Teil 2: Wie HR den Bewusstseinswandel einleitet und Entwicklungslandschaften kreiert
Experten sind die unbekannten Stars der Wirtschaft. Sie sorgen mit ihren Entwicklungen dafür, dass Produkte und Services von Unternehmen auch noch die Bedürfnisse von morgen treffen. Sie machen Unternehmen damit wettbewerbsfähig und zukunftsfest. Dennoch ist festzustellen, dass Experten gegenüber Führungskräften sträflich vernachlässigt werden und zu den unzufriedensten Mitarbeitergruppen in Unternehmen zählen. Wie es so weit kommen konnte, ist – wie im ersten Teil beschrieben – nachvollziehbar. Es ist aber auch brandgefährlich. Denn wenn Experten gehen, dann geht auch Expertise.
Um dies zu verhindern, sind sowohl Führungskräfte und HR als auch die Experten selbst in der Verantwortung. Alle drei Parteien können Unternehmen zu innovativen Experten-Organisationen machen und so ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken. Doch wie kann HR den Grundstein dafür legen?
Top-Experten-Positionen identifizieren
Am Anfang steht ein Bewusstseinswandel: HR sollte sich selbst und dem Top-Management verdeutlichen, dass Experten für ihr Unternehmen von vitaler Relevanz sind. Experten sind die Zukunftsmacher. Aus diesem Bewusstsein heraus kann ein kultureller Wandel gestartet werden, der die Experten in das Licht der Aufmerksamkeit rückt, ohne jedoch die Führungskräfte aus den Augen zu verlieren.
Als zweites sollte HR klären, wer überhaupt als relevanter Experte zählt. Praktikabel ist hier zunächst der Blick auf die wenigen vorhandenen Spitzenpositionen mit herausragender Bedeutung. Sie lassen sich anhand von fünf Kriterien charakterisieren. Sie:
• leisten einen strategisch wichtigen Wertbeitrag,
• tragen eine bereichsübergreifende fachliche Verantwortung,
• verfügen über außerordentliche fachliche Kenntnisse,
• geben ihr Wissen bereitwillig in adressatengerechter Form weiter und
• sind auf dem Personalmarkt eingeschränkt verfügbar.
Entwicklungslandschaft statt Karriereleiter
Damit Unternehmen auf diesen wichtigen Positionen stets hervorragende Leute haben, können sie zwei Dinge tun: Sie kaufen die Experten auf dem Markt ein, doch das ist schwierig und in der Regel richtig teuer. Besser ist es, sie entwickeln ihre entsprechenden Mitarbeiter selbst. Hier kommen dann wieder die Expertenlaufbahnen ins Spiel.
Während die Laufbahnen und Nachfolgepläne an der Spitze noch relativ klar ausgestaltet sein können, geht es weiter unten um Breitensport. Und der beginnt bereits an den Hochschulen. Unternehmen können hier bestimmte Studiengänge, Förderprogramme oder Promotionen mit finanzieren und begleiten. Je früher gute Beziehungen zu geeigneten Kandidaten geknüpft werden, desto besser.
Wie auch immer fähige junge Leute gewonnen werden: Sind sie an Bord, brauchen sie keine festgezimmerte Karriereleiter, sondern eine weite Entwicklungslandschaft, in der sie ihren eigenen Weg weitgehend flexibel gehen können. Denn Breitensport lebt von flexibler Vielfalt. Und: Woran Experten morgen arbeiten und was sie dafür drauf haben müssen, weiß heute niemand. Die Zukunft ist offen – genauso offen sollten Expertenlaufbahnen sein.
Selbst ist der Experte!
Doch was heißt „offen“? Gute Experten zeichnen sich durch Wissensdurst aus und durch fachlichen Ehrgeiz. Überspitzt gesagt, streben Führungskräfte nach dem CEO-Posten und Experten nach dem Nobelpreis. Dieses Streben können Unternehmen fördern, indem sie Experten nicht mit ständigen Vorgaben und Kontrollen auf Linie bringen wollen, sondern ihnen Eigenverantwortung geben und die Möglichkeit, sich selbst zu organisieren und sich auzuprobieren.
Dazu braucht es den richtigen Kontext:
• Projekte, in denen sie Erfahrungen sammeln und wachsen können,
• ein erstklassiges Equipment, das ihnen Top-Leistungen ermöglicht,
• den Kontakt zu Spitzenforschern und -praktikern, von denen sie lernen und sich begeistern lassen können,
• die Voraussetzungen, ein Netzwerk zu knüpfen, das über das eigene Unternehmen hinausreicht
• und die Chance, im Unternehmen sichtbar zu werden, um so immer wieder für neue Herausforderungen ins Gespräch zu kommen.
Neben diesem Kontext ist vor allem auch Geduld vonnöten: Pharmaunternehmen rechnen mit etwa 15 Jahren, bis sich aus dem weiteren Kreis junger Forscher zwei Leute als Nachfolger für die Position eines Top-Experten anbieten.
Das Gesamtpaket entscheidet
HR muss diesen Kontext definieren. Und die Experten müssen sich darin bewegen können. Dafür brauchen sie Orientierung und Guidance. Beides sollten Führungskräfte ihnen geben, die sich nicht als Vorgesetzte verstehen, sondern als Karriere-Dienstleister, Wegbegleiter und Coaches.
An HR liegt es auch, die Entwicklungswege der Experten mit einer marktorientierten Vergütung zu verbinden, die zu den relevanten Expertengruppen passt. Denn Experte ist nicht gleich Experte. Sales-Profis lassen sich zum Beispiel eher durch individuelle leistungsorientierte Boni anspornen.
Entwicklungsingenieure oder forschende Chemiker denken und handeln in langen Zyklen, ihnen ist ein überzeugendes Grundgehalt wichtiger und die Sicherheit, auf lange Jahre am Ball bleiben zu können. In beiden Fällen können sich die Top-Experten auf einer Ebene mit dem Führungskader bewegen. Unterm Strich zählt für alle Experten das Gesamtpaket aus monetärer Vergütung – und der Chance, das Beste aus sich zu machen. Dann haben nicht nur sie selbst eine Zukunft, sondern auch ihr Unternehmen.
+++ Teil I: Experten, neue Stars und blinder Fleck +++
Von: Claudia Merrem, Chief HRO, SUEZ Benelux/Germany; Laura Hohmann, Consultant HKP Group; Frank Gierschman, Partner HKP Group