Je länger der Krieg in der Ukraine andauert, desto mehr stellt sich die Frage, ob und wie die Geflüchteten in den deutschen Arbeitsmarkt integriert werden können. Ein erster Abgleich zeigt, dass viele Ukrainerinnen mittelfristig in Berufen, bei denen in Deutschland ein Engpass besteht, unterkommen könnten. Die Prognosen sind allerdings noch mit vielen Fragezeichen behaftet.
An der grundsätzlichen Nachfrage an Arbeitskräften mangelt es nicht, berichtet das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) auf seiner Webseite: Im vierten Quartal 2021 waren 1,69 Millionen Stellen zu besetzen: „Dieser Wert übertrifft sogar das Niveau unmittelbar vor der Corona-Krise, obwohl sich der Arbeitsmarkt bis dato schon sehr positiv entwickelt hatte.“
Die Teilarbeitsmärkte für akademische, technische, medizinische und landwirtschaftliche Berufe sowie für Berufe im Handwerk seien dabei besonders angespannt. Tatsächlich arbeiten viele Ukrainerinnen in akademischen sowie technischen und medizinischen Berufen. Sie könnten in diesen Segmenten für Entlastung auf dem Arbeitsmarkt sorgen. Dagegen arbeiteten nur wenige Ukrainerinnen in landwirtschaftlichen oder handwerklichen Berufen.
Früher Abgleich der beruflichen Passgenauigkeit
Insbesondere im Handwerk könnten ukrainische Männer dazu beitragen, den hohen Personalbedarf zu decken. Sie dürfen die Ukraine jedoch in aller Regel nicht verlassen, da sie zum Militärdienst oder kriegsnotwendigen Arbeiten eingezogen werden. Bei Dienstleistungs- und Helferberufen wiederum ist dem IAB zufolge ein vermehrter Zugang von geflüchteten Ukrainerinnen zu erwarten. Hier gibt es jedoch, abgesehen von einzelnen Berufsbildern, keinen besonders hohen Engpass in Deutschland.
Der frühe Abgleich der beruflichen Passgenauigkeit kann auch aufzeigen, wo Umschulungen besonders erfolgversprechend sind. Er ist allerdings mit Vorsicht zu interpretieren. So stellt sich unter anderem die Frage, ob ukrainische Geflüchtete überhaupt eine Arbeit in Deutschland aufnehmen möchten. Auch die Sprachbarriere kann zu Problemen bei der Integration in den deutschen Arbeitsmarkt führen. Erfahrungen mit bislang nach Deutschland zugezogenen Ukrainerinnen und Ukrainern hätten jedoch gezeigt, dass das Niveau der deutschen Sprachkenntnisse relativ schnell mit der Aufenthaltsdauer steigt.
David Schahinian arbeitet als freier Journalist und schreibt regelmäßig arbeitsrechtliche Urteilsbesprechungen, Interviews und Fachbeiträge für die Personalwirtschaft.