Das Europäische Parlament hat kürzlich den Weg frei gemacht für eine umfassende Reform der EU-Richtlinie zur Einrichtung und Arbeitsweise Europäischer Betriebsräte (RL 2009/38/EG). Damit sollen einheitlichere Vorgaben für die bislang in den Einzelstaaten recht unterschiedlich ausgestalteten Rahmenbedingungen geschaffen werden. Zudem werden bestimmte Rechte von Arbeitnehmervertretungen in multinational agierenden Unternehmen gestärkt – vor allem in puncto Information und Konsultation.
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Anders als ein Betriebsrat, Gesamtbetriebsrat oder Konzernbetriebsrat nach dem deutschen Betriebsverfassungsgesetz hat ein EBR keine echten Mitbestimmungsrechte. Vielmehr hat ein Europäischer Betriebsrat bislang zumeist Mitwirkungsrechte. In vielen Fällen ähnelt seine Rolle am ehesten der des Wirtschaftsausschusses.
Erweiterter Geltungsbereich?
Die novellierte Richtlinie präzisiert in Artikel 1 Abs. 4 zunächst, wann ein Europäischer Betriebsrat (EBR) für eine Angelegenheit zuständig ist – nämlich dann, wenn vom Arbeitgeber geplante Maßnahmen voraussichtlich „das gemeinschaftsweit operierende Unternehmen oder die gemeinschaftsweit operierende Unternehmensgruppe insgesamt oder mindestens zwei Unternehmen oder Betriebe des Unternehmens beziehungsweise der Unternehmensgruppe in mindestens zwei verschiedenen Mitgliedstaaten betreffen“.
Das ist nahe an der hierzulande üblichen Definition in § 1 Abs. 2 EBRG (für in Deutschland mit Hauptsitz ansässige Unternehmen), kann aber für Tochterunternehmen im Ausland beheimateter Konzerne Auswirkungen haben. Umgekehrt ist denkbar, dass Entscheidungen, die zunächst scheinbar nur das Inland betreffen, indirekt zum ‚transnational issue‘ werden, weil sie Folgen für ausländische Standorte oder Gesellschaften entfalten.
Konsultation vor Umsetzung von Maßnahmen
Weitaus gewichtiger sind die neuen Vorgaben in Artikel 9 Abs.2 und 3. Dort wird bestimmt, dass zentrale, für das Europa-Geschäft zuständige Geschäftsleitungen verpflichtet werden, nachdem sie Informationen über bedeutende Sachverhalte mitgeteilt haben, auf etwaige Stellungnahmen der EBR innerhalb einer Frist zu reagieren und Konsultationen abzuwarten, bevor final Entscheidungen getroffen werden. Das heißt: Etwaige Maßnahmen wie Standortschließungen oder Reorganisationen dürfen erst danach umgesetzt werden.
Die Richtlinie nennt hier allerdings keine konkreten Zeiträume, sondern spricht lediglich von einer „angesichts der Dringlichkeit der Angelegenheit angemessenen Frist“.
Sachverständige und Rechtsdurchsetzung
Änderungen gibt es zudem bei den Themen Beratung und Durchsetzung rechtlicher Ansprüche. So haben EBR künftig unionsweit in erforderlichem Maße Anspruch auf Unterstützung durch externe und/oder gewerkschaftliche Sachverständige sowie anwaltlichen Beistand. Angemessene Kosten dafür müssen von der zentralen Leitung des Unternehmens übernommen werden. Zudem darf die Unterstützung nicht mehr ohne Weiteres auf nur einen Sachverständigen begrenzt werden. Ebenso wenig dürfen die Beraterinnen und Experten von Sitzungen mit dem Management ausgeschlossen werden.
Im Notfall, auch das präzisiert die Novelle, können EBR fortan ihre Rechte vor Gericht oder (mancherorts) in einem Verwaltungsverfahren geltend machen. Auch diesen Aufwand hat das Unternehmen zu tragen.
Zwei Sitzungen pro Jahr und Neues zur Vertraulichkeit
Konkrete finanzielle Auswirkungen dürfte in vielen Fällen eine andere Neuerung haben: Denn in Zukunft haben EBR Anspruch darauf, zwei ordentliche (Plenar-)Sitzungen, also Treffen mit der Geschäftsleitung und HR, pro Jahr in Präsenz abzuhalten. Andere Formate – also hybride Meetings oder Videokonferenzen – sind als Ersatz nur bei ausdrücklicher Zustimmung des Gremiums gestattet.
Dabei muss die Arbeitgeberseite unter anderem über die länderübergreifende „Struktur, die wirtschaftliche und finanzielle Situation sowie die voraussichtliche Entwicklung der Geschäfts-, der Produktions- und Absatzlage des gemeinschaftsweit operierenden Unternehmens oder der gemeinschaftsweit operierenden Unternehmensgruppe“ informieren. Zudem müssen die Beschäftigungslage und ihre voraussichtliche Entwicklung auf der Agenda stehen.
Ein Novum dabei: Informationen können hier vom Management laut dem neuen Artikel 8 nur dann als vertraulich gekennzeichnet werden, wenn dies „im Sinne des berechtigten Interesses des Unternehmens“ sowie im Einklang mit „objektiven Kriterien“ geschieht. Zudem gilt das nur so lange, „bis die Gründe für die Pflicht zur Vertraulichkeit als hinfällig zu betrachten sind“. Gremiumsmitglieder können also gegenüber ihren (Betriebsrats-)Kolleginnen und Kollegen aus den Herkunftsstaaten nicht mehr ohne Weiteres zum Stillschweigen verpflichtet werden.
Anpassungsbedarf für bestehende Vereinbarungen
In vielen Unternehmen gibt es EBR-Vereinbarungen, die noch aus der Zeit vor dem Inkrafttreten der bisherigen Richtlinie stammen. Hier lohnt sich für HR ein genauerer Blick. Denn diese müssen laut Artikel 14a Abs. 4 „die anwendbaren Mindestanforderungen“ der Neufassung einhalten und daher unter Umständen angepasst werden – etwa in Bezug auf Sitzungsmodalitäten und die Rolle und Hinzuziehung von Sachverständigen.
Das betont auch Francesco Grioli, Mitglied des geschäftsführenden Hauptvorstandes bei der Gewerkschaft IG BCE: „Sämtliche EBR-Vereinbarungen können ab dem Umsetzungszeitpunkt 2028 der zukünftigen Richtlinie unterstellt und entsprechend angepasst werden“, schreibt er auf Linkedin.
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) hatte hingegen von Beginn des Verfahrens an betont, man halte eine Revision der EBR-Richtlinie für „unnötig“ und sehe „keinen Handlungsbedarf“.
Wie geht es weiter?
Die geänderte Richtlinie muss nun noch abschließend vom EU-Ministerrat abgesegnet werden, was in Brüssel und Straßburg nach den langwierigen und zähen Vorverhandlungen im sogenannten Trilog in diesem Fall als Formsache gilt. Nach Inkrafttreten haben die Mitgliedstaaten dann zwei Jahre Zeit, um die geänderten Regeln in nationales Recht zu überführen. Spätestens nach drei Jahren muss die Richtlinie dann angewendet werden.
Frank Strankmann ist Redakteur und schreibt off- und online. Seine Schwerpunkte sind die Themen Arbeitsrecht, Mitbestimmung sowie Regulatorik. Er betreut zudem verantwortlich weitere Projekte von Medienmarken der F.A.Z. Business Media GmbH.

