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Neue Analysen: Arbeiten die Deutschen wirklich so wenig?

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UPDATE 14.8.2025:

Eine aktuelle Auswertung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) hat nun ergeben, dass – gerechnet auf die Bevölkerung zwischen 20 und 64 – die Deutschen im Schnitt 2022 mit 29 Stunden pro Person so viel gearbeitet haben wie mindestens seit der Wiedervereinigung nicht. Der Anstieg gehe insbesondere auf die Frauen zurück, heißt es dort. Männer hingegen hätten ihre durchschnittliche Arbeitszeit etwas verkürzt. „Die zunehmende Teilzeittätigkeit konnte durch eine starke Erhöhung des Anteils erwerbstätiger Frauen deutlich überkompensiert werden“, fasst Harun Sulak vom BiB zusammen.

Ursprüngliche Nachricht vom 20. Mai 2025:

Die jährlichen Arbeitsstunden pro Erwerbstätigem sind in Deutschland so gering wie in keinem anderen Mitgliedsland der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Diese Tatsache wird von zahlreichen Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft im regelmäßigen Abstand angeführt, um zu belegen, dass deutsche Beschäftigte faul sind und nicht mehr wirklich Lust zum Arbeiten haben.

Hingenommen wird diese Argumentation nicht von allen. Das zentrale Gegenargument in der Debatte: In Ländern, in denen in Familien etwa nur ein Elternteil arbeitet, arbeitet dieses meist Vollzeit – was den Schnitt der Arbeitsstunden pro Woche nach oben zieht. Dass in Deutschland vermeintlich wenig gearbeitet werde, wäre demnach nur ein Nebeneffekt der verhältnismäßig hohen Erwerbsbeteiligung etwa von Müttern – die mit einer Teilzeitbeschäftigung den Schnitt nämlich nach unten ziehen.

Erwerbsbevölkerung statt Erwerbstätige

Eine aktuelle Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt nun: Die Wahrheit liegt wie so oft irgendwo dazwischen. Die Forschenden haben sich nicht die jährlichen Arbeitsstunden pro erwerbstätiger Person angeschaut, sondern die Arbeitszeit pro Person im erwerbsfähigen Alter, also zwischen 15 und 64 Jahren, jeweils bezogen auf das Jahr 2023. Auf diesem Wege erhöhen Teilzeitkräfte den Schnitt, schließlich tragen sie ja auch zur Wirtschaftsleistung bei.

In der vom IW erstellten Liste landet Deutschland nicht mehr auf dem letzten Platz unter den 27 untersuchten OECD-Staaten – aber immer noch ziemlich weit hinten in der Liste. Mit 1036 Stunden pro Person und Jahr liegt die Bundesrepublik immerhin vor Frankreich und Belgien. Spitzenreiter ist demnach Neuseeland, in dem sowohl die Stundenanzahl pro Arbeitnehmerin und Arbeitnehmer als auch die Erwerbsbeteiligung hoch ist. Gut 1402 Stunden arbeiten Menschen zwischen 15 und 64 im Jahr 2023 auf der anderen Seite des Globus.

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Interessant ist: Die Arbeitszeit der Deutschen ist im Schnitt in den vergangenen zehn Jahren leicht gestiegen. Die in nahezu allen anderen untersuchten Staaten allerdings auch. Das wiederum liegt, wie schon mehrfach berichtet, eher an der höheren Erwerbsbeteiligung als an mehr Arbeitsstunden bei jedem und jeder Einzelnen.

Was tun?

Hat die „Wir müssen mehr Arbeiten“-Fraktion, zuletzt etwa Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), also Recht? Darüber lässt sich streiten. Die IW-Forschenden sind dieser Meinung, es gibt aber auch Gegenargumente. Das Wichtigste: Die Zahl der gearbeiteten Stunden sagt wenig darüber aus, was in dieser Zeit geschafft wurde. Gerade bei Schreibtischjobs ist die Produktivität von Teilzeitkräften nicht selten höher als von Vollzeitkräften, wie unter anderem Unternehmen nach Experimenten mit einer Vier-Tage-Woche berichteten. Und schließlich ist das Pro-Kopf-BIP in Deutschland deutlich höher als etwa in Tschechien, auch wenn dort fast 30 Prozent länger gearbeitet wird.

Und auch wenn man der Meinung ist, dass die Zahl der geleisteten Stunden erhöht werden müsste, dürfte es mit Appellen nicht getan sein. Unterschiedliche Ideen, das Ziel zu erreichen, haben wir uns vor gut einem Jahr angeschaut:

Eltern, insbesondere Mütter, stellen in jedem Fall ein großes ungehobenes Potenzial für den Arbeitsmarkt da. Zwar liegt die Erwerbstätigenquote nach aktuellen Zahlen des statistischen Bundesamtes bei Müttern immerhin bei 71 Prozent (Väter: 92 Prozent), Tendenz steigend. Schaut man allerdings auf die Eltern mit Kindern unter drei Jahren, geht der Gender Gap massiv auseinander. 89 Prozent der Väter von kleinen Kindern sind demnach erwerbstätig, aber nur 40 Prozent der Frauen. Und von letzteren sind auch noch mehr als 70 Prozent in Teilzeit.

Matthias Schmidt-Stein koordiniert die Onlineaktivitäten der Personalwirtschaft und leitet gemeinsam mit Catrin Behlau die HR-Redaktionen bei F.A.Z. Business Media. Thematisch beschäftigt er sich insbesondere mit den Themen Recruiting und Employer Branding.