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Dudenredaktion: „Probieren Sie sich mit dem Gendern aus“

Dr. Kathrin Kunkel-Razum ist Leiterin der Dudenredaktion und hat eine Ansicht zum Gendern, die manche überraschen könnte. (Foto: Felix Pöhland Photography)
Dr. Kathrin Kunkel-Razum ist Leiterin der Dudenredaktion und hat eine Ansicht zum Gendern, die manche überraschen könnte. (Foto: Felix Pöhland Photography)

Eine Umfrage unter HR-Expertinnen und -Experten hat ergeben: Gendern wird in der HR-Welt befürwortet. Allerdings besteht die Sorge, die Anpassung der Sprache könnte den Text unleserlich machen. Welche gendergerechte Sprache ist konform mit den deutschen Rechtschreibregelungen? Wir haben Dr. Kathrin Kunkel-Razum, Leiterin der Dudenredaktion, gefragt.

Personalwirtschaft: Frau Kunkel-Razum, in zahlreichen Unternehmen wird derzeit darüber diskutiert, ob und wie gegendert werden soll. Wie stehen die deutschen Rechtschreibexpertinnen und -experten dazu?

Dr. Kathrin Kunkel-Razum: Die Diskussion gibt es auch bei uns seit vielen Jahren. Für die Bestimmung der Rechtschreibregelungen ist der Rat für deutsche Rechtschreibung verantwortlich. Hier arbeiten circa 40 Vertreterinnen und Vertreter aus den sieben europäischen Ländern, in denen Deutsch gesprochen wird, zusammen. Aktuell sieht das amtliche Regelwerk, das der Rat erstellt, die Verwendung von Sonderzeichen – wie dem Sternchen, dem Unterstrich oder dem Doppelpunkt – fürs Gendern nicht vor. Im Gegensatz dazu werden die Zeichen sehr häufig im Alltag von Unternehmen verwendet.

Warum hat sich der Rat für deutsche Rechtschreibung gegen die offizielle Genehmigung von Sonderzeichen entschieden?

Das Regelwerk geht in seiner Grundlage auf die Rechtschreibreform 1996 zurück. Da stellte sich die Frage nach dem Gendern noch gar nicht. Doch eine Anpassung wäre durchaus möglich, solche hat es in der Vergangenheit bereits gegeben. Man muss beachten, dass der Rat ein internationales Gremium ist und das Thema Gendern nicht in allen Ländern als gleich wichtig angesehen wird. Auch schaut sich der Rat für seine Entscheidung überwiegend Zeitungstexte an, in denen Sonderzeichen noch nicht so häufig verwendet werden.

Woran liegt das?

Die Zeichen sind nicht unkompliziert. Bei ihrer Verwendung muss darauf geachtet werden, dass die neue Form des Wortes grammatisch korrekt ist. Zudem wenden sich Zeitungen an ein breites Publikum, von dem viele Leserinnen und Leser die Verwendung der Sonderzeichen ablehnen. Allerdings wollen sich viele Zeitungen auch von dem generischen Maskulinum verabschieden und präziser werden. Sie weichen oftmals auf eine Kombination aus der weiblichen und männlichen Form aus.

Man muss nicht schreiben „Unterschrift des Kunden“, sondern kann
schreiben „Ihre Unterschrift“ oder „Bitte unterschreiben Sie hier“.

Wo wir auch schon bei den anderen Möglichkeiten wären, um mit einem Text unterschiedliche Menschen anzusprechen. Welche sind neben den Sonderzeichen noch verbreitet?

Es gibt, wie bereits erwähnt, die Doppelnennung, wobei sie natürlich nicht alle Menschen meint, sondern nur Männer und Frauen. Für viele ist das der erste Schritt in die richtige Richtung, wenn auch nicht der perfekte. Dann gibt es die verkürzte Doppelnennung. Das wäre beispielsweise die Schreibweise „Lehrer/innen“ oder „Lehrer-innen“. Es lohnt sich zudem zu schauen, ob man den entsprechenden Inhalt anders formulieren kann. Man muss nicht schreiben „Unterschrift des Kunden“, sondern kann schreiben „Ihre Unterschrift“ oder „Bitte unterschreiben Sie hier“. Ein weiteres Beispiel ist, statt „Holen Sie den Rat Ihres Arztes ein“ zu schreiben: „Holen Sie ärztlichen Rat ein“. Damit hat man die Klippe umschifft. Natürlich gibt es auch abstrakte Begriffe. Anstelle von „Fachmann“ kann „Fachkraft“ gesagt werden. Bei einem konkreten Text muss man hierbei aber aufpassen, dass der Inhalt nicht zu abstrakt wird.

Welche Variante empfehlen Sie?

Unser grundlegender Rat ist: Gucken Sie sich immer Ihre Zielgruppe und ihre Rahmenbedingungen an. Das ist das Allerwichtigste. HR-Leute einer großen Werbeagentur werden sich anders schriftlich äußern, als HR-Menschen in Ministerien. Letztere sind an die amtlichen Rechtschreibregelungen gebunden, private Unternehmen können dahingegen für sich festlegen, ob sie ein Sonderzeichen benutzen. Viele private Unternehmen entscheiden sich auch dafür. So etwa die Lufthansa, Apple und auch Audi. Generell gehen die Unternehmen im Augenblick ihre eigenen Wege.

Es sollte auch nicht vergessen werden, dass Gendern ein Statement ist, das ein Unternehmen macht.

Was gilt es zu beachten, wenn man seine eigene Lösung finden möchte?

Stellen Sie sich folgende Frage: Was wird von den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen angenommen? Personalerinnen und Personaler kennen ihr Unternehmen gut und wissen, wie weit sie gehen können. Ich habe mal an Image-Broschüren für ein kleines Krankenhaus in einer kleinen deutschen Stadt mit einer älteren Bevölkerung gearbeitet. Hier haben wir erst einmal angefangen binär zu gendern und Männer und Frauen anzusprechen. Das hat gut funktioniert. Für dieses Projekt hätte ich nicht das Gendersternchen vorgeschlagen, weil es die Zielgruppe zu diesem Zeitpunkt wirklich überfordert hätte. In einem solchen Fall muss man das Sternchen dann auch nicht verwenden. Wenn die Diskussion weitergegangen ist, kann man irgendwann vielleicht den nächsten Schritt gehen. Denn wir brauchen die Akzeptanz dafür. Es nützt ja nichts, die Leute zu verprellen.

Wie ist die Regelung in ihrem Verlag?

Die Dudenredaktion gehört zum Cornelsen Verlag, der auch ein Schulbuchverlag ist. Bei uns ist die interne Kommunikation anders geregelt, als die Schulkommunikation. Intern werden Sternchen verwendet, extern, beispielsweise bei Lehrbüchern, wird es nicht eingesetzt. In den Büchern werden überwiegend Doppelnennungen, Kurzformen oder genderneutrale Formulierungen verwendet.  

Warum haben sich Ihres Wissens nach viele Unternehmen dazu entschieden, ihre Sprache zu ändern und zu gendern?

Was ich von Personalerinnen und Personalern erfahren habe, ist, dass von vielen Belegschaften die Forderung kommt, zumindest die interne Kommunikation divers zu machen.

Kritiker sehen im Gendern eine Zerstörung der Sprache. Können Sie das nachvollziehen?

Nein, von Sprachzerstörung kann hierbei überhaupt nicht die Rede sein. Erstens betrifft es nur ein kleines Teilgebiet der Sprache und auch durch die eingesetzten Mittel fürs Gendern sehen wir keine Sprachzerstörung. Vielmehr sehen wir hier ganz viel Kreatives. Wir haben einen gesellschaftlichen Umbruch, der sich in Sprache abbilden muss, denn die Gesellschaft entwickelt sich auch in und mit Sprache weiter. Natürlich gibt es ungeklärte Fragen, aber so ist das, wenn neue Entwicklungen auftreten. Sprache ist ein zutiefst dynamisches System. Selbstverständlich sollte man nicht ohne Regeln schreiben und beachten, dass der Text sprachlich korrekt ist. Abgesehen davon würde ich dazu ermutigen, sich mit dem Gendern auszuprobieren. Gendern tut nicht weh.

Ungewohnt ist es dennoch erstmal, oder?

Ja, es ist eine Übungssache. Die ersten Male kann es anstrengend sein, weil man nachdenken muss. Wenn man das ein paarmal gemacht hat, wird es einfacher. Es sollte auch nicht vergessen werden, dass Gendern ein Statement ist, das ein Unternehmen macht. Auch der Verzicht darauf ist eine Aussage.

Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.