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Rennender Geschäftsmann
Die Corona-Pandemie macht auch vor Headhuntern nicht halt. Doch die Krise bietet auch neue Chancen für Kunden und Kandidaten, so Personalberater im virtuellen Round-Table-Gespräch. Foto: © SFIO CRACHO / stock.adobe.com

Noch bis in den Januar 2020 waren die Auftragsbücher voll und die Kunden vergaben neue Suchmandate. Die Entwicklung der vergangenen zwölf Monaten setzte sich fort: Der Kandidatenmarkt blieb eng, weil die begehrten Schlüsselkräfte von zahlreichen Akteuren umworben wurden. Im März 2020 dann der Lock Down. Das Coronavirus legt die Wirtschaft und das soziale Leben lahm. Noch gestern galten als wichtigste Assets in Unternehmen die Change-Fähigkeiten für die digitale Transformation sowie das Recruiting von begehrten Top-Spezialisten und Führungskräften. Heute dreht sich alles um die realen Vermögenswerte. Vorstände und Geschäftsführungen organisieren das wirtschaftliche Überleben und die bis gestern noch erfolgsentscheidende Suche nach den passenden Leistungsträgern hat ihre Relevanz für den Moment verloren.

Abschlussreife Arbeitsverträge versanden auf den letzten zehn Metern und Entscheidungen werden nach hinten verschoben. Diese Reaktionen erleben die Search-Experten in der Praxis. Wobei sie sich  sicher sind: Die Phase des Geschäftseinbruchs beginnt gerade erst. Gleichzeitig laufen aber die meisten Suchprojekte weiter, doch neue Mandate blieben zunächst aus, sagt  Thomas Holtmann, Geschäftsführer des Münchner Standorts der Topos-Personalberatung. Zwar gäbe es wieder erste Gespräche mit Auftraggebern, doch bis zur Beauftragung werde es in den meisten Fällen noch ein paar Wochen dauern.

Branchenperspektiven

Es sind vor allem Unternehmen aus dem Mittelstand, deren Themenpriorisierung sich drastisch verschoben hat. Zwar würden laufende Besetzungsprojekte nicht gestoppt, berichtet auch Dr. Michael Faller, Vorstand der Baumann Unternehmensberatung. Aber das Rückgrat der deutschen Wirtschaft – der Automobil-, Maschinen- und Anlagenbau sowie die Zulieferer – gerate zweifach unter Druck. Auf der einen Seite befinden sich diese Branchen seit rund zwölf Monaten in der strukturellen Veränderung hin zur E-Mobilität bei zeitgleich zurückgehenden Exporten in einer ohnehin schwierigen Phase. Jetzt zeige sich zudem als Folge der Corona-Krise, dass internationale Lieferketten unterbrochen sind. „Die Unternehmen sind zu Double-Sourcing-Strategien gezwungen und die ohnehin schon engen Margen gehen verloren.“ Hinzu komme, dass Unternehmen im Automotive-Bereich Strukturanpassungen durchführen, die sie schon vor der Krise beabsichtigt hätten, nun aber unter der Überschrift „Corona“ durchdrücken wollten. Das werde mittelfristig Konsequenzen haben – nicht nur im Spezialisten-, sondern auch im Führungskräftebereich“ prognostiziert Michael Faller.

Allerdings ist nicht jede Branche gleichermaßen von den Folgen der Pandemie betroffen. Dr. Thomas K. Heiden, Geschäftsführer der Heiden Associates Personalberatung, gibt zu bedenken, dass auch vor Covid-19 die Wirtschaftsbereiche wie Banken und der Automotive-Sektor inklusive der Zulieferindustrie unter Druck standen.“Wir haben aber trotzdem in den letzten Jahren aufgrund guter Umsatzzahlen in Unternehmen einen starken Mitarbeiterzuwachs erlebt. Suchmandate, die auf Wachstum setzen, werden wir in den nächsten ein bis zwei Jahren wahrscheinlich kaum erleben.“ Eine weitere Klientengruppe von Heiden sind die Start-Ups, bei denen sich das Recruiting in Abhängigkeit vom Cash-Bestand entscheide. Wer gerade erfolgreich eine Finanzierungsrunde abgeschlossen habe, werde den Personalbestand weiter moderat aufbauen, die anderen würden Personal abbauen oder nur Non-Performer austauschen.

Festkrallen am Job?

Aber nicht nur die Auftraggeber aus der Wirtschaft reagieren auf die Situation, sondern auch die Top-Talente und Spezialisten. Die Kandidaten in den oberen Führungsebenen sind weiterhin gesprächsbereit und offen für Positionen, die ihnen neue Chancen eröffnen, beobachtet Barbara Thiell, Director Executive Search von Kienbaum Consultants International.

Wir gehen davon aus, dass sich aus der Krise heraus weitere Bedarfe im Top-Management ergeben werden, denn Manager müssten aktuell mehr denn je ihre Qualitäten unter Beweis stellen – oder auch nicht.

Bei den Spezialisten registriere man eine große Zurückhaltung in eine ungewisse Position zu gehen. Ihre Befürchtung: In einer Probezeit könnten sie die ersten sein, die wieder draußen sind, wenn Unternehmen zu einem Stellenabbau gezwungen sein sollten.

Ähnliches beobachtet Personalberater Dr.-Ing. Carlo Mackrodt, Managing Partner von Transearch International Deutschland. Fachpersonal und mittlere Führungskräfte würden eher an ihrer jetzigen Position festhalten. Dagegen beobachtet er bei C-Level-Kandidaten und Positionen auf dem zweiten und dritten Level, zum Beispiel bei Bereichsleitern oder Direktoren, „ein durchaus strategisches Vorgehen“. Diejenigen, die sich im Unternehmen wohlfühlen, sehen in der bestehenden konjunkturellen Unsicherheit eine Chance zu bleiben und gestärkt aus der Krise hervorzugehen. Die anderen seien dagegen offener für eine Veränderung, da sie „Aussichten in einem anderen Umfeld wittern“.

Die Stunde der IT-Lösungen

Personalberater zählen mit zu den Vorreitern bei der Umsetzung der digitalen Transformation. Wo es sinnvoll ist, werden digitale Wege beschritten von Matching-Tools über Video-Lösungen bis zur webbasierten Diagnostik. Das tägliche Doing läuft derzeit komplett über Videokonferenzen. „Das ist für uns und die Kandidaten kein Novum“, stellt Dirk Aaron Bohl klar. Sogar Pitches bei Kunden würden online realisiert, so der Managing Director von Deltacon Executive Search. Diese Entwicklung sei tatsächlich neu, aber „eine wertvolle Erfahrung“. Kritisch sieht Bohl dagegen das Wegfallen der persönlichen Interviews mit Kandidaten. Daher sei es gerade in Krisenzeiten wichtig, dass Arbeitgeber das Risiko einer Fehlbesetzung minimieren, in dem sie sich auf eine exzellente Methodenkompetenz und moderne Online-Diagnose-Tools ihrer Berater verlassen können.

Perspektive Post-Corona

Wie lange die Folgen der Pandemie spürbar sein werden, ist noch völlig offen. Ohne Frage, die wirtschaftlichen Auswirkungen werden erheblich sein. Wie sieht der Blick in die Post-Corona-Zeit aus? Dass sich gesellschaftliche Werte wandeln könnten, scheint einigen der Diskussionsteilnehmer sicher; andere vermuten, dass der Effekt nicht nachhaltig sein werde.

Und welches Bild wird der Arbeitsmarkt zeichnen? „Das Kräfteverhältnis zwischen Kandidaten und Arbeitgebern könnte sich verändern. Wir haben eine Situation, die seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr so bedrohlich war. Aus diesen Erfahrungen wird ein Umdenken resultieren“, prognostiziert  Michael Welz, Geschäftsführer von Passion for People. Möglicherweise werde das Sicherheitsbedürfnis von Arbeitnehmern wachsen, ebenso wie die Zurückhaltung beim Jobwechsel. Nicht ausgeschlossen auch, dass sich das manchmal sehr exponierte Anspruchsdenken unterschiedlicher Spezialistenfunktionen verändern werde.

Die Teilnehmer des Roundtable im Überblick

Teilnehmer des ersten virtuellen Round Tables

Dirk Aaron Bohl, Managing Director, DELTACON Executive Search & Recruiting, Barbara Thiell, Director Executive Search, Kienbaum Management Consults GmbH,

Thomas Holtmann, Geschäftsführer, TOPOS Personalberatung München GmbH, Dr. Michael Faller, Vorstand, Baumann Unternehmensberatung Beteiligungs- und Verwaltungs AG,

Dr.-Ing. Carlo Mackrodt, Managing Partner, TRANSEARCH International Deutschland GmbH, Michael Welz, Geschäftsführer, Passion for People GmbH,

Dr. Thomas K. Heiden, Inhaber, heiden associates Personalberatung. Moderation: Erwin Stickling, Herausgeber der Zeitschrift Personalwirtschaft


Einen ausführlichen Bericht finden Sie im Rahmen des Specials
„Personalberatung“ in der Ausgabe 6 (Juni) der Zeitschrift
Personalwirtschaft.

Christiane Siemann ist freie Wirtschaftsjournalistin und insbesondere spezialisiert auf die Themen Comp & Ben, bAV, Arbeitsrecht, Arbeitsmarktpolitik und Personalentwicklung/Karriere. Sie begleitet einige Round-Table-Gespräche der Personalwirtschaft.