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Amazon darf Betriebsratsvorsitzenden außerordentlich kündigen

Der Versandhändler Amazon hat vor dem Arbeitsgericht Lüneburg erstinstanzlich die Erlaubnis zur fristlosen Kündigung eines Betriebsratsvorsitzenden in seinem Logistikzentrum Winsen (Luhe) erwirkt. Da der örtliche Betriebsrat die Maßnahme abgelehnt hatte, war vom Unternehmen gemäß § 103 Abs. 2 BetrVG eine sog. Zustimmungsersetzung beantragt worden. Mitglieder im Betriebsrat sind ordentlich unkündbar.

Konkret werden dem Mann, der Vorsitzender eines 17-köpfigen Gremiums am insgesamt ca. 1.900 Beschäftigte zählenden Standort ist, laut einer Mitteilung des Gerichts von Amazon Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit dem Besuch einer Fortbildung vorgeworfen. Er war demnach mit drei weiteren Betriebsräten für die Zeit vom 8. bis 10.11.2022 zu einem Kongress für betriebliche Interessensvertretungen gereist, habe dort nach Firmenabgaben aber die Veranstaltung nur einen Tag besucht und sei ansonsten „ausschließlich privaten Angelegenheiten nachgegangen“.

Das bestritt der Arbeitnehmer. Er räumte zwar sein, die Konferenz „am Vormittag des 9.11. verlassen und danach nicht mehr besucht zu haben“. Grund seien „aber anderweitige Betriebsratstätigkeiten“ gewesen, die er an diesem Tag von 13 Uhr bis 16 Uhr sowie von 19 Uhr bis 22 Uhr remote erledigt habe. Das Unternehmen glaubte dem Mann jedoch nicht und verwies den Angaben zufolge darauf, es „bestehe aufgrund seiner Angaben im Arbeitszeitnachweis auch der Verdacht eines Arbeitszeitbetruges“.

Ende November hörte die Firma dann den Betriebsrat an und bat um Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Vorsitzenden. Als das Gremium sein Plazet verweigerte, ging die Sache vor Gericht. Dieses folgte der Rechtsauffassung des Unternehmens nun und entschied, es liege ein wichtiger Grund i.S.v. § 626 BGB vor, der die beabsichtigte außerordentliche Kündigung rechtfertige.

Falsche Angaben zur Arbeitszeit?

Es sei, so die Richter, ein „schwerwiegender Verstoß gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten“, wenn der Mann – auf Kosten des Arbeitgebers – wegen der Teilnahme an dem Kongress nach Bonn reise, diesem dann aber ohne hinreichenden Grund „eigenmächtig“ zum großen Teil fernbleibe. Seine Behauptung, anderweitig Betriebsratsarbeit geleistet zu haben, hielt die Kammer in diesem Zusammenhang jedenfalls „nicht für glaubhaft“. Zudem bestehe „zumindest der dringende Verdacht, dass der Betriebsratsvorsitzende in seinem Arbeitszeitnachweis für den 9.11.2022 bewusst falsche Angaben gemacht hat“. Darauf ließen Aussagen gegenüber Kollegen aus dem Gremium schließen.

Als Fazit fand das Gericht deutliche Worte:

„Das eigenmächtige vorzeitige Verlassen des Betriebsrätetages, um privaten Interessen nachzugehen, in der Zusammenschau mit dem Verdacht einer versuchten Täuschung über stattdessen geleistete Betriebsratstätigkeit ist geeignet, das Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit des Arbeitnehmers tiefgreifend zu erschüttern. Ein solches Verhalten rechtfertigt den Ausspruch der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung.“

Die schriftliche Begründung des Beschlusses steht noch aus. Unklar ist derzeit auch, ob das Verfahren ggf. vor dem Landesarbeitsgericht in Hannover in die zweite Runde geht.

Das Logistikzentrum von Amazon in Winsen (Luhe) stand erst kürzlich im Zentrum eines anderen Prozesses: Das Verwaltungsgericht Hannover hatte im Februar entschieden, dass die Firma dort weiterhin Handscanner einsetzen darf, mit denen die Arbeitsschritte von Beschäftigten vom Warenein- bis Warenausgang getrackt werden.

Beschluss des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 05.04.2023 (Az.: 2 BV 6/22).

Info

Frank Strankmann ist Redakteur und schreibt off- und online. Seine Schwerpunkte sind die Themen Arbeitsrecht, Mitbestimmung sowie Regulatorik. Er betreut zudem BetriebsratsPraxis24.de, unser Portal für Mitbestimmung.

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