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Abwärtsmobilität: Probleme bei Anerkennung von ausländischen Bildungsabschlüssen

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Je nach Abschluss und Beruf müssen sich die Migrantinnen und Migranten an andere behördliche Stellen wenden. (Foto: William W. Potter_Adobe Stock)
Je nach Abschluss und Beruf müssen sich die Migrantinnen und Migranten an andere behördliche Stellen wenden. (Foto: William W. Potter_Adobe Stock)

Noch vor etwas mehr als einem Jahr war er Kommunikationsminister in Afghanistan, nun liefert Sayed Ahmad Shah Sadaat Essen für Lieferando in Leipzig aus, wie die Leipziger Volkszeitung berichtet. Der 50-Jährige floh noch vor der Machtübernahme der Taliban aus seinem Heimatland und erleidet nun ein Schicksal, das viele Asylsuchende aber auch Migrantinnen und Migranten in Deutschland erleben: Sie nehmen trotz hoher Berufsqualifizierung einen Beruf an, der ihrem Können nicht gerecht wird. „Das ist eine enorme Ressourcenverschwendung für Arbeitgebende aber auch die betroffene Person“, sagt Delal Atmaca, Geschäftsführerin des Dachverbands der Migrantinnen (DaMigra).

Vor allem auch mit Hinblick auf den stetig wachsenden Fachkräftemangel. „Wir brauchen rund 400.000 Zuwanderer pro Jahr“, sagte Detlef Scheele, Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit, der Süddeutschen Zeitung kürzlich. „Sonst werden überall Fachkräfte fehlen.“ Allerdings stellt Scheele auch klar: „Mir geht es hier nicht um Asyl, sondern um gezielte Zuwanderung für die Lücken am Arbeitsmarkt.“

Komplexer Anerkennungsprozess

Damit die Fachkräfte aus dem Ausland die deutsche Wirtschaft bereichern und damit die Folgen des demografischen Wandels ausgleichen können, müssen ihre ausländischen Berufsqualifikationen in Deutschland anerkannt werden. Die Anerkennung ist verpflichtend für sogenannte reglementierte Berufe (beispielsweise im Gesundheitswesen oder im pädagogischen Bereich), aber auch in nicht-reglementierten Berufen helfe die Anerkennung dabei, einen passenden Job zu bekommen, so Claudia Moravek, Leiterin des Arbeitsbereichs „Anerkennung von ausländischen Berufsqualifikationen“ beim Institut für Berufsbildung (BIBB). Doch der Anerkennungsprozess ist komplex.

Migranten und Migrantinnen müssen dafür einen entsprechenden Antrag bei der Behörde einreichen, die im jeweiligen Bundesland für die Ausbildung oder Prüfung ihres Berufs zuständig ist. Dort werde mittels einer Gleichwertigkeitsprüfung identifiziert, ob die ausländische Ausbildung mit ihrem deutschen Pendant – was Inhalt und Dauer betrifft – verglichen werden kann, erklärt Moravek. Die Berufserfahrung der betroffenen Person könne mögliche Unterschiede ausgleichen. Ansonsten sei eine Nachqualifizierung möglich – auch bereits in dem Betrieb, in dem die entsprechende Person arbeiten will. Die Nachqualifizierungsmaßnahmen würden von dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales und dem Europäischen Sozialfonds finanziert. Der Anerkennungsprozess an sich koste allerdings Geld. „Auch hier ist aber eine finanzielle Unterstützung möglich“, sagt Moravek.

Die Anerkennung dauere derzeit drei bis vier Monate. Mit der oftmals nötigen Weiterqualifizierung müsse ein Jahr eingeplant werden, so die Leiterin am BIBB. Für Hochschulabschlüsse müssen sich die Migranten und Migrantinnen an die Zentrale für Ausländisches Bildungswesen (ZAB) wenden.  

Was die BIBB als Unterstützungsnetz beschreibt, ist für den Dachverband der Migrantinnen ein viel zu kompliziertes Verfahren mit zahlreichen Hindernissen für arbeitswillige Migranten und Migrantinnen. „Die Verfahren sind kostenpflichtig und die Wartezeiten sind zu lang“, sagt Atmaca. „Die fehlende Mehrsprachigkeit, die Verwaltungssprache, Fehlinformationen und die nicht immer gute Erreichbarkeit der Beratungsstellen stellt ein Problem dar.“ Auch die Uneinheitlichkeit der Prozesse – je nach Bundesland und Berufs – sei verwirrend.

Ganz entscheidend für den Erfolg auf dem Arbeitsmarkt sind Deutschkenntnisse.

Hindernis Sprache

Ein weiteres Problem: nicht vorhandene Sprachkenntnisse. „Ganz entscheidend für den Erfolg auf dem Arbeitsmarkt sind Deutschkenntnisse“, sagt Moravek. „Dafür bietet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein breites Sprachkursangebot an.“ Medienberichten zufolge liegt es auch an seinen mangelnden Deutschkenntnissen, dass Ex-Kommunikationsminister Sadaat noch keinen Job in seiner Branche gefunden hat.

Und schließlich komme laut den beiden Expertinnen auch den Arbeitgebenden eine Schlüsselrolle zu: „Sie können Arbeitnehmende im gesamten Prozess bei der Schließung von Qualifizierungslücken und der Erlangung der erforderlichen Sprachkenntnisse unterstützen und im Unternehmen eine Kultur der Offenheit und Hilfsbereitschaft in der Belegschaft schaffen“, so Moravek. „Das ist entscheidend für eine gute und schnelle Integration.“ Dabei würden Bundesprogramme wie „Unternehmen Berufsanerkennung“ und „Integration durch Qualifizierung“ helfen. Auch unterstütze die Bundesagentur für Arbeit die Unternehmen finanziell bei den Qualifizierungs- und Integrationsmaßnahmen.

Diskriminierung angehen

Dafür müssen Unternehmen den Migranten und Migrantinnen allerdings auch erst einmal eine Chance geben. „Viel zu oft werden diese noch im Bewerbungsprozess diskriminiert“, sagt Atmaca. All dies führe dazu, dass sich die Migrantinnen und Migranten erst einmal einen Job suchen, für den sie überqualifiziert sind, um überhaupt Geld zu verdienen.

Was bedeutet das nun für Saad? „Wir würden ihm empfehlen, eine Beratungsstelle aufzusuchen, die ihn zu den Chancen der Arbeitsmarktintegration berät und bei der Durchführung eines Anerkennungsverfahrens unterstützen kann“, sagt Moravek. Dann kann ihm sein Studium der Elektrotechnik, das er Medienberichten zufolge besitzt, doch noch dabei helfen, seinen Traum zu verwirklichen und für die Telekom zu arbeiten.

Anerkennung ausländischer Berufsqualifizierungen in Zahlen:

  • 33.120 Anträge wurden im Jahr 2019 gemeldet.
  • Dies war ein Anstieg von 13,4 Prozent im Vergleich zu 2018.
  • 2,6 Prozent wurden nicht als gleichwertig angesehen; 50,2 Prozent wurden als gleichwertig angesehen; 9,5 Prozent als teilweise gleichwertig und bei 37,6 Prozent der Anträge wurde von der Behörde eine Nachqualifizierung gefordert.

(Anerkennungsmonitor BIBB, 2020)

Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.