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Debatte: Muss kununu Klarnamen von Usern nennen?

Update vom 14.05.2024: Medienberichten zufolge hat das Landgericht Hamburg nach mündlicher Verhandlung am 26.04.2024 einem von kununu erhobenen Widerspruchs stattgegeben und die vom Oberlandesgericht (OLG) Hamburg erlassene einstweilige Verfügung aufgehoben. Laut Rechtsanwalt Jan Meyer von der Kanzlei Sterne-Advo wird voraussichtlich Berufung beim OLG eingelegt werden, das bereits früher in dieser Sache entschieden und das Landgericht sogar explizit überstimmt hatte“.

User bewerten einen Arbeitgeber anonym. Das ist das Konzept der Online-Plattform kununu. Doch dieses scheint nun nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg in Gefahr zu sein. Das Gericht entschied: Wenn ein bewertetes Unternehmen daran zweifelt, ob der Nutzer oder die Nutzerin hinter einer negativen Bewertung echt ist und wirklich im Kontakt zu ihm stand, muss kununu entweder den Klarnamen des Users herausgeben oder den Beitrag löschen.

Ob Menschen einen Arbeitgeber mit ihrem Klarnamen überhaupt noch in der Öffentlichkeit kritisieren, scheint fragwürdig. Vor allem auch, da bewertenden Personen dadurch möglicherweise negative Konsequenzen für ihre weitere berufliche Laufbahn blühen könnten. Ob sich kununu dann weiterhin über täglich rund 1.000 neue Bewertungen zu etwa 500 Arbeitgebern auf der eigenen Plattform freuen kann, scheint zunächst unwahrscheinlich.

Kununu will Nutzer weiterhin schützen

Die Arbeitgeberbewertungsplattform nimmt diese Entscheidung verständlicherweise nicht so einfach hin – hängt doch wohl ihr gesamtes Geschäftsmodell davon ab. „Wir werden weiterhin die Identität unserer Nutzer schützen und kämpfen für die Rechte der kununu-Nutzer“, wird CEO Nina Zimmermann in einem Statement der Arbeitgeberbewertungsplattform zitiert. Kununu sehe sich nach der Entscheidung nicht dazu verpflichtet, das bisherige Vorgehen zu ändern. Schließlich handele es sich bei dem Urteil um ein einstweiliges Verfügungsverfahren. „Eine endgültige Entscheidung kann einzig und allein im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens erwirkt werden“, so Zimmermann. Das Hauptsacheverfahren wird nun folgen.

Das bestätigt Jakob Friedrich Krüger, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei KLIEMT.Arbeitsrecht. Der Beschluss habe erstmal zur Folge, dass die zwei Bewertungen gelöscht werden müssen, um die es im Beschluss ging. „Alles andere wird im Hauptsacheverfahren besprochen“, sagt Krüger. Natürlich habe die Entscheidung des OLG eine Vorzeigewirkung und kann deshalb als Vorlage für ähnlich angesiedelte Fälle gelten, doch zunächst handelt es sich dabei um eine Einzelfallentscheidung. „kununu muss nun das Risiko weiterer Klagen einschätzen und entsprechend dieser Einschätzung Klarnamen anzeigen oder nicht“, so Krüger. „Vermutlich werden sie ihre Praxis bis zu einer abschließenden Entscheidung in der Hauptsache nicht ändern.“

Jakob Friedrich Krüger ist Fachanwalt für Arbeitsrecht bei KLIEMT.Arbeitsrecht. (Foto: KLIEMT.Arbeitsrecht)

Der OLG-Beschluss war eine Einzelfallentscheidung – doch wofür genau? Es ging um zwei negative Bewertungen, die ein Unternehmen erhalten hatte. Diese waren wenig sachlich: Äußerungen wie „Empathie ist ein Fremdwort“, „Vorgesetztenverhalten: Setzen Sechs! Man ist nur eine Nummer“ oder „Veraltete Technik. Gebrauchte Computer statt modernem Arbeitsgerät. Freeware und selbst programmierte Software auf Hobby-Niveau statt lizenzierter Software“, wurden von den kununu-Usern veröffentlicht.

Das betroffene Unternehmen zweifelte an, ob die bewertenden Menschen wirklich (ehemalige) Angestellte sind, bat es kununu, die Beiträge zu löschen. Kununu reagierte, wie die Plattform in solchen Fällen – und von denen gibt es laut einer Spiegel-Online-Recherche wohl einige – immer reagiert: Der sich beschwerende Arbeitgeber muss erklären, um welche Textpassagen einer Bewertung es sich genau handelt und zu jeder „unwahren“ Aussage Stellung beziehen. Zudem müssen Antragsteller erklären, warum sie denken, dass die Bewertung nicht von einem ehemaligen Mitarbeiter oder einer Mitarbeiterin stammt.

Dann bittet kununu die entsprechenden User darum, in Form von Arbeitsverträgen, Lohnabrechnungen oder Arbeitszeugnissen zu zeigen, dass sie wirklich für besagtes Unternehmen arbeiten oder gearbeitet haben. Die Dokumente werden dann in anonymisierter Form in Einzelfällen an Arbeitgeber weitergegeben. So auch im vorliegenden Fall. Die anonymisierten Dokumente reichten dem Unternehmen allerdings nicht als Beweis aus.

Arbeitgeberfreundliche Entscheidung

In der ersten Instanz hatte das Landgericht Hamburg den Antrag des Unternehmens zurückgewiesen. Die anonymisierten Dokumente seien als Beweis ausreichend, so das Gericht. Die zweite Instanz, das Oberlandesgericht Hamburg, sah dies nun allerdings entschieden anders. Arbeitgeber dürften gerade in Zeiten des Fachkräftemangels negativen Bewertungen in der Öffentlichkeit nicht einfach so ausgesetzt sein, „ohne die Möglichkeit zu erhalten, sie auf das Vorliegen einer tatsächlichen Grundlage zu prüfen und sich gegebenenfalls in der Sache zu positionieren“. Zum vorliegenden Fall erklärte das Gericht: Auch durch Tätigkeitsbeweise könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Bewertung ein Rechtsverstoß ist. Zweifel seien so lange gerechtfertigt, bis durch individualisierte Angaben das Vorliegen eines geschäftlichen Kontakts durch das Unternehmen geprüft werden kann. Einen Anspruch auf Anonymität der beurteilenden Person gebe es nicht. Sprich: Im Zweifel muss die bewertende Person ihren Klarnamen nennen und dieser wird dem Unternehmen mitgeteilt oder die Bewertung muss gelöscht werden.

Klare Worte, die eine mögliche Rufschädigung des Arbeitgebers über die negativen Konsequenzen stellen, die eine bewertende Person haben kann, wenn ihre Anonymität wegfällt. Doch kununu hält dagegen: „Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mehrfach betont, dass die Abgabe anonymisierter Bewertungen in Bewertungsportalen wie kununu gesetzlich anerkannt ist“, heißt es in der Stellungnahme der CEO: Zudem reiche es laut BGH aus, geschwärzte Unterlagen weiterzuleiten, ohne dass der Klarname des Bewerters oder der Bewerterin herausgegeben werden muss. Auch sei es die Pflicht eines Bewertungsportals, die Anonymität der Nutzer und Nutzerinnen zu gewährleisten.

Laut Arbeitsrechtler Krüger müsse hierbei aber immer auch die Sonderstellung des Arbeitsverhältnisses bedacht werden, also kununu im Vergleich zu anderen Bewertungsportalen. Ob man seinen Arbeitgeber bewertet, sei eben etwas anderes, als wenn man Sterne an ein Restaurant verteilt. Arbeitsverhältnisse seien eine persönliche und meist emotional aufgeladene Angelegenheit – vor allem, wenn sie mit einer streitigen Kündigung geendet sind. Der Kontext der Bewertung spiele eine deutlich größere Rolle. Dafür seien dann auch mehr Informationen über die bewertende Person nötig. „Man darf sich als Beschäftigter kritisch äußern, aber eine Rufschädigung ausgelöst durch einen möglichen Rachefeldzug eines gekündigten Mitarbeiters soll vermieden werden“, sagt Krüger.

Gleichzeitig verweist der Arbeitsrechtler auf einen Trend, den er – basierend auf Urteilen – generell im Internet beobachtet hat: Es wird immer weniger anonym. In den Sozialen Medien sei die Verwendung von Klarnamen bereits eine Vorschrift – auch wenn hier viele nicht ihren richtigen vollständigen Namen angeben, sondern womöglich einen Nicknamen. Dass dies auch für Plattformen wie kununu zukünftig gelten soll, passe zu dieser Entwicklung. Krüger ist gespannt, ob es hier einen Sonderweg fürs Arbeitsrecht geben wird oder nicht.

„Kununu als Ventil ist bedenklich”

Während abzuwarten bleibt, ob der Beschluss generell rechtsverbindlich wird, diskutiert die HR-Szene über den Vor- und Nachteil von anonymem Feedback. Die Personalchefin der ProsiebenSat.1 PULS 4 GmbH, die größte private TV-Sendergruppe in Österreich, schreibt auf Linkedin, dass die Anonymität auf kununu ihr persönlich die Feedbackarbeit mit (ehemaligen) Mitarbeitenden erschwere. Birgit Moser-Kadlac beantwortet, eigenen Aussagen nach, jede Bewertung auf kununu höchstpersönlich, würde aber gerne noch mehr zu den Aussagen erfahren. Das ginge aufgrund der Anonymität nicht. Gleichzeitig – oder gerade auch deswegen – betont sie, wie wichtig Face-to-Face-Exitgespräche sind. „Kununu als Ventil ist bedenklich, der Dialog muss davor passieren.“

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Doch kann man in Face-to-face-Gesprächen wirklich immer ein authentisches Feedback abgeben? Das bezweifeln Sascha Theisen und Manfred Böcker, die unter dem Namen „Employer Telling“ Unternehmen zum Umgang mit Arbeitgeberbewertungen beraten. „Die Anonymität der kununu-Nutzerinnen und -Nutzer hat auch aus Arbeitgebersicht einige Vorteile, weil sie dazu führt, dass vor allem aktuelle Mitarbeitende unverblümt und kritisch Themen ansprechen können, die sonst wahrscheinlich unter dem Radar blieben“, schreiben die Berater, die neben ihrem Beratungsgeschäft auch Pressearbeit für verschiedene HR-Dienstleister, darunter auch Kununu, machen, in einem Statement für die Personalwirtschaft. „Das ist ein entscheidender Vorteil gegenüber traditionellen Feedbackkanälen wie zum Beispiel dem Mitarbeitergespräch, das als Aufwärts-Feedbacksystem nicht immer ganz aufrichtig ist, weil die Feedbackgebenden direkte Folgen für sich und ihre Position befürchten.“ Anonymisiertes Feedback helfe folglich dabei, „blinde Flecken“ in der Arbeitgebersubstanz aufzuspüren und dann an diesen zu arbeiten.

Zurück zum Beschluss: Es scheint der vorzeitige Höhepunkt einer stetigen Entwicklung zu sein, in der negative Bewertungen immer häufiger von der Plattform genommen werden. In den vergangenen Jahren waren zahlreiche Arbeitgeber gegen negative Bewertungen vorgegangen und veranlassten, dass diese von der Plattform gelöscht wurden. Einzelne Anwaltskanzleien haben sogar Angebotspaletten für Arbeitgeber kreiert, um Bewertungen verschwinden zu lassen. Wohl mit Erfolg. Denn im Herbst 2023 kam Kritik daran auf, dass kununu recht viele negative Bewertungen löscht und somit kein kritisches Feedback gegenüber Arbeitgebern zulässig sei. Das könnte zukünftig durch das Urteil noch schwieriger werden.

(Dieser Beitrag erschien ursprünglich am 19.02.2024 und wurde von uns am 14.05.2024 aktualisiert.)

Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.