Nun ging es doch schneller als gedacht. Nachdem zunächst mit einer Einigung rund um Ostern gerechnet worden war und die Verhandlungen am vergangenen Wochenende dann ins Stocken geraten schienen, haben sich Union und SPD am gestrigen Mittwoch auf einen Koalitionsvertrag verständigt. Feststeht ebenso bereits, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales SPD-geführt sein wird.
Jede Koalitionspartei berät nun nochmal für sich zu dem Koalitionsvertrag. Es wird voraussichtlich noch bis Ende April dauern, bis jede Partei zugestimmt hat und der Vertrag feierlich unterzeichnet wird. Das Dokument trägt den Namen „Verantwortung für Deutschland” und legt fest, welche Schwerpunkte sich Schwarz-Rot für die nächsten Jahren vorgenommen hat. Wir zeigen, was dabei für HR relevant ist.
Arbeits- und Fachkräftesicherung
„In Zusammenarbeit mit den Ländern wollen wir die Fachkräftestrategie des Bundes weiterentwickeln“, heißt es im Punkt 1.2 Arbeit und Soziales. Schaffen will die Schwarz-Rote-Koalition das unter anderem durch eine Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen. Die neue Bundesregierung wolle helfen, den alltäglichen Spagat zwischen Kindererziehung, Arbeit, Haushalt, Pflege und Erholung besser bewältigen zu können. Deshalb prüfe man ein jährliches Familienbudget für Alltagshelfer für Familien mit kleinen Kindern und/oder pflegebedürftigen Angehörigen mit kleinen und mittleren Einkommen, das digital zugänglich sein soll. Um auch für genügend „Alltagshelfer“ zu sorgen, wolle die Regierung zur Attraktivitätssteigerung der Berufsbilder in diesem Bereich eine Anerkennungsoffensive starten und Quereinstiege ermöglichen.
Ergänzend dazu, heißt es weiter, brauche Deutschland qualifizierte Einwanderung, um dem Fachkräftemangel und dem Demografischen Wandel zu begegnen. „Es gilt, bürokratische Hürden einzureißen, etwa durch eine konsequente Digitalisierung sowie die Zentralisierung der Prozesse und eine beschleunigte Anerkennung der Berufsqualifikationen“, wird weiter ausgeführt. Zentraler Baustein für dieses Vorhaben soll die sogenannte „Work-and-stay-Agentur“ werden – mit einer zentralen IT-Plattform als einheitliche Ansprechpartnerin für ausländische Fachkräfte. In Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit soll die neue Agentur alle Prozesse der Erwerbsmigration und der Anerkennung von Berufs- und Studienabschlüssen bündeln und beschleunigen. Konkret heißt das etwa, dass man einheitliche Anerkennungsverfahren, die maximal acht Wochen dauern, eingeführt möchte. Außerdem sollen Berufssprachkurse ausgebaut werden, die Hürden für Flüchtlinge bei der Beschäftigungsaufnahme abgebaut und Beschäftigungsverbote auf maximal drei Monate reduziert werden.
Mindestlohn und Tarifbindung
SPD und Union sehen es als „erreichbar” an, dass der Mindestlohn bis 2026 auf 15 Euro steigt. Die für die Weiterentwicklung der Lohnuntergrenze zuständige Mindestlohnkommission soll sich dabei dem Vertragstext zufolge „im Rahmen einer Gesamtabwägung sowohl an der Tarifentwicklung als auch an 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten orientieren”. Damit wird nach Ansicht von Experten auf die EU-Mindestlohnrichtlinie angespielt.
Für Dr. Michael Fuhlrott kommt das Vorhaben einer Entwertung der Mindestlohnkomission gleich. Zudem könnten seiner Meinung nach auch Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die politische Erhöhung des Mindestlohns drohen: „Bei einer derartig hohen Anhebung ist die Verhältnismäßigkeit nicht mehr gegeben und der Gesetzgeber greift in den Bereich der tariflichen Lohnpolitik unverhältnismäßig ein.“
Darüber hinaus will die neue Bundesregierung, dass Tariflöhne „wieder die Regel werden und […] nicht die Ausnahme bleiben.“ Um das zu erreichen, soll ein Bundestariftreuegesetz auf den Weg gebracht werden. Gelten soll das Regelwerk laut dem Dokument für Vergaben auf Bundesebene ab 50.000 Euro und für Start-ups mit innovativen Leistungen in den ersten vier Jahren nach ihrer Gründung ab 100.000 Euro. Bürokratie, Nachweispflichten und Kontrollen wollen die künftigen Regierungsparteien auf ein „absolutes Minimum begrenzen.“
Dann schauen Sie doch einmal in unser Dossier zum Thema. Ob Arbeitsvertrag, Pausenregelungen oder Kündigung: Das Arbeitsrecht begleitet Personalerinnen und Personaler tagtäglich. Erfahren Sie alles Wichtige zu neuen Urteilen und relevanten Gesetzen und erhalten Sie Praxistipps für rechtssicheres Handeln im HR-Management. Von News bis hin zu Deep-Dives.
Arbeitszeit
Ein weiterer Punkt betrifft die Vorgaben zur Höchstarbeitszeit: Dort wollen Union und SPD „im Einklang mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie die Möglichkeit einer wöchentlichen anstatt einer täglichen Höchstarbeitszeit schaffen”. Zur konkreten Ausgestaltung wolle man in einen Dialog mit den Sozialpartnern gehen, die Standards im Arbeitsschutze beibehalten und die geltenden Ruhezeiten beibehalten.
„Die Abkehr von der täglichen Höchstarbeitszeit ist ein echter Fortschritt. Entscheidend ist, wie viel Mut der Gesetzgeber nun bei der Umsetzung zeigt“, kommentiert Marijke van der Most das Vorhaben der Regierungsparteien. Sie ist Rechtsanwältin und Partnerin bei der Kanzlei Addleshaw Goddard.
Um Anreize zu schaffen, planen die Parteien ferner, dass „Zuschläge für Mehrarbeit, die über die tariflich vereinbarte, beziehungsweise an Tarifverträgen orientierte Vollzeitarbeit hinausgehen, steuerfrei gestellt” werden. Maßstab für Vollzeitarbeit soll dabei im tariflichen Bereich eine Wochenarbeitszeit von mindestens 34 Stunden und bei nicht tariflich festgelegten oder vereinbarten Arbeitszeiten ein Wert von 40 Stunden sein. Auch hier will die Bundesregierung eine konkrete Lösung mit den Sozialpartnern entwickeln.
Anreize soll es dabei für Menschen geben, die eine Teilzeitbeschäftigung ausweiten. „Wenn Arbeitgeber eine Prämie zur Ausweitung der Arbeitszeit zahlen, werden wir diese Prämie steuerlich begünstigen“, heißt es weiter.
Die Pflicht zur elektronischen Arbeitszeiterfassung soll unbürokratisch geregelt werden und für kleine und mittlere Unternehmen soll es eine „angemessene Übergangszeit“ geben. „Das liest sich spannend – viele Fragen bleiben offen, etwa, ob eine Delegation an den Arbeitnehmer zur Erfassung weiterhin denkbar bleibt. Dabei ist eines aber klar: Die Arbeitszeit muss erfasst werden“, kommentiert Fuhlrott das Vorhaben. Davon abgesehen soll Vertrauensarbeitszeit ohne Zeiterfassung auch künftig weiter möglich bleiben.
Gleichstellung
Beim Thema Gleichstellung zwischen den Geschlechtern ist im Koalitionsvertrag für HR die Umsetzung der EU-Transparenzrichtlinie besonders relevant. „Wir wollen gleichen Lohn für gleiche Arbeit für Frauen und Männer bis 2030 verwirklichen. Dazu werden wir die EU-Transparenzrichtlinie bürokratiearm in nationales Recht umsetzen“, heißt es im Koalitionsvertrag dazu. Dafür soll eine Kommission eingesetzt werden, die bis Ende 2025 Vorschläge macht. Aufbauen darauf sollen entsprechende Gesetzgebungsverfahren eingeleitet werden. „Ich persönlich hoffe, die Koalition meint es mit ihrer Zielsetzung, einer gleichen Entlohnung von Männern und Frauen bis 2030, ernst und lässt sich am Ende der Legislaturperiode auch daran messen“, kommentiert Nadine Nobile, die sich für das Thema stark macht, das Vorhaben der beiden Parteien auf Linkedin.
Digitalisierung und Künstliche Intelligenz
Für den Einsatz von KI im Unternehmen sollen Unternehmen künftig ihre Mitarbeitenden qualifizieren und auch einen fairen Umgang mit den Daten im Betrieb schaffen. „KI bringt Bewegung in die Arbeitswelt, doch der Koalitionsvertrag bleibt auffallend still. Eine vertane Chance, um klare, moderne Rahmenbedingungen zu setzen“, kritisiert van der Most den Vertrag in Puncto KI.
Im Punkt Digitalisierung wird der Vertrag jedoch konkreter. Durch verschiedene Digitalisierungsmaßnahmen soll der Bürokratieabbau vorangetrieben werden. So soll die Schriftformerfordernis mit Hilfe einer Generalklausel, wo möglich, abgeschafft werden. Ein überfälliger Schritt laut van der Most: „Die Abschaffung entlastet Arbeitgeber von formalen Hürden, ohne Rechtssicherheit aufzugeben.“ Außerdem sollen Unternehmen, die in Kontakt mit den Sozialversicherungen und Verwaltungen stehen, durch das sogenannte „Once-Only-Prinzip“, nur einmal die jeweiligen Daten eingeben. Somit sollen die Daten medienbruchfrei von Bund, Ländern und Kommunen genutzt und verarbeitet werden können.
Außerdem sollen Gewerkschaften künftig digitaler arbeiten können. Konkret bedeutet das, dass Online-Betriebsratssitzungen und Online-Betriebsversammlungen zusätzlich als gleichwertige Alternativen zu Präsenzformaten ermöglicht werden sollen. Zusätzlich soll die Option online wählen zu können im Betriebsverfassungsgesetz verankert werden. Und auch die Zugangsrechte von Gewerkschaften sollen digitaler werden. Gewerkschaften werden künftig Onlinezugangsrecht erhalten, die ihren analogen Rechten entsprechen. Eine weitere Neuerung im Bereich Gewerkschaften sollen steuerliche Anreize bei Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft sein, um attraktiver für neue Mitglieder zu sein.
Rente und Beschäftigung im Alter
Die künftige Bundesregierung möchte die betriebliche Altersvorsorge in der kommenden Legislaturperiode stärken. Diese soll digitalisiert und entbürokratisiert werden sowie die Portabilität der betrieblichen Altersvorsorge für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei einem Arbeitgeberwechsel erhöht werden.
Ein abschlagsfreier Renteneintritt nach 45 Beitragsjahren soll zwar auch künftig möglich bleiben, dennoch wollen Union und SPD finanzielle Anreize schaffen, damit mehr Menschen freiwillig weiterarbeiten. Das heißt, dass Menschen, die freiwillig weiterarbeiten, auf ein Gehalt von bis zu 2.000 Euro keine Steuern zahlen müssen. Weiter heißt es, dass die Rückkehr zum bisherigen Arbeitgeber nach Erreichen der Regelaltersgrenze erleichtert werden soll, indem das Vorbeschäftigungsverbot aufgehoben wird.
Arbeitsschutz
SPD und Union wollen sich künftig für bessere Prävention von psychischen Erkrankungen einsetzen. Im Zuge dessen wolle man nötigen Instrumente des Arbeitsschutzes auf ihre Wirksamkeit prüfen.
Außerdem sollen bessere Arbeitsbedingungen für körperlich stark belastete Berufsgruppen, wie Berufskraftfahrer oder Paketzustellern, geschaffen werden. So will die kommende Regierung beispielsweise die Sanitärinfrastruktur auf Park- und Rastplätzen auf Bundesautobahnen mit kostenfreiem Zugang ausbauen sowie soll die Nachunternehmerhaftung für Sozialversicherungsbeiträge für Paketzusteller eingeführt werden.
Inklusion
Die Aufnahme einer Arbeit von Menschen mit Behinderungen soll auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verstärkt gefördert werden. Dafür planen SPD und Union die Schwerbehindertenvertretungen zu stärken sowie die Vernetzung von Einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber (EAA) mit Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation und der Vermittlungstätigkeit der Bundesagentur für Arbeit zu etablieren.
Berufsausbildung und Weiterbildung
Künftig soll die Zahl an Personen über 25 ohne einen Berufssauschluss reduziert werden. Um das umzusetzen, plant die Koalition abschlussorientierte Weiterbildungen zu stärken. Im Zuge dessen sollen auch die Sozialpartner unterstützt werden, um bei der untergesetzlichen Definition von Standards und Prozessabläufen zur Entwicklung von Teilqualifikationen im Rahmen des Hauptausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung zu unterstützen.
„Insgesamt erscheint es so, dass die CDU im Bereich Arbeitsrecht hat Federn lassen müssen.“
„Der Koalitionsvertrag trägt im Bereich Arbeit eine starke sozialdemokratische Handschrift“, findet Fuhlrott. Zwar seien bestimmte Forderungen der SPD, wie die Abschaffung sachgrundloser Befristung, nicht umgesetzt worden. Dennoch seien mit Themen wie Mindestlohn und Zeiterfassung klassische sozialdemokratische Forderungen im Koalitionsvertrag gelandet. „Insgesamt erscheint es so, dass die CDU im Bereich Arbeitsrecht hat Federn lassen müssen, was womöglich auch mit der Besetzung des Ministeriums zu tun hat, das weiterhin in SPD-Hand bleiben soll“, fasst Fuhlrott zusammen. Die ehemalige Bundestagspräsidentin Bärbel Bas wird laut Tagesschau als Arbeitsministerin gehandelt. Um diesen Job konkurriert sie aber mit dem derzeitigen Amtsinhaber Hubertus Heil, der aber auch Fraktionschef werden könnte, heißt es weiter in der Meldung. Wer das Amt letztlich bekleidet, ist dennoch nicht zu 100 Prozent entscheidend. „Jetzt kommt’s – wie immer – auf die Menschen an. Auf die, die in Ministerien, Fachreferaten und Ausschüssen Verantwortung übernehmen. Die, die mutig gestalten. Und die, die das Ganze in der Praxis mit Leben füllen – in Organisationen, Verwaltungen, Teams. Und das in derzeit auf jeden Fall sehr unruhigen Fahrwassern“, fasst Robert Frischbier, laut eigenen Aussagen Experte für Familienfreundlichkeit und Chancengleichheit, auf Linkedin zusammen.
Nicht alle Punkte schaffen es in den Koalitionsvertrag
Ende März berichteten wir bereits über erste Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen der angehenden Koalitionäre. Drei der seinerzeit diskutierten Punkte mit hoher HR-Relevanz haben es nun anscheinend nicht in den fertigen Vertrag geschafft:
- „Wir werden die Zeitarbeit für ausländische Arbeits- und Fachkräfte öffnen“, hieß es damals noch von Seiten der Union. Im Koalitionsvertrag lässt sich nichts mehr zur Möglichkeit von Zeitarbeit für Drittstaatler finden.
- Die Umsetzung der neuen EU-Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit hat es offenbar ebenfalls nicht in den Koalitionsvertrag geschafft. Die Union forderte zum damaligen Zeitpunkt, dass die Umsetzung der EU-Plattform-Richtlinie 1:1 erfolgen solle, während sich die SPD eine „ambitionierte“ Umsetzung wünschte. Eine Einigung zu dem Thema konnte scheinbar bislang nicht getroffen werden.
- Und auch zum Thema Familienstartzeit konnten sich die drei Parteien zum jetzigen Zeitpunkt wohl noch nicht einigen. Im Koalitionsvertrag der Ampel war schon die Einführung einer zweiwöchigen Familienstartzeit vorgesehen. Die SPD fordert zwar „eine baldmöglichste Freistellung für Väter oder Partnerinnen und Partner bei voller, umlagefinanzierter Lohnfortzahlung in den ersten zwei Wochen nach Geburt eines Kindes.“ Die CDU/CSU lehnt dieses Vorhaben jedoch ab und generell wird der Familienstartzeit wohl keine hohe Priorität zugeschrieben. Die Familienstartzeit wurde damals bei den Ergebnissen unter „Offene Punkte – keine Priorisierung“ aufgeführt.
Info
Den vollständigen Koalitionsvertrag finden Sie hier.
Frederic Haupt war Volontär der Personalwirtschaft.

