Update 31.7.2024: Auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat Zweifel an der Rechtmäßigkeit. Die Deutsche Presseagentur (dpa) zitiert aus einem entsprechenden Gutachten, dass möglicherweise Beschäftigte, die schon länger in Deutschland arbeiten, unzulässig benachteiligt würden. Mehr unter anderem bei der F.A.Z.
Ursprünglicher Bericht: Deutschland braucht Jahr für Jahr hunderttausende Migrantinnen und Migranten, um den steigenden Fachkräftebedarf zu decken. Unter gut ausgebildeten Menschen im Ausland gehört die Bundesrepublik aber nicht gerade zu den beliebtesten Zielen, wie Studien immer wieder zeigen – und wie wohl unzählige Unternehmen aus der Praxis berichten können.
Deutschland muss also attraktiver werden für Fachkräfte aus dem Ausland. Nur wie? Die Antwort der Bundesregierung: ein Steuerrabatt. Wer zum Arbeiten nach Deutschland kommt, soll nach dem Willen der Regierung mehr Netto vom Brutto bekommen, zumindest in den ersten drei Jahren. So steht es in den Plänen zu einem Wachstumspaket, das das Kabinett Mitte Juli beschloss.
Seitdem regt sich Widerstand. Die Warnung vor „Inländerdiskriminierung“ war eine der ersten Reaktionen. Diese ist nach EU-Recht verboten, könnte hier aber vorliegen. Auf jeden Fall gefühlt – was nach Ansicht mancher zu einer Verschärfung der Ausländerfeindlichkeit hierzulande führen könnte.
Viele Gründe für die Unbeliebtheit
Gerade diese Ausländerfeindlichkeit ist aber ausweislich der eingangs erwähnten Umfragen einer der wichtigsten Gründe, wieso ausländische Fachkräfte nicht nach Deutschland kommen – oder das Land wieder verlassen. „Zwei unserer ausländischen Mitarbeiter haben Deutschland verlassen, weil sie gesagt haben, dass sie sich hier nicht mehr wohl und sicher fühlen“, zitierte im April die Wirtschaftswoche Detlef Neuhaus, Chef der Solarfirma SolarWatt aus Dresden. „Das sind direkte Folgen der sich eintrübenden Stimmung hier im Lande. Es gab in beiden Fällen keine konkreten Bedrohungen, aber die Atmosphäre im Land hat sich einfach aufgeheizt.“
Auch Themen wie die überbordende Bürokratie, fehlende Digitalisierung, schleppende Verfahren zu Aufenthaltstiteln und ein nicht selten jahrelanger Kampf um die Anerkennung ausländischer Abschlüsse frustrieren ausländische Fachkräfte und ihre (potenziellen oder aktuellen) Arbeitgeber gleichermaßen. So schildert die Tagesschau den Fall einer Pflegerin. Seit eineinhalb Jahren wartet diese demnach darauf, dass ihre Ausbildung, die sie in der Schweiz gemacht hat, in Deutschland anerkannt wird. Doch die Behörden seien überlastet und vertrösteten sie immer wieder. „Jedes Mal, wenn ich beim zuständigen Regierungspräsidium anrufe, sagt man mir, sie arbeiten daran. Aber wie lange es noch dauert, weiß ich nicht“, wird die Frau zitiert.
Neben dem wachsenden Rassismus und der Bürokratie gibt es auch Gründe, bei denen Deutschland gegenüber manch anderem Land einen klaren Startnachteil hat. So ist die Sprachbarriere für viele ausländische Fachkräfte etwa in englischsprachigen Ländern deutlich kleiner, auch Frankreich und Spanien sind für Menschen aus Afrika beziehungsweise Lateinamerika allein aus diesem Grund oft attraktiver. Unternehmen könnten hier an manchen Stellen wohl etwas flexibler werden, was die Anforderungen an das deutsche Sprachniveau der Bewerbenden angeht. Oder sie könnten selbst entsprechende Sprachkurse bereitstellen und bezahlen, denn von Seiten des Staates gibt es etwa bei Kursen für Geflüchtete zu wenig Angebote und lange Wartezeiten. Den Nachteil ganz wettmachen wird man allerdings kaum können.
Bei der finanziellen Attraktivität jedenfalls landet Deutschland in den einschlägigen Umfragen hingegen schon ohne Steuerrabatt mindestens im Mittelfeld. Sie scheint also deutlich seltener der Grund zu sein, nicht ins Land zu kommen.
Steuerrabatte in anderen Ländern
Daher ist es auch kein Wunder, dass der Plan der Ampel kaum Freunde und Freundinnen hat. Die „Wirtschaftsweise“ Monika Schnitzer hält den Ansatz zwar dem Vernehmen nach für richtig, betont gegenüber der Tagesschau aber ebenfalls, dass in Deutschland vor allem bürokratische Hürden einer besseren Anwerbung von Fachkräften im Weg stünden. Investor Carsten Maschmeyer spricht bezüglich des Steuerrabatts im Focus so wie DGB-Chefin Fahimi von „gesellschaftlichem Zündstoff“. Und auch die Ärztegewerkschaft Marburger Bund lehnt den Vorschlag ab. „Es liegt nicht am Steuerrecht, dass Deutschland zu wenige Fachkräfte aus dem Ausland hat, sondern an den Anerkennungsverfahren der beruflichen Qualifikationen“, sagte die Vorsitzende dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Auch Politiker verschiedener Parteien kritisieren den Vorschlag, selbst Hubertus Heil, der als Minister sogar Mitglied der Regierung ist, sagt: „Die Arbeit in diesem Land muss gleich viel wert sein.“
Argumente, dass der Plan doch funktionieren könnte, liefert die Beratung EY in der Wirtschaftswoche. „In anderen Ländern wie Österreich, Niederlande, UK, Spanien und Belgien gab beziehungsweise gibt es ähnliche Modelle und in unserer Beratungspraxis hat sich immer wieder gezeigt, dass diese Instrumente sinnvoll eingesetzt werden können“, wird EY-Steuerberater Michael Gschwandtner dort zitiert. Zahlen, mit denen der Erfolg untermauert werden kann, liefert der Artikel nicht.
Eine andere Zahl liefert allerdings das Institut der deutschen Wirtschaft (IW): die jährlichen Kosten des Planes. Die beziffert das Institut auf 300 Millionen Euro im ersten, 500 Millionen Euro im zweiten und 600 Millionen Euro ab dem dritten Jahr. „Die Kosten könnten noch höher ausfallen“, heißt es auf der IW-Website. „Je nachdem, wie gut ausländische Fachkräfte ausgebildet sind und wie viel sie verdienen.“ Klar: Das Geld könnte sich lohnen. Aber auch die IW-Forschenden um den Steuerexperten Martin Beznoska sind skeptisch. „Zudem bleibt fraglich, ob das Instrument überhaupt zusätzliche Fachkräfte anlockt“, schreiben sie – und sind damit einer Meinung mit zahlreichen Kritikern des Regierungsplans.
Matthias Schmidt-Stein koordiniert die Onlineaktivitäten der Personalwirtschaft und leitet gemeinsam mit Catrin Behlau die HR-Redaktionen bei F.A.Z. Business Media. Thematisch beschäftigt er sich insbesondere mit den Themen Recruiting und Employer Branding.

