Personalbeschaffung ist ein zähes Geschäft. HR-Abteilungen haben seit Jahren damit zu kämpfen, denn die richtigen Kandidaten zu finden, wird in Zeiten des demografischen Wandels immer schwieriger. Besonders schwierig wird es, wenn man zusätzlich zum Stammpersonal auch Zeitarbeiter beschäftigt, um etwa Produktionsspitzen auszugleichen.
Schon seit Jahren lagern Firmen deswegen diese Beschaffung und Koordination der Zeitarbeiter gerne aus. Sogenannte Master Vendors versprechen, die Beschaffung von Fremdpersonal als zentrale Ansprechpartner zu steuern – gegen Gebühr, versteht sich. In der Regel sind das größere Personalfirmen, die reichlich eigenes Personal stellen können, im Zweifel aber auch auf andere Firmen zurückgreifen. Sie agieren also letztendlich wie eine Art Generalunternehmer: Sie garantieren ein gewisses Volumen, setzen dabei aber nicht zwangsläufig nur die eigenen Leute ein.
Was erstmal verlockend klingt, hat aber auch Nachteile. „Der Master Vendor hat natürlich ein Interesse daran, seine eigenen Leute beim Kunden zu platzieren, auch wenn ein anderer Anbieter besser geeignete Arbeitskräfte hat“, sagt Armin von Rohrscheidt, der sich bei der Unternehmensberatung und Wirtschaftsprüfung PwC Deutschland mit HR-Transformationsprojekten beschäftigt.
So ergibt es sich, dass seit einigen Jahren ein Konkurrenzmodell zum Master Vendor auftaucht: der Neutral Vendor. Der macht im Wesentlichen das Gleiche, mit einem Unterschied: Er hat gar kein eigenes Personal, agiert also ausschließlich als Makler, der Zeitarbeitskräfte von anderen Anbietern einkauft und an seinen Auftraggeber vermittelt. Dieser Ansatz erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Aktuelle Zahlen gibt es dazu nicht. Bereits 2019 lag laut einer Studie von Staffing Industry Analysts die Zahl der Firmen, die einen Neutral Vendor nutzen, etwa gleichauf mit der solcher Firmen, die auf einen Master Vendor setzen. Aber sind Neutral Vendors tatsächlich ein gangbarer Weg für jede Firma? Und können sie die Master Vendors langfristig ersetzen?
Zwei Systeme nebeneinander
Für Andrea Lenfort ist das keine Entweder-oder-Frage. Sie leitet das Key Account Management beim Personaldienstleister Piening. „Wir bieten beides an, je nach Kundenwunsch“, sagt sie. Es gebe einige Fragen, die sie im Vorhinein stelle, um zu klären, welches Modell passt. „Master-Vendor-Projekte zeichnen sich durch enge persönliche Betreuung und Kooperation aus, Neutral-Vendor-Projekte hingegen überzeugen durch eine sehr hohe Digitalisierung und die unabhängige Auswahl von Dienstleistern“, erläutert sie.
„Neutral-Vendor-Projekte überzeugen durch eine sehr hohe Digitalisierung und die unabhängige Auswahl von Dienstleistern.“ – Andrea Lenfort
Damit Piening Personal trotz einer eigenen Zeitarbeiterbelegschaft glaubhaft als Neutral Vendor auftreten kann, nutzt das Unternehmen eine neutrale Tochterfirma, die klar abgegrenzt vom eigenen Placement-Geschäft agiert. Eine Kooperation zwischen den beiden Firmen gibt es nicht. „Jeder Auftrag wird je nach Kundenanforderung entweder an die Experten für Master oder Neutral Vendor weitergegeben“, erklärt Lenfort. Das Bielefelder Unternehmen ist mit diesem Ansatz nicht allein, im Neutral-Vendor-Markt tummeln sich überwiegend Firmen, die auf die eine oder andere Art mit bestehenden Dienstleistern verknüpft sind, wirklich „reine“ Neutral Vendors gibt es wenige.
Das ist auch das Resultat eines Dilemmas, in dem von Rohrscheidt die Neutral Vendors sieht. „Auf der einen Seite ist es sehr wichtig, dass die Neutralität sichergestellt ist, das sollten sich Kunden auch vertraglich zusichern lassen“, sagt der PwC-Experte. Es sollte auch klargestellt werden, dass die Neutral Vendors sich von den Personaldienstleistern keine Provision bezahlen lassen: „Das untergräbt die Neutralität nur.“ Von Rohrscheidt empfiehlt, sich sehr genau anzuschauen, wer hinter einer Firma steht und ob mögliche Interessenkonflikte drohen. Auf der anderen Seite sieht er aber auch, dass kaum jemand im Neutral-Vendor-Segment komplett losgelöst ist. „Letztendlich suchen die Kunden ja auch jemanden, der sich auskennt und über ein entsprechendes Netzwerk verfügt“, sagt er.
Info
Pro Neutral Vendor
1. Unabhängige Auswahl von Dienstleistern
– Da sie keine eigenen Zeitarbeitskräfte stellen sind sie objektiver bei der Auswahl der Anbieter.
– Interessenkonflikten bei der Vermittlung werden vermieden.
2. Höhere Digitalisierung
– Die Prozesse sind stärker automatisiert und effizienter gestaltet.
– Sie sind besonders geeignet für große, dezentral organisierte Unternehmen.
3. Flexibilität bei heterogenem Personalbedarf
– Unternehmen mit vielen verschiedenen Qualifikationsanforderungen können profitieren.
4. Geeignet für spezialisierte Anforderungen
– Für spezialisierte Suchen (z. B. Forschung, Vertrieb) sind sie besser geeignet als für Massenplatzierungen.
Kontakte schlafen ein
So charmant die Lösung mit dem Neutral Vendor für die Kunden klingt, so sehr besorgt sie die Personaldienstleister, die über den Vendor Personal bereitstellen. Denn oft bedeutet das, dass sie den Kontakt zum Kunden verlieren oder gar nicht erst aufbauen können. „Zeitarbeit basiert stark auf gewachsenen Netzwerken – daher möchten viele Unternehmen selbst entscheiden, mit wem sie zusammenarbeiten“, sagt auch von Rohrscheidt.
Auch Neutral-Vendor-Anbieterin Lenfort sieht das Potenzial für Herausforderungen. „Oft kommt es vor, dass die Kunden dann nur noch mit dem Neutral Vendor sprechen“, sagt sie. Nur: Gerade bei großen, landes- oder gar europaweit agierenden Kunden kann der oft nicht die nötige Kommunikationsbrücke zwischen Abnehmer und Zeitarbeitsfirma sein. Was ist, wenn der Dienstleister eine Frage zum genauen Profil und Arbeitsplatz hat, auf den er seinen Arbeiter oder seine Arbeiterin entsendet? „Das kann der Neutral Vendor aufgrund der Größe der Projekte nicht immer im Detail wissen“, sagt Lenfort. Heißt: Für gelungene Projekte muss der Vendor auch mal über seinen Schatten springen und gegebenenfalls direkte Kommunikation zwischen Kunde und Dienstleister zulassen.
Und auch die Kunden selbst machen den Neutral Vendors das Leben nicht immer einfach, wie Lenfort berichten kann. „Die Idee, einen Neutral Vendor einzusetzen, entsteht oft im Einkauf und in der Personalabteilung“, sagt sie. In der breiten Belegschaft werden jedoch andere Herausforderungen gesehen. Denn Neutral Vendors arbeiten in der Regel sehr digital. „Nicht jeder Mitarbeiter freut sich, wenn es ein weiteres Portal gibt, in dem er arbeiten muss“, sagt sie.
Info
Kontra Neutral Vendor
1. Verlust von direktem Kontakt zwischen Kunde und Personaldienstleister
– Dienstleister verlieren direkten Draht zum Kunden, was zu Missverständnissen oder Reibungsverlusten führen kann.
2. Informationslücken bei Projektgröße
– Neutral Vendors kennen oft nicht alle Details der Stellenanforderung oder Arbeitsumgebung.
– Direkte Kommunikation zwischen Anbieter und Kunde wird nötig, ist aber nicht immer vorgesehen.
3. Komplexität durch zusätzliche Plattformen/Tools
– Digitale Lösungen erfordern zusätzliche Einarbeitung für Mitarbeitende – kann Akzeptanzprobleme erzeugen.
4. Neutralität ist nicht immer garantiert
– Viele Anbieter sind Tochterfirmen großer Personaldienstleister – mögliche Interessenkonflikte.
– Kunden müssen auf vertragliche Absicherung der Neutralität achten.
Funktioniert das Modell langfristig?
Auch der Neutral Vendor löst also nicht alle Probleme in der Personalbeschaffung. Von Rohrscheidt geht aber davon aus, dass es bestimmte Unternehmen gibt, die von dem Modell mehr profitieren als von einem Master Vendor. „Gerade Firmen mit sehr heterogenem Geschäftsmodell und Bedarf an vielen verschiedenen Qualifikationen profitieren von der Flexibilität der Neutral Vendors“, sagt er. Allerdings ist sich der Berater nicht sicher, wie lange das Modell Erfolg haben wird. „Es herrschen gerade einfach Bedingungen vor, welche die Verbreitung von Neutral Vendors befeuert haben“, so seine Einschätzung. Auf der einen Seite sind auch die Personalabteilungen selbst sehr dünn besetzt und haben Bedarf an externer Hilfe. Auf der anderen Seite brauchen die Kunden gerade seltener Massen-Placements, da die Konjunktur vielerorts aufs Geschäft drückt. Wenige Firmen haben aktuell Auftragsspitzen, die durch eine große Zahl von Leiharbeitern etwa in der Fertigung aufgefangen werden müssen. „Stattdessen suchen sie Wachstum in der Forschung oder über effizientere Sales, für beides finden sie die Leute besser über Neutral Vendors“, meint von Rohrscheidt. Sollte die Wirtschaft wieder anziehen, könne es sein, dass dieser Trend auch wieder nachgibt.
Lenfort geht davon aus, dass einige dieser Bedingungen unabhängig von der gesamtwirtschaftlichen Lage weiter bestehen werden. „Die Unternehmen werden auch weiterhin weniger eigene Ressourcen haben. Diese Lücke müssen sie über externe Unterstützung auffangen“, sagt sie. Der Neutral Vendor ist also vielleicht nicht der Weisheit letzter Schluss. Aber Personaldienstleister müssen sich trotzdem darauf einstellen, dass das Modell weiter zum Einsatz kommt.
