Bei Diskriminierungsklagen gilt gemäß Paragraf 22 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) eine Beweislastumkehr zugunsten der vermeintlich benachteiligten Person. Das heißt: Diese muss Tatsachen darlegen, die eine Diskriminierung vermuten lassen. Den Gegenbeweis, dass keine Benachteiligung stattfand oder die Ungleichbehandlung gerechtfertigt war, muss dann der Arbeitgeber erbringen, wenn er den Diskriminierungsvorwurf entkräften will.
Vermutete Diskriminierung: Was muss dargelegt werden?
Wie aus einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) hervorgeht, dürfen die Anforderungen an das Vorbringen von Indizien insbesondere dann nicht überspannt werden, wenn es sich beim Kläger um einen Stellenbewerber handelt, der an der Einhaltung von Verfahrensvorschriften zweifelt, aber naturgemäß keinen Einblick in die betriebsinternen Abläufe haben kann.
Das BAG entschied: Wenn ein abgelehnter schwerbehinderter Bewerber eine Diskriminierung wegen Verstoßes gegen Verfahrensvorschriften beklagt, so genügt er im Prozess seiner Darlegungslast für die Kausalität der Schwerbehinderung für die Benachteiligung in der Regel dadurch, dass er einen Verstoß des Arbeitgebers gegen die Verfahrensbestimmungen rügt (BAG, Urteil vom 14.06.2023, Aktenzeichen 8 AZR 136/22). Demnach muss er für die von ihm nur vermutete Tatsache eines Verstoßes gegen die Verfahrensvorschriften keine konkreten Anhaltspunkte darlegen oder beweisen können.
Schwerbehinderter Bewerber zweifelte an Einhaltung der Verfahrensvorschriften
Im vorliegenden Fall hatte ein schwerbehinderter Bewerber, der für die ausgeschriebene Stelle nicht berücksichtigt worden dar, auf eine Entschädigung wegen Diskriminierung nach dem AGG geklagt. Der Mann argumentierte unter anderem, dass es nicht hinreichend klar sei, ob der Arbeitgeber den Betriebsrat gemäß Paragraf 164 Abs.1 Satz 4 SGB IX ordnungsgemäß über die Bewerbung einer schwerbehinderten Person unterrichtet habe. Fraglich war im vorliegenden Fall, ob es sich dabei um eine willkürliche Behauptung „ins Blaue hinein“ handelte, welche den Anforderungen an die Darlegungslast des Klägers nicht genügt, oder ob die vom Stellenbewerber vorgebrachte Vermutung ausreichend im Sinne von Paragraf 22 AGG ist.
BAG: Keine Behauptung „ins Blaue hinein“
Das BAG war der Auffassung, der Bewerber habe mit seinem Vortrag seiner Darlegungslast genügt. Es berücksichtigte zugunsten des Klägers, dass dieser in die tatsächlichen Verhältnisse beim Arbeitgeber keinen Einblick hatte und sich in zumutbarer Weise auch keinen näheren Einblick verschaffen konnte. Nach BAG-Ansicht konnten vom außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufs stehenden Kläger keine greifbaren Anhaltspunkte für seine Vermutung verlangt werden. Er durfte diese von ihm nur vermutete Tatsache behaupten, weil er mangels eigener Erkenntnisquellen keine sichere Kenntnis von einer fehlenden ordnungsgemäßen Unterrichtung des Betriebsrats hatte und auch nicht erlangen konnte, so das BAG.
Weil der Arbeitgeber die vermutete Diskriminierung nicht nur durch einen Gegenbeweis entkräften konnte, sprach das BAG dem abgelehnten Bewerber einen Anspruch auf Entschädigung zu.
Die BAG-Entscheidung traf in Arbeitsrecht-Kreisen auf Kritik. So schreib Kilian Friemel, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Taylor Wessing auf Linkedin: „Wer glaubt, einem Bewerber, der auf eine Stelle nicht passt, einfach absagen zu können, hat schon verloren. Tatsache ist, dass es professionelle AGG-Hopper gibt, die genau hierauf ihr Geschäftsmodell aufbauen.“
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ist freier Journalist aus Biberach/Baden und schreibt regelmäßig News und Artikel aus dem Bereich Arbeitsrecht.

