Einer ärztlich ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt grundsätzlich ein hoher Beweiswert in Bezug auf die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit eines Mitarbeiters zu. Diesen Beweiswert kann ein Arbeitgeber nur dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Streitfall beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben. In einem Rechtsstreit um eine verweigerte Lohnfortzahlung reichten dem Bundesarbeitsgericht die Argumente des Arbeitgebers nicht als Gegenbeweis aus (BAG, Urteil vom 28.06.2023, Aktenzeichen 5 AZR 335/22).
Zweifel an ärztlichem Attest – Lohnfortzahlung verweigert
Es ging um folgenden Sachverhalt: Ein Arbeitnehmer war in der Zeit vom 7. September 2020 bis zum 30. September 2020 krankgeschrieben. Er legte für diesen Zeitraum zwei Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, eine Erstbescheinigung bis zum 20. September 2020 und eine Folgebescheinigung für die Zeit ab dem 21. September 2020. Die behandelnde Ärztin gab jeweils „M25.51 G R“ an (Gelenkschmerz Schulterregion gesichert rechts). Zusätzlich legte der Mitarbeiter einen Befundbericht/Arztbrief zu einer MRT-Untersuchung seines rechten Schultergelenks vor.
Der Arbeitgeber leistete keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Er war der Meinung, der Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei erschüttert. Seine Begründung: Die Bescheinigungen seien nicht entsprechend den Vorgaben Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie ausgestellt worden. Gemäß der Richtlinie müssen Symptome – im vorliegenden Fall Schulterschmerzen – nach spätestens sieben Tagen durch eine Diagnose oder Verdachtsdiagnose ersetzt werden. Diese Anforderung sah der Arbeitgeber hier als nicht erfüllt an.
BAG: Kein Verstoß gegen Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie
Das BAG stellte in seinem Urteil klar, dass die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit sei. Zwar kann ein Verstoß gegen Paragraf 5 Abs. 1 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie grundsätzlich zu einer Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung führen, wie das BAG bestätigte. Im vorliegenden Fall kam das BAG jedoch – wie das Arbeitsgericht in erster Instanz – zu dem Schluss, dass kein relevanter Verstoß gegen Paragraf 5 Abs. 1 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie vorliegt.
Die ärztliche Feststellung, die hinter dem ICD-10-Code „M25.51 G R“ stehe, könne nach Auffassung des Arbeitsgerichts durchaus eine Diagnose darstellen. Sie unterscheide sich qualitativ von der bloßen Feststellung unspezifischer Symptome. Die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie verlangt nach BAG-Ansicht nicht, dass der Arzt ab der zweiten Woche der Arbeitsunfähigkeit bereits konkrete Schmerzursachen attestiere.
ist freier Journalist aus Biberach/Baden und schreibt regelmäßig News und Artikel aus dem Bereich Arbeitsrecht.

