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Nicht alle Unternehmen legen Wert auf Diversity

Mit überwältigender Mehrheit erklärte das EU-Parlament
am 11. März Europa zur „LGBT-Freiheitszone“. Doch die Realität sieht anders
aus: In vielen Betrieben wird sexuelle Vielfalt nach wie vor diskriminiert.

Regenbogen auf weißem Grund.
Die Wahrscheinlichkeit, am Arbeitsplatz benachteiligt zu werden, ist für Menschen aus der LGBT Community groß. Foto: Liubov/Adobe Stock

„Mich zu verstecken, damit niemand etwas merkt,
war mir einfach zu anstrengend.“ So beschreibt Lothar Emmerich auf der Website des
Energiekonzerns RWE eindrucksvoll sein Coming Out. Ähnlich wie Emmerich geht es
vielen Menschen am Arbeitsplatz, die nicht zur heteronormativen Mehrheit zählen
und als lesbische, homosexuelle, bi- oder transsexuelle Personen, kurz LGBT, insgesamt
eine große Gruppe von Beschäftigten repräsentieren und ihr wertvolles Potenzial
kaum entfalten können. Sie wollen sich endlich vom Druck lösen, der kaum
auszuhalten ist, wertvolle Energie kostet und nicht selten krank macht.

Noch immer überwiegt die Angst, entdeckt und
verächtlich gemacht zu werden. Bei genauerem Hinsehen treten jedoch markante
Unterschiede hervor, wie die Menschen mit ihren Sorgen umgehen. Und die Zeiten
ändern sich: Laut dem Institut für Diversity und Antidiskriminierungsforschung
(IDA) hat die Ablehnung von lesbischen und schwulen Personen in der
Gesellschaft zuletzt beträchtlich abgenommen. Werteten im Jahr 2007 noch 21,6
Prozent der Bevölkerung homosexuelle Personen ab, sank diese Zahl 2016 unter zehn
Prozent. Als Folge davon gehen immer mehr queere Menschen selbstbewusst in die
Offensive, nicht zuletzt im Job.

Erlebte Diskriminierung wird nicht weniger

Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Während
die Offenheit einerseits deutlich gestiegen sei, so IDA-Leiter Professor Dominik
Frohn, habe sich das Ausmaß erlebter Diskriminierung kaum reduziert. Heteronormativität,
Heterosexismus sowie Homo-, Bi- und Trans-Negativität scheinen nach wie vor
auffällig präsent zu sein, heißt es in der aktuellen IDA-Studie „Inter im
Office?“. Ein Beispiel sind bisexuelle Menschen: „Ihre Arbeitssituation
entspricht in etwa der lesbischer und schwuler Befragter vor zehn Jahren“,
erläutert Frohn. Noch schwieriger ist es für Transsexuelle am Arbeitsplatz. Ihnen
begegne man so wie lesbischen und schwulen Personen vor 20 Jahren.

Die Wahrscheinlichkeit, am Arbeitsplatz
>benachteiligt zu werden, ist für Menschen aus der LGBT Community groß. Opfer
von Diskriminierung wurden nach Angaben der Agentur der Europäischen Union für
Grundrechte (FRA) etwa 20 Prozent der lesbischen, schwulen und bisexuellen
Personen und 39 Prozent der trans- und intersexuellen Personen, die in den
letzten zwölf Monaten einer Beschäftigung nachgingen. Das reicht von verklemmten
Witzchen hinter dem Rücken bis zu bewusster, offener Ausgrenzung, weiß Albert
Kehrer von der Stiftung „Prout at Work“. „Wenn der Chef einem zu verstehen
gibt, man sei nicht willkommen, dann lautet die Botschaft: Hier hast Du keine
Chancen mehr.“

Auf verlorenem Posten stehen die Betroffenen
jedoch nicht. „Zumindest theoretisch“, sagt Rechtsanwalt Sebastian Buder von
der Kanzlei Taylor Wessing in Berlin, gewähre ihnen das Allgemeine
Gleichstellungsgesetz (AGG) hinreichend Schutz. Wer bei einer Bewerbung wegen
der bekundeten sexuellen Identität benachteiligt werde, „hat Anspruch auf drei
Monatsgehälter Entschädigung“. Kommt es jedoch zur Diskriminierung im Joballtag,
wird es kompliziert. „Faktisch ist Benachteiligung bei der Arbeit kaum zu
beweisen“, betont Buder, der im Völklinger Kreis, einem Netzwerk homosexueller
Führungskräfte, die Arbeitsgruppe Recht leitet. Konsequenz: Nur wenige Fälle
landen vor Gericht, wie die Antidiskriminierungsstelle des Bundes auf Nachfrage
bestätigt.

Akzeptanz statt Regenbogenflagge

Die Evidenz spricht also eine erkennbar andere
Sprache als es mit bunten Flaggen dekorierte Diversity-Initiativen in der
Wirtschaft vermuten lassen. Blickt man hinter die Kulissen, überstrahlt der
Einsatz für die überfällige Gleichberechtigung von Frauen die nicht minder
berechtigten Anliegen der LGBT Community bei weitem. Worunter auch Frauen
leiden, lesbische Frauen. „Sie stoßen im doppelten Sinne an die gläserne Decke“,
erläutert Patricia Schaller vom Verband der Wirtschaftsweiber unter Berufung
auf die Studie „The L Word in Business“ der Hochschule Frankfurt. „Wegen ihrer
sexuellen Orientierung sind sie am Arbeitsplatz nicht nur von Sexismus, sondern
auch von Diskriminierung betroffen.“

Doch wie kommen Diversity-Projekte aus der
bloßen Image Show heraus; können sie überhaupt zu verlässlichen Fürsprechern
von LGBT werden? Schaller verspricht sich viel von Rollenvorbildern, Netzwerken
und einem klaren Bekenntnis von Arbeitgebern für Vielfalt und Chancengleichheit
als „wichtigste Treiber für positive Veränderungen“. Wie das gelingen könnte,
zeigt die Axa Versicherung in Köln. Seit fünf Jahren wächst die LGBT Community.
„Sie soll Hemmschwellen überwinden und zu Lösungen beitragen“, verspricht Chief
Diversity Officer Christian Riekel.

Dreh- und Angelpunkt ist ein E-Learning-Tool namens
Allies@Axa. Laut Riekel ist es ein niedrigschwelliges Angebot für Beschäftigte,
sich erstmals dem Thema LGBT zu nähern und beispielsweise zu lernen, welche
Formen sexueller Orientierung und Identität es gibt. Wer den Kurs erfolgreich absolviert,
erhält eine Plakette fürs Revers sowie ein digitales Bild, das in sozialen
Medien verwendet werden kann.

Einen Schritt weiter ging eine Seminarreihe
über „Unconscious Bias“, also unbewusste Vorurteile, für Pflegekräfte, Ärztinnen
und Ärzte in der München Klinik, einem Verbund von städtischen Krankenhäusern der
bayrischen Landeshauptstadt. Das Ziel des von Beatrice Alischer entwickelten
Programms lautete, sich überkommener Einstellungen bewusst zu werden. Nur so,
sagt die einstige Mitarbeiterin der Gleichstellungsstelle, sei eine höhere
Akzeptanz verschiedener Lebensformen erst möglich. Nicht nur das, erinnert sich
Alischer, die inzwischen promoviert: „Wenn wir über den Umgang mit Diversität
sprachen, kam es immer wieder zu einem Outing von Teilnehmenden, nicht zuletzt
aus den höheren Etagen und dem ärztlichen Dienst.“

Diversity-Projekte von Unternehmen

Singuläre Erfolgsmeldungen? Vielleicht. Doch
Geduld zahlt sich aus, hier und dort wird bereits das große Rad gedreht. Auch
bei der Axa: Dort träumt man von einer Art „Diversity of Mind“. Am Wichtigsten
sei, dass sich alle Beschäftigten einbringen können – ob sie zu einer
sogenannten Diversity-Zielgruppe gehören oder nicht, wie Riekel hervorhebt. Damit
dies am Ende nicht als netter Versuch verpufft, weil etwa „homophobe Äußerungen
und Altherrenwitze gegen Frauen trotzdem nicht verschwinden“, stünden
Führungskräfte und HR in der Verantwortung, meint Nils Schmidt, Vorstand des
Verbands der Führungskräfte (DFK).

Jene Branchen, die wie Banken und IT schwer getroffen sind, investieren
deutlich mehr in LGBT als der Rest.

Schmidts Rezept: Abmahnungen aussprechen, aber
auch schulen, Netzwerke bilden sowie Fürsprecher finden und ermuntern, sich als
Heterosexuelle für die LGBT-Community einzusetzen. Denn eine offene, diverse
Kultur strahle bereits weit in den Arbeitsmarkt aus und locke gerade die
jüngeren Zielgruppen an. Und der Fachkräftemangel bleibe der Wirtschaft trotz
Pandemie als Herausforderung erhalten, wie Albert Kehrer von „Prout at Work“ beobachtet.
„Jene Branchen, die wie Banken und IT schwer getroffen sind, investieren
deutlich mehr in LGBT als der Rest.“

Mausert sich das Thema erst zu einer glaubwürdigen
Strategie, ist Diversity in der Tat ein Business Case. Denn Beschäftigte, die
ständig wertvolle Energie darauf verschwenden, mit ihrer sexuellen Identität
Versteck zu spielen, rufen nicht ihr volles Potenzial an Kreativität und
Leistungsfähigkeit ab. Claudia Brint-Woody, eine hochrangige IBM-Managerin, hat
dies vor knapp zehn Jahren unter der Formel „The cost of thinking twice“
beschrieben. Mehr Wertschöpfung durch Wertschätzung für jede einzelne Person,
so könnte man es in einen griffigen Appell übersetzen. Ein Appell, der vielleicht
den längst überfälligen kulturellen Wandel endlich anstößt.