Nimmt die Rezessionskurve eher die Form eines „U“ oder eines „V“ an? Volkswirtschaftsexperten zeichnen derzeit unterschiedliche Entwicklungen der Konjunktur und kommen zu dem Schluss: Es gibt Grund für Optimismus. Für viele Branchen sei die wirtschaftliche Entwicklung in Form eines V charakteristisch, heißt es beim Statistischen Bundesamt. Allerdings sei das Vorkrisenniveau bei den meisten noch nicht erreicht. Außerdem bleibt die Untersicherheit, ob sich das Erholungsniveau vor dem Hintergrund steigender Infektionsfälle im vierten Quartal 2020 halten könne.
Kandidatenmarkt in Bewegung
Im dritten Quartal zeigten sich indes erste Indizien für langsame Erholung der Wirtschaft. Schauen wir zunächst auf die Gruppe der Fach- und Führungskräfte. Die Personalberater haben ihre Fühler eng an potenziellen Kandidaten/innen und gewinnen dadurch Einblick in ihre Wechselbereitschaft sowie auch in Personalrochaden und -reduzierungen in Unternehmen
Erwartungsgemäß ist das Bild je nach Branche und Hierarchie-/Funktionsebene sehr heterogen. Aus der schon von der Pandemie unter Druck geratenen Automotive-Industrie und den Zulieferbranchen drängen Führungskräfte aus der Produktionsebene auf den Markt, berichtet Dirk Aaron Bohl, Managing Director von Deltacon Executive Search & Recruiting. Keine neuen Herausforderungen suchten dagegen Professionals und Führungskräfte aus dem IT-Bereich und der Lebensmittelindustrie. „Sie wechseln nicht so schnell in neue Unternehmen und wenn, dann fragen sie sehr dezidiert nach ihren Perspektiven sowie der Solidität des Auftraggebers.“ Von einer sehr hohen Bewerberresonanz auf Positionen bei Start-Ups bis zum Mittelstand berichtet Dr. Thomas K. Heiden, Inhaber der Heiden Associates Personalberatung: Auf C-Level-Positionen erhalte er doppelt so viele Bewerbungen wie vor der Corona-Krise. Ein Grund dafür: Viele Führungskräfte würden von dramatischen Einschnitten in ihren Unternehmen überrascht und nehmen attraktive Abfindungspakete an „solange noch Geld in der Kasse“ ist, ohne dass sie schon eine neue Beschäftigungsperspektive haben.
Kandidaten zögern
Bei der Personalberatung Passion for People registriert Geschäftsführer Michael Welz, dass sich auf vakante Positionen im Führungskräftebereich aktuell auffällig viele und auch sehr attraktive Kandidaten bewerben, deren Unternehmen offenbar in Schieflage geraten seien. Dagegen sei es sehr herausfordernd, im Fach- und Spezialisten-Bereich vakante Positionen erfolgreich zu besetzen, weil „die Wechselbereitschaft dieser Personen sehr zurückhaltend sei“.
Dass die Anzahl der verfügbaren Kandidaten auf dem Markt zunimmt, bestätigt Dr. Michael Faller, Vorstand der Baumann Unternehmensberatung. Doch damit seien nicht automatisch mehr erfolgreiche Positionierungen verbunden: „Bei zahlreichen Suchaufträgen im Segment Executive Search finden die angesprochenen Manager und Managerinnen nun eine Krisensituation im Unternehmen vor, statt eines Wachstumsszenarios.“ Auch wenn die Zielposition sicher sei, möchten diejenigen, die nicht wechseln müssen, häufig erst die Entwicklung des jeweiligen Unternehmens abwarten, um zu entscheiden, ob sie sich wirklich beruflich verändern wollen.
Offen für Wechsel zeigen sich Führungskräfte jedoch unabhängig vom Grad der Krisenbetroffenheit ihres Arbeitgebers, nämlich wenn „sie sich in der Krise nicht immer gut behandelt fühlten“. So die Erfahrung von Dennis Hoffmeister, Senior Partner bei Page Executive Germany: „Unter Druck hat sich manche Unternehmenskultur entlarvt, beispielsweise durch geringes Vertrauen in die Arbeitnehmer im Homeoffice, sodass Schlüsselkräfte und Talente darauf reagieren, indem sie sich schon mal innerlich verabschieden und neue Karrierepfade suchen.“
Einstellungsbedarf in Unternehmen
Während die einen mit massiven Umsatzeinbrüchen zu kämpfen haben, profitieren andere in der Krise. Welche Unternehmen planen trotz Rezession Neueinstellungen? Im Finance-Markt beobachtet Barbara Thiell, Director Executive Search von Kienbaum Consultants International, zwei Entwicklungen: Einerseits würden Beschäftigte im Back Office abgebaut, da sich zunehmend die Automatisierung und Digitalisierung der Prozesse durchsetzt. Neue Beschäftigungsmöglichkeiten für diese Klientel seien aber rar, da die Nachfrage fehle. Andererseits herrsche „beispielsweise im Payment-Sektor ein großer Wettbewerb um Talente“. So begann bei einigen Personalberatern das Buhlen um Mitarbeiterteams von Wirecard bereits, bevor die Insolvenz spruchreif war. „Erfahrene Sales-Kräfte wurden und werden immer gebraucht.“
Auch andere Branchen, in denen durch Digitalisierung neue Geschäftsmöglichkeiten entstehen, setzen klar auf Wachstum. So realisiert die Topos Personalberatung wieder Suchaufträge von E-Commerce-Unternehmen, der Pharmabranche, der Bio- und Medizintechnologie sowie dem IT- und Security-Bereich. Geschäftsführer Thomas Holtmann: „Darüber hinaus gab es in den letzten Monaten auch personelle Fluktuationen, die Arbeitgeber jetzt nachbesetzen.“ Sein Resümee: Es gehe langsam wieder aufwärts.
Krisenerfahrene Führungskräfte in Warteposition
Mehr Neueinstellungen bei Mandanten und eine spürbare Verbesserung im Markt registriert auch Michael Faller. Dazu beigetragen haben unter anderem auch Nachholeffekte insbesondere im zweiten Quartal 2020, denn Führungspositionen, die aufgrund des Corona bedingten Hiring Freeze zunächst offen blieben, mussten besetzt werden. Der Vorstand der Baumann Unternehmensberatung sieht jedoch zugleich Indikatoren, die anzeigen, dass die Krise noch nicht durchgestanden ist. „Das Suchvolumen ist nicht mit dem aus den Vorjahren zu vergleichen – sowohl bei Professional-, als auch bei Executive-Positionen.“ Aus seiner Sicht ist es bemerkenswert, dass Unternehmen derzeit zögerten, den CEO abzuberufen, obwohl in der Krise andere Kompetenzen zum Einsatz kommen müssten als bisher. Auch wenn der Handlungsdruck vorhanden sei, verharrten Aufsichtsräte und Gesellschafter gerade in mittelständischen Firmen häufig im Status Quo. Seine Prognose: Ähnlich wie schon in der Finanzkrise 2008/09 „werden C-Level-Positionen erst neu besetzt, wenn die aktuelle Ausnahmesituation abklingt, um dann das Unternehmen krisensicherer aufzustellen,“.
Dass Unternehmen bei Besetzungen von Positionen im C-Level zurückhaltender sind, bestätigt auch Dirk Aaron Bohl von Deltacon. Obwohl die aktuelle Situation zeige, „welche Führungskräfte krisenerfahren sind und wo Defizite liegen, handeln Vorstände und Gesellschafter nicht“. Dies werde häufig mit dem Argument begründet, die Kontinuität gegenüber der Belegschaft wahren und Ruhe gegenüber Markt und Kunden ausstrahlen zu müssen. Dabei sei es gerade in kritischen Zeiten zielführend, die „Schönwetterkapitäne zu identifizieren und die Weichen neu zu stellen“.
Management unter Beobachtung
Aber nicht alle Unternehmen verhalten sich in dieser Weise: Es sind die inhabergeführten, die in Krisensituationen eher am Top-Management festhalten, erklärt Thomas K. Heiden von Heiden Associates. Im Gegensatz dazu würden sich Venture-Capital- und Private-Equity-Gesellschafter die Performance des Managements sehr genau anschauen und „bleibt sie aus, werden die Positionsinhaber rasch zur Disposition gestellt“.
Auch wenn Personalrochaden auf C-Level-Ebene aktuell bei Firmen mit massiven Umsatzeinbrüchen noch nicht stattfinden, beobachtet Personalberater Michael Welz von Passion for People, dass in diesen Organisationen leitende Positionen auf der zweiten Führungsebene und Personal auf operativer Ebene stark reduziert würden. „Jetzt werden strukturelle Probleme angegangen, die bereits vor der Krise existierten“.
Diagnostik: Auch in der Krise gefragt
Head Hunter unterstützen Unternehmen nicht nur bei der Profilerstellung, der Suche und Identifikation der geeigneten Executives oder Spezialisten, sondern sie beurteilen die Kandidaten mit Managementdiagnostik-Tools und beraten bei den Auftraggeber bei der Auswahl. Während in den letzten zwei bis drei Jahren Management Audits und Appraisals weiter unten auf der Prioritätenliste der Unternehmen standen, „zieht jetzt die Nachfrage nach Performance-Einschätzungen deutlich an“, berichtet Thomas K. Heiden von Heiden Associates Personalberatung. Die Entwicklung sei verständlich: Vor der Krise habe das Thema Performance im Sinne von Wachstumsmanagement nicht im Vordergrund gestanden. Doch unter den veränderten Vorzeichen möchten Gesellschafter immer häufiger wissen, welche „Führungskräfte Krisen meistern und die anstehende digitale Transformation erfolgreich umsetzen können“.
Bei Kienbaum Consultants International erlebt die Berater die Situation anders: Barbara Thiell: „Management Audits waren auch in den letzten Jahren sehr gefragt, eben weil viele Unternehmen vor den Fragen stehen: Wohin bewegen wir uns in Zukunft und haben wir dazu die richtigen Führungskräfte?“ Auch aktuell ließen große und mittelständische Arbeitgeber komplette Hierarchieebenen auditieren, um die Zukunftsfähigkeit der Führungsmannschaft zu eruieren.
Personalberatung versus „Quick and Dirty“
Die Rezession setzt Unternehmen je nach Branchen unter einen immensen Kostendruck. Daher sehen sich Personalberater in einer Situation, in der ihre Honorierungsmodelle hinterfragt werden. Wieder einmal – denn der Wettbewerb mit reinen Searchern auf dem Markt ist nicht neu. Und einige von ihnen wollen jetzt mit Preisdumping und ausschließlich erfolgsorientierten Honoraren neue Kunden gewinnen. „In der Mandatsvergabe sind die Auftraggeber vorsichtiger geworden, weil sie mit den Budgets bestmöglich umgehen wollen“, so die Erfahrung von Barbara Thiell, Kienbaum Consultants International. Nun müsse sie in manchen Fällen argumentieren und das Honorarvolumen begründen. Doch das fällt ihr nicht schwer, weil sie die Folgen dieser Vorgehensweise kennt: „Wir im Nachhinein die Scherben aufsammeln, wenn eine Besetzung nicht realisiert werden kann oder schief geht“. Der Schaden der Quick-and-Dirty-Methode sei für Unternehmen immens. „Der Mandant gerät unter Zeitdruck, weil eine dringend benötigte Führungskraft nicht rechtzeitig rekrutiert und an Bord geholt werden kann.“ Zudem stoße man bei der nicht exklusiven Vergabe von Mandaten auf Personen, die von mehreren Beratern angesprochen wurden, was die Zweifel potenzieller Bewerber hinsichtlich eines Wechsels erhöht. „Letztlich leidet die Reputation des Auftraggebers darunter.“
Cultural Due Diligenc
Im dem an manchen Stellen schärfer gewordenen Wettbewerb zwischen einerseits Personal- und Executive Search-Beratern und andererseits reinen Personalvermittlern, die in erster Linie Lebensläufe potenzieller Kandidaten weiterreichen, liegt aber auch eine Chance. Das betont Dirk Aaron Bohl von Deltacon: „Wir müssen gegenüber Mandanten noch einmal mehr Transparenz über unsere Prozesse, die Wertigkeit unseres Handelns und den nachhaltigen Mehrwert aufzeigen.“ Beispielsweise den strukturierten, oftmals verdeckten Direct Search mit einer fundierten Ansprache, dem Executive Profiling der Kandidaten inklusive der relevanten Management und Leadership Skills über kompetenzbasierte Interviews bis zur Passung in die Unternehmenskultur. Besonders das Matching mit den persönlichen Wertesystemen der Kandidaten sollte heute den gleichen Stellenwert besitzen, wie die geforderten Management Skills. „Bei dem notwendigen Austausch einer Führungskraft sollte immer ein Cultural Due Diligence erfolgen.“
Unterschiede im Leistungsspektrum
Im Executive-Search-Bereich erleben die Berater der Baumann Unternehmensberatung kaum Preisdiskussionen. Jedoch bei der Auftragserteilung im Professional Hiring, so Michael Faller, weil hier unterschiedliche Honorar- und Leistungsmodelle im Wettbewerb stehen würden. Ihm ist es wichtig zu betonen, dass die unterschiedlichen Ansätze – erfolgsorientierte und Retained-Modelle – beide ihre Berechtigung haben, „je nachdem, welche Erwartungshaltung der Kunde an die Dienstleistung des Personalberaters stellt“. Wenn der Auftraggeber keine relevante Beratung oder lediglich Zugang zu Profilen aus der Datenbank eines Personalvermittlers sucht und mit einer ergänzenden Quick-and-Dirty-Suche in Social Media Networks zufrieden ist, könne die Zusammenarbeit mit einem rein auf Erfolgsbasis arbeitenden Recruiter durchaus Sinn machen. „Will der Kunde aber für die Besetzung einer erfolgskritischen Position einen Überblick über den verfügbaren Kandidatenmarkt bekommen und ist er an einer echten Beratungsleistung interessiert, erhält er eine andere Leistung.“ Eben neben Kontakten aus der Datenbank des Beraters und aus seinem persönlichen Netzwerk auch solche aus der Direktansprache sowie eine strukturierte Bearbeitung des gesamten Kandidatenmarktes. Der Identifizierungs- und Beratungsprozess unterscheide sich grundsätzlich von der bloßen Suche nach passenden Lebensläufen. „Beide Vorgehensweisen sind vertretbar, aber der Kunde sollte den Unterschied kennen und somit auch die Preisdifferenzen verstehen können.“
Anders als bei Bestandskunden, die die Leistungen kennen, begegnet auch Thomas Holtmann bei Neuakquisen durchaus Honorarvorstellungen, die nicht zum Leistungsspektrum der Topos Personalberatung passen. Um eine erfolgreiche Besetzung zu realisieren, „investieren wir in einem wesentlich höheren Maße, als diejenigen, die sich nur als CV-Trader verstehen“. Dafür erhalte der Mandant auch die Sicherheit, dass die relevanten Persönlichkeiten im Markt direkt kontaktiert werden und nicht nur diejenigen, die aktiv auf der Suche sind. Darüber sei man Sparringspartner der Kunden und unterstütze auch über den reinen Recruiting-Prozess hinaus.
Demografisch bedingte Lücken füllen
Die Rückkehr zum Vorkrisenniveau wird eher ein Marathon, als ein Sprint. Das zeichnet sich im Oktober 2020 ab. Denn über allem steht die Frage, wie sich die Pandemie mit ihren wirtschaftlichen Folgen entwickelt. So fragil kurzfristige Prognosen sein mögen, so sicher sind sich die Experten beim Blick in die mittelfristige Zukunft aus. Mit dem Jahr 2020 geht die Generation der Babyboomer in Rente, hebt Dennis Hoffmeister von Page Executive Germany hervor. Viele erfahrene Fach- und Führungskräfte würden den Arbeitsmarkt verlassen und unabhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung müssten Unternehmen in den nächsten fünf Jahren die Lücken füllen. „Spezialisten und Executives werden dem Arbeitsmarkt weiterhin gute Chancen haben, vielleicht sogar bessere als in der Vor-Corona-Zeit.“ Diese Prognose teilt auch Thomas Holtmann, Topos Personalberatung. Neben den demografischen Problemen forderten die E-Mobilität, New Work, nachhaltiges Wirtschaften, Artificial Intelligence und anderes deutsche Unternehmen heraus. „Qualifizierte Führungskräfte und Spezialisten werden künftig in signifikanter Anzahl fehlen und somit wird auch für professionelle Personalberater entsprechend viel zu tun sein.“
Christiane Siemann ist freie Journalistin und Moderatorin aus Bad Tölz, spezialisiert auf die HR- und Arbeitsmarkt-Themen, die einige Round Table-Gespräche der Personalwirtschaft begleitet.