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Wo Automatisierung die Personalnot lindern kann

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Personalwirtschaft: Frau Professor Rump, die Automatisierung galt mal als arbeitsplatzvernichtend. Heute hoffen wir, sie könne die demografisch bedingte Verschärfung des Fachkräftemangels begrenzen. Für welche Jobsegmente ist diese Hoffnung berechtigt?
Jutta Rump: Wir erwarten eine rasch fortschreitende Digitalisierung im mittleren Qualifikationssegment, also dort, wo es um kognitiv und physisch anspruchsvolle Routinetätigkeiten geht. Dieser Bereich, in dem es eine gewisse Kompetenz und Fachlichkeit braucht, sich die Prozesse aber wiederholen, ist die perfekte Basis für digitale Automatisierung. Denn dort lohnen sich die Investitionen in die Digitalisierung für die Unternehmen richtig – zuletzt ist zum Beispiel die Nachfrage nach Industrierobotik stark gestiegen. Deshalb erwarten wir in diesem Bereich langfristig eine leichte Entspannung der Personalsituation.

Wir sprechen hier über Fachkräfte im Sinne der Bundesagentur für Arbeit, oder? Also für Menschen mit mindestens zweijähriger Berufsausbildung – und nicht von Jobs für die höher qualifizierten Spezialisten und Experten.
Solche komplexen Routinetätigkeiten gibt es auch auf Spezialistenniveau. Ein Algorithmus kann im Controlling und im Rechtswesen gewisse Aufgaben übernehmen, aber auch im Journalismus – etwa beim Schreiben von Nachrichten – oder in HR, Stichwort People Analytics. Und in der Medizin sehen wir gerade regelrechte Konzentrationsprozesse: Investorengruppen bilden ganze Konzerne, indem sie gezielt Praxen für Dialyse, Radiologie oder Computertomografie und MRT aufkaufen und die Prozesse digitalisieren und automatisieren. Natürlich gibt es viele Treiber für so eine Entwicklung, aber der demografische Wandel ist einer davon.

Dann sprechen wir also von Fachkräften und Spezialisten. Bei den anderen Tätigkeitsniveaus im BA-Raster, also bei den geringqualifizierten Helfern und den akademisch gebildeten Experten, sind solche Entwicklungen also nicht zu erwarten?
Das ist richtig. So weit sich das abschätzen lässt, werden wir im Zuge der Digitalisierung einerseits einen steigenden Arbeitskräftebedarf im hochqualifizierten Bereich haben und andererseits bei den Basic Workern, die Tätigkeiten im niedrigqualifizierten Bereich verrichten. Im Moment gehören etwa 20 Prozent zu diesem Tätigkeitssegment. aber der Anteil wird den Vorhersagen nach wohl auf circa 25 Prozent wachsen.

Weil die Nachfrage wächst? Laut Institut für Arbeit und Beschäftigung sind die Beschäftigungsquoten bei den Helfern schon zwischen 2015 und 2021 überdurchschnittlich stark gestiegen.
Das wird sich fortsetzen, auch und gerade bei fortschreitender Digitalisierung. Denn auch wenn wir Tätigkeiten an Roboter, Algorithmen und an Künstliche Intelligenz übertragen, braucht es weiterhin Menschen, die an der einen oder anderen Stelle zuarbeiten.  Denken Sie an die Logistik: Wir kaufen online ein, dann wird die Lieferung vielleicht in einem komplett durchdigitalisierten Logistikprozess vorbereitet und das Produkt verladen. Aber spätestens am Ende des Vorgangs habe ich eine Person, die den Transporter fährt und dem Kunden das Paket in die Hand drückt.

Und bei den Experten?
Nehmen Sie das Beispiel von Data Analytics, ob im Controlling oder in HR: Zahlen lassen sich mittels eines Algorithmus in großer Menge kombinieren und interpretieren. Aber am Ende, da schaut dann doch ein Mensch auf die Datenketten und versucht daraus spezifische strategische Schlüsse zu ziehen. 

In welchen Branchen oder Berufsgruppen kann die digitale Automatisierung das Arbeitskräfteproblem womöglich nicht nur lindern, sondern auch lösen?
Kurzfristig sehe ich da niemanden. Aber ich glaube, langfristig kommen die Unternehmen am besten mit dem Arbeitskräftemangel zurecht, die konsequent Kollege Roboter, Kollege Algorithmus und die Kollegin Künstliche Intelligenz ins Boot holen. Wenn Unternehmen passende Aufgaben für diese andere Art von Beschäftigten identifizieren und sie technisch ans Laufen kriegen, können sie sich ein Stück weit unabhängig vom Arbeitsmarkt machen. Ich glaube aber nicht, dass das eine Frage der Branche oder bestimmter Berufsgruppen ist.

Sondern?
Das hängt eher davon ab, wie beweglich das Unternehmen ist. Also wie technologisch offen es ist und mit welcher Konsequenz es in das Thema investiert.

Info

Nic Richter war bis Sommer 2024 freier Mitarbeiter der Personalwirtschaft.