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Video-Interviews – erlaubt oder unzulässig?

Video-Interviews sind bei zahlreichen Unternehmen bereits fest in Recruiting-Prozesse implementiert und ab Mai 2018 sind Datenschutzverstöße nach der EU-Daten- schutzgrundverordnung (DSGVO) mit Bußgeldern von bis zu 20 Millionen Euro bedroht. Vor diesem Hinter- grund ist verständlich, dass Personal- und Compliance- Abteilungen über die Einschätzungen der Datenschutz- behörden nicht erfreut sind.

Warum befinden Datenschutzbehörden über den Einsatz von Video-Interviews?

Der Grund ist in § 32 BDSG (ab Mai 2018 § 26 BDSG- Neu), der den Beschäftigtendatenschutz regelt, zu finden. Demnach dürfen Daten von Bewerbern (diese gelten nach § 3 Abs. 11 BDSG als Beschäftigte im Sinne des BDSG) nur erhoben werden, wenn diese Datenerhebung für die Entscheidung über eine Einstellung des Bewerbers „erforderlich sind“. Ist eine Datenerhebung nicht erforderlich im Sinne des Geset- zes, kann die für das jeweilige Unternehmen zuständige Datenschutzbehörde (abhängig davon, in welchem Bundesland das Unternehmen seinen Sitz hat) diese Form der Datenerhebung untersagen, die Untersagung mit Zwangsgeldern durchsetzen und/oder Bußgelder aufgrund des Datenschutzverstoßes verhängen. Insoweit können Datenschutzbehörden über den Einsatz von Video-Interviews in Unter- nehmen befinden.

Datenschutzbehörden halten Video-Interviews für „nicht erforderlich“

Nach Auffassung der Datenschutzbehörden NRW und Berlin sind Video-Interviews nicht erforderlich im Sinne von § 32 BDSG. Video-Interviews seien nicht „objektiv geboten“, um Stellen zu besetzen. Die zusätzliche Erhebung von Bild- und Tonaufnahmen stelle einen wesentlich intensiveren Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar als die übliche Beantwortung von Fragebögen oder Ähnlichem. Weiter wird angeführt, es gebe mildere Mittel zur Feststellung der Eignung eines Bewerbers wie die „Konkretisierung des Anforderungsprofils“, eine „bessere Auswertung von Bewerbungsunterlagen“ oder die „Ausweitung kognitiver Tests“. Dem Personalleiter, der sein Team seit Jahren darauf eicht, die Personalauswahl nach den Grundsätzen der Eignungsdiagnostik und nicht nach Bauchgefühl durchzuführen, tränen die Augen. Schließlich verbinden Video-Interviews die Möglichkeit eines Auswahlverfahrens unter guten eignungsdiagnostischen Gesichtspunkten mit einer aus Sicht der Kandidaten attraktive Bewerbungsmöglichkeit (Stichwort: Candidate Experience), die auf dem heutigen Bewerbermarkt unabdingbar ist.

Der Jurist reibt sich hingegen verwundert die Augen und fragt, was denn aus der normativen Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes geworden ist, welche nach dem Bundesarbeitsgericht (vgl. u.a. BAG, 20.6.2013, 2 AZR 546/12) durchgeführt werden muss.

Die Auffassung hält näherer Betrachtung nicht stand

Wird nämlich eine solche Verhältnismäßigkeitsprüfung im Hinblick auf Video-Interviews zu Zwecken der Per- sonalauswahl vorgenommen, ergibt sich ein anderes als das von den Datenschutzbehörden in den Tätigkeitsberichten gezeichnete Bild. Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz muss der Einsatz von Video-Interviews einen legitimen Zweck verfolgen und geeignet sein, diesen legitimen Zweck zu erreichen. Legitimer Zweck des Einsatzes von Video-Interviews ist die Durchführung der Personalauswahl. Video-Interviews sind daher auch geeignet, den legitimen Zweck zu erfüllen. Schließlich sind (Video-)Interviews ein probates Mittel der Personalauswahl. Insbesondere wenn sie strukturiert unter eignungsdiagnostischen Aspekten durchgeführt werden – wie nach der DIN 33430 – erreichen sie eine sehr hohe prognostische Validität in Bezug auf die Eignung eines Bewerbers.

Zu fragen ist weiter, ob es neben den Video-Interviews gleiche geeignete, aber mildere Mittel gibt, um den legitimen Zweck zu erreichen. Mildere Mittel sind solche, die weniger intensiv in die Persönlichkeitsrechte der Kandidaten eingreifen.

Beginnen wir mit der geforderten Konkretisierung des Stellenprofils. Dies stellt schon kein gleich geeignetes Mit- tel dar, da eine Konkretisierung des Stellenprofils zwar die Selbstauswahl des Bewerbers verbessern kann, nicht jedoch Teil des negativen Auswahlprozesses auf Seiten des Arbeitsgebers ist.

Die Auswertung von Bewerbungsunterlagen dient eben- falls dem Zweck der Identifikation von geeigneten Kandidaten. Nach der Metastudie von Schmidt/Oh/Shaffer aus dem Jahr 2016, welche Studien aus einem Zeitraum von 100 Jahren betrachtet und als Goldstandard unter Eignungsdiagnostikern gilt, ist diese Auswahlmethode allerdings diejenige mit dem schlechtesten prognostischen Valididätskoeffizienten. Das heißt, diese Methode ist eben- falls nicht gleich geeignet.

Zum Instrument des Telefon-Interviews bietet die vorgenannte Studie ebenfalls interessante Informationen. Aus dieser geht nämlich hervor, dass persönliche Vor-Ort- Interviews einen höheren prognostischen Validitätskoeffizienten aufweisen als Telefon-Interviews. Daraus ergibt sich, dass das Erfassen einer nonverbalen Kommuniktion neben dem gesprochenen Wort offensichtlich für die prog- nostische Validität von Relevanz ist und daher verfügen Telefon-Interviews gegenüber Video-Interviews ebenfalls nicht über die gleiche Eignung.

Persönliche Vor-Ort-Interviews lassen den Personaler im wahrsten Sinne des Wortes ein unmittelbares Bild des Bewerbers sehen. Sie erfassen dabei auch jede nonverbale Kommunikation. Arbeitgeber können neben den inhaltlichen Aussagen auch das persönliche Verhalten eines Bewerbers im Hinblick auf berufsbezogene Eigenschaften und damit auf die Passung zur vakanten Stelle sowie zu Team und Vorgesetzten prüfen. Inwieweit jedoch ein analoges persönliches Gespräch frontal zum Auswahlgremium ein milderes Mittel sein soll und weniger Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte des Bewerbers darstellt als ein per Video geführtes Interview, erschließt sich nicht. Die Intensität eines Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte des Bewerbers hängt hier nicht in erster Linie vom technischen Durchführungsweg, sondern von der Art und Weise der Durchführung des Interviews selbst ab. Folglich sind persönliche Interviews per se kein weniger eingriffsintensives Auswahlinstrument.

Kognitive Eignungstests gelten als diejenigen Instrumente, mit denen eine Passung eignungsdiagnostisch betrachtet sehr gut evaluiert werden kann. Es handelt sich jedoch um konstruktorientierte Verfahren. Interviews – gleich welcher Art – sind hingegen biografie-simulative Verfahren. Das heißt, dass diese beiden Methoden ebenfalls nicht gleich gut geeignet sind, sondern unter- schiedliche Aspekte einer möglichen Eignung testen. Nicht ohne Grund sind Auswahlverfahren schließlich auch multimodal, das heißt mehrstufig.

Was wollen Arbeitgeber?

Darüber hinaus haben Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse am Einsatz von Video-Interviews. Zum einen müssen Unternehmen, um Fehlbesetzungen zu vermeiden, Instrumente einsetzen, die über eine bereits hohe prognostische Validität hinsichtlich der Eignung des Bewerbers verfügen und auch unter ökonomischen Gesichtspunkten bei einer hohen Anzahl von Bewerbern durchführbar sind. Video-Interviews stellen hierfür eine Lösung zur Verfügung. Schließlich entfallen Reise- und Organisationsaufwände und zudem sind die technischen Lösungen selbst kostengünstig. Zum anderen sind Unternehmen aufgrund der teilweise äußerst engen Bewerbermärkte gezwungen, den Kandidaten niedrigschwellige Rekrutierungsangebote zu bieten. Video-Interviews sind Teil eines solchen Angebotes. Demnach existieren auch planungs- technische Zwänge, solche Bewerbungswege vorzuhalten. Wie dargelegt, greifen Video-Interviews per se nicht tiefer in die Persönlichkeitsrechte von Bewerbern ein als andere Auswahlmethoden, sodass hier auch keine über- wiegenden berechtigten Interessen der Bewerber entgegenstehen. Demnach sind Video-Interviews auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Technische Fragestellungen spielen zwar eine Rolle. Aller- dings können technische Lösungen für die Durchführung von Video- Interviews eingesetzt werden, die die datenschutzrechtlichen Anforderungen des BDSG beziehungs- weise der DSGVO erfüllen. Infolgedessen ist auch die Frage nach der Datenschutzkonformität des eingesetzten Tools von der Frage der grundsätzlichen datenschutzrechtlichen Zulässigkeit des Einsatzes von Video-Interviews zu trennen.

Was bedeutet das für Unternehmen?

Praktisch gesehen bedeutet dies zunächst einmal, dass Sie das von Ihnen verwendete Tool im Hinblick auf die daten- schutzrechtlichen Anforderungen prüfen müssen. Rechtlich besehen bedeuten die Auffassungen der Datenschutzbehörden NRW und Berlin zunächst einmal nur, dass diese zwei von 16 Landesdatenschutzbehörden der Auffassung sind, dass Video-Interviews einen Datenschutzverstoß darstellen. Dieser Auffassung ist mit guten Argumenten entgegenzutreten. Sollten Sie den Sitz Ihres Unternehmens in einem der genannten Bundesländer haben, sollten Sie deswegen meines Erachtens eine Auseinandersetzung mit den Datenschutzbehörden in dieser Sache nicht scheuen. Dazu ist auch die Frage, welche Verfahren zur Personalauswahl eingesetzt werden können, zu wichtig.