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Bei der Arbeit wird besonders oft diskriminiert

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Von so vielen Beratungsanfragen wie nie berichtet die Antidiskriminierungsstelle des Bundes in ihrem jetzt veröffentlichten jährlichen Report. Besonders besorgniserregend für Unternehmen: Der mit 33 Prozent am häufigsten gemeldete Kontext von diskriminierenden Vorfällen ist die Arbeitswelt, beispielsweise Diskriminierung beim Bewerbungsverfahren oder im Arbeitsalltag. Insgesamt registrierte die Behörde 11.400 Beratungsanfragen im Laufe des Jahres 2024. Bei den gemeldeten Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts betreffen mit 54 Prozent sogar mehr als die Hälfte der Meldungen den Arbeitsmarkt.

Seit dem ersten Report im Jahr 2019 stieg die Anzahl der Meldungen bei der Antidiskriminierungsstelle kontinuierlich an, insbesondere bei rassistischen Diskriminierungen. Hier hat sich die Gesamtzahl der Meldungen im Vergleich zu der Zeit vor der Pandemie fast verdreifacht, heißt es im Vorwort von Ferda Ataman, der unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung.

Dr. Asmaa El Idrissi ist Juristin und berät Unternehmen im Bereich Diversity, Equity, Inclusion & Belonging (DEIB). Für sie sind die Zahlen des Antidiskriminierungsreports alarmierend: „Sie spiegeln das gesellschaftliche Klima wider. Sie sind Ausdruck eines politischen Rechtsrucks, des zunehmenden Normalisierungsgrads rassistischer Sprache in den Medien und des Anstiegs rechtsextremer Gewalt im öffentlichen Raum.“

Wenn das AGG nicht greift

Dr. Asmaa El Idrissi ist Juristin, Strategin und Change Makerin für DEIB & Antidiskriminierung. (Bild: Sammy Hart)

Vor Diskriminierung (nicht nur) am Arbeitsplatz soll eigentlich das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) schützen. Es verpflichtet Arbeitgeber dazu, entsprechende Maßnahmen einzuleiten, wenn Mitarbeitende Diskriminierung nachweisen können.

Doch jede fünfte Meldung, die der Report aufzeigt, fällt gar nicht unter das AGG. In diesen Fällen gibt es auch keine juristische Handhabe. „Das AGG schützt nicht in allen Lebensbereichen und nicht bei allen Diskriminierungsmerkmalen.“ El Idrissi rät Betroffenen und HR, solche Fälle dennoch zu dokumentieren, um mit den Aufzeichnungen eine spezialisierte Beratungsstelle einzuschalten. Zudem sei es wichtig, solche Vorfälle öffentlich zu machen und so „zur dringend notwendigen Reform des AGG“ beizutragen, wie die Juristin sagt.

Warum werden Menschen gerade am Arbeitsplatz so oft diskriminiert? Asmaa El Idrissi begründet diese mit mangelhaft funktionierenden Schutzmechanismen in Unternehmen: „Zwar sind innerbetriebliche Beschwerdestellen gesetzlich vorgeschrieben, aber die Realität zeigt ein anderes Bild. Viele Unternehmen verfügen entweder nicht über solche Stellen oder sie existieren nur auf dem Papier. Wenn Betroffene keine vertrauenswürdige, erreichbare Anlaufstelle haben, entsteht ein Klima, in dem Diskriminierung geduldet wird.“

El Idrissi rät Unternehmen und HR daher, Mitarbeitenden den Zugang zu transparenten und niedrigschwelligen Beschwerdeverfahren zu ermöglichen. „Diese Verfahren sollten von geschulten Ansprechpersonen begleitet werden, die sowohl rechtlich als auch beraterisch kompetent sind.“ Wichtig hierbei, so die Expertin, sei die klare Definition der Sanktionen und die konsequente Umsetzung. „Nur so entsteht Glaubwürdigkeit.“

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„Antidiskriminierung gehört ins Unternehmensleitbild“

Zwar kann die steigende Anzahl der Meldungen  auch bedeuten, dass mehr Menschen sich sicher fühlen, Diskriminierungsfälle zu melden. Doch andere Untersuchungen weisen immer wieder nach, dass die Verbreitung von fremdenfeindlichen Einstellungen in Deutschland während der letzten Jahre zugenommen hat. So heißt es im Monitoringbericht des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors: „Insbesondere muslimische und Schwarze Frauen sowie Schwarze Männer (sic!) erleben verstärkt subtile Formen der Diskriminierung.“ Gleichzeitig verbreitet sich gerade in der Mitte der Gesellschaft rechtsextremes Gedankengut und der Widerstand dagegen sinkt, wie die Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung von 2023 aufzeigt.

In Unternehmen können Präventionsverfahren bereits beim Recruiting dafür sorgen, dass derartige Vorfälle gar nicht erst entstehen. Asmaa El Idrissi hält diese für mindestens genauso relevant wie leicht zugängliche Meldemöglichkeiten. „Dazu gehören anonymisierte Bewerbungen, strukturierte Interviews und die kritische Prüfung von KI-gestützten Auswahlverfahren. HR-Prozesse müssen regelmäßig auf Diskriminierungsrisiken überprüft und bei Bedarf angepasst werden.“ Antidiskriminierung, so El Idrissi, sollte in das Unternehmensleitbild und den Code of Conduct übernommen werden. Gerade hier rudern derzeit allerdings einige Großkonzerne unter dem Druck der US-amerikanischen Regierung zurück.

Info

Angela Heider-Willms verantwortet die Berichterstattung zu den Themen Transformation, Change Management und Leadership. Zudem beschäftigt sie sich mit dem Thema Diversity.