäußert, nachdem die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel im Mai im Bundestag abfällig über Flüchtlinge und Zuwanderer geredet hatte und diese unter anderem als „Kopftuchmädchen“ bezeichnete. Kaeser konterte auf Twitter mit „Lieber Kopftuch-Mädel als „Bund Deutscher Mädel“. Frau Weidel schade mit ihrem Nationalismus dem Ansehen unseres Landes in der Welt. Da, wo die Hauptquelle des deutschen Wohlstands liege.
In seinem aktuellen Beitrag erklärt Kaeser, warum sich auch Unternehmenslenker öffentlich zu politischen Fragen äußern sollten. Gleichzeitig kokettiert er ein wenig damit, dass er sich das als CEO traut, obwohl er sich damit nicht nur Freunde macht. Auf seinen Tweet zum Beispiel hatte er neben positiven auch sehr viele negative Reaktionen erhalten, bis hin zu Gewaltdrohungen gegen ihn und seine Familie.
Auch als CEO nicht in einer Filterblase
Unter „politisch“ versteht der Siemens-Vorstandsvorsitzende zunächst die gängige Definition des Begriffs, die Teilnahme am gesellschaftlichen Diskurs. „Wir sind nicht nur in der Wirtschaft tätig, sondern stehen auch – hoffentlich – mitten im Leben. Wir wohnen nicht in einer Filterblase, sondern sind auch politisch denkende Menschen mit einem Interesse daran, Vorgänge in unserem Gemeinwesen, positive wie negative, in der Öffentlichkeit anzusprechen“, sagt Kaeser und fragt, ob „wir“ das oft und deutlich genug täten.
Anstand in schwierigen Zeiten beweisen
Dass er den Tweet geschrieben habe, sei für ihn eine Frage des Anstands und der Moral und eine Frage, wie wir miteinander umgingen und ob wir aus unserer Geschichte gelernt hätten. Man dürfe das Feld der Öffentlichkeit nicht populistischen und nationalistischen Kreisen überlassen und es sei wichtig „Anstand in schwierigen Zeiten“ zu beweisen. Ihn treibe unter anderem die Frage um, welche Welt wir den kommenden Generationen übergeben wollen. Seine persönliche Vorstellung sei eine weltoffene, tolerante Gesellschaft, in der die Starken den Schwachen helfen.
Digitalisierung und Globalisierung verstärken populistische Tendenzen
Daher liege ihm auch die Diskussion um die Weiterentwicklung unserer Sozialen Marktwirtschaft am Herzen, er nennt sie „Soziale Marktwirtschaft 2.0“. Kaeser warnt vor den „dramatischen Folgen“, die die vierte industrielle Revolution, die Digitalisierung und die Globalisierung mit sich bringen. All das führe schon fast automatisch zu mehr Populismus und damit Nationalismus und letztlich Protektionismus und sei ein bedrohliches und gefährliches Gemisch, vor allem in Verbindung mit den Merkmalen neuartiger Kommunikation
Wenn wir der Gesellschaft nicht erklären, was die Vierte Industrielle Revolution ist und es nicht schaffen sollten, dass möglichst alle davon profitieren, werden der Populismus und seine ‚Kinder‘ noch deutlich an Kraft gewinnen,
sagt Kaeser.
Viel Kritik wegen des geplanten Stellenabbaus
Dann erweitert der Siemens-Chef die Definition des Politischen in dem Sinne, dass alles, was wir tun, per se politisch sei, auch das Handeln von Vertretern der Wirtschaft, den „Vorarbeitern“ der Unternehmen. Er spricht von Mitverantwortung und nennt in diesem Zusammenhang das Stichwort Görlitz. Das Siemens-Werk dort ist eines von mehreren, das geschlossen werden sollte. 6900 Arbeitsplätze will der Konzern abbauen, davon die Hälfte in Deutschland, wie Kaeser im November 2017 bekannt gegeben hatte. Daraufhin kam es massiven Protesten von Arbeitnehmerseite und auch zu Kritik aus der Politik. Viele appellierten an die politische Verantwortung des Konzerns und bezeichneten es als Fehler, ausgerechnet in einer strukturschwachen Region, in der die AfD stark ist, ein Werk zu schließen. Im Mai 2018 hieß es nun, dass das Werk in Erfurt nicht verkauft wird und auch die Standorte Görlitz und Leipzig nicht geschlossen werden.
Harte Entscheidungen treffen, bevor es noch schlimmer wird
Kaeser rechtfertigt die Unternehmensentscheidungen und die geplanten Stellenstreichungen und argumentiert, dass genau diese Strategie verantwortungsvoll sei, weil langfristig gedacht. Der Abbau von Arbeitsplätzen betrifft die Kraftwerks- und Antriebssparte von Siemens. Der Weltmarkt im Bereich der fossilen Energieerzeugung sei faktisch zusammengebrochen, es würden immer weniger Turbinen gekauft, so der CEO, die Preise seien zurückgegangen und der Markt von Überkapazitäten geprägt. Also könne man nicht warten, dass alles noch schlimmer wird, und müsse harte Entscheidungen treffen. IG-Metall-Vorstandsmitglied Jürgen Kerner, der auch im Aufsichtsrat des Konzerns sitzt, hatte nach Bekanntgabe der Stellenstreichungen gesagt, ein Arbeitsplatzabbau in dieser Größenordnung sei angesichts der hervorragenden Gesamtsituation des Unternehmens und der Rekordzahlen für das abgelaufene Geschäftsjahr 2017/2018 völlig inakzeptabel. Ausnahmen könne es nur geben, wenn Siemens als Ganzes gefährdet sei, wovon keine Rede sein könne. Außerdem habe selbst die Kraftwerkssparte mehr als acht Prozent Umsatzrendite erwirtschaftet. Kerner monierte auch, dass die Belegschaft von den Umstrukturierungsplänen Ende Oktober zuerst aus den Medien erfahren hätte.
Verantwortungsethik statt Gesinnungsethik
Der Siemens-Boss beruft sich bei seiner Argumentation hinsichtlich seiner Strategie auf den Soziologen und Nationalökonom Max Weber und spricht das Dilemma zwischen „Gesinnungsethik“ und „Verantwortungsethik“ an. Indirekt formuliert Kaeser, dass er als Vorstandsvorsitzender und politischer Akteur nicht allein auf Basis höherer Werte und Prinzipien handeln dürfe, was vielleicht bequemer sei, sondern die tatsächlichen und längerfristigen Folgen seines Handelns in den Mittelpunkt seiner Entscheidungen rücken und das Richtige im Interesse des Unternehmens, der Mitarbeiter und der Gesellschaft tun müsse. Im Übrigen lässt Siemens die nächste Generation an Gasturbinen in den USA bauen – genau die Maschinen, derentwegen der Konzern hierzulande Mitarbeiter entlässt.
Geschäfte mit den USA „in Ruhe machen“
Dann kommt Joe Kaeser, der seinen früheren Namen Josef Käser nach USA-Aufenthalten geändert hatte, auf die Begegnung mit Donald Trump zu sprechen: Auch wenn er sich zu dessen Steuerreform äußere, bewege er sich im Spannungsfeld von Gesinnungs- und Verantwortungsethik. Kaeser hatte die Steuerreform des amerikanischen Präsidenten (die die vor allem den Großverdienern nutzt und Normalverdienern langfristig schadet) ausdrücklich gelobt und dafür auch Kritik einstecken müssen. Doch seine Äußerungen trügen letztlich dazu bei, „dass wir in den USA, unserem größten Markt, unsere Geschäfte in Ruhe machen können“, so der Unternehmer. Das allerdings – ebenso wie die Milliardengeschäfte mit dem ägyptischen Diktator Abd al-Fattah as-Sisi, die Kaeser als wirtschaftliches Aufbauprogramm für Ägypten bezeichnet hat – wirft die Frage auf, ob Kaeser tatsächlich politische Erwägungen in seine unternehmerischen Entscheidungen einfließen lässt. Wie auch immer, politisch schweigen will er nicht.
Zum Artikel von Joe Kaeser geht es > hier.
Ute Wolter ist freie Mitarbeiterin der Personalwirtschaft in Freiburg und verfasst regelmäßig News, Artikel und Interviews für die Webseite.