Vergütungssysteme von Führungskräften und Vertriebsmitarbeitern sind ohne variable Anteile nicht mehr vorstellbar. Variable Vergütung ermöglicht dem Unternehmen Kostenvariabilität in Abhängigkeit von den Ergebnissen und die Abbildung von Einkommensunterschieden entsprechend der individuellen Performance. Strategieänderungen, die Herausforderungen des Marktes, Umstrukturierungen und Investorenwechsel im Unternehmen machen es notwendig, die variable Vergütung im Management und im Vertrieb zu überdenken und anzupassen.
Praxisbeispiel 1: Erfolgsmessung auf mehreren Ebenen
Ein Beratungsunternehmen steht vor der Herausforderung, das Stammgeschäft abzusichern und den Vertrieb mit Produktinnovationen auszuweiten, um neues Wachstum zu generieren. Dafür soll ein neues Vergütungsmodell für den Vertrieb im Außendienst entwickelt werden. In einem ersten Schritt baut das Unternehmen die bisher geringe variable Vergütungskomponente aus, um die Anreize für den Vertrieb zu steigern. Gleichzeitig erhöht es den Einfluss der individuellen Leistung auf den Bonus, indem es den Anteil der individuellen Komponente am Bonus nahezu verdoppelt. Die Erfolgsmessung auf mehreren Ebenen – Unternehmenserfolg, Teamerfolg, individueller Erfolg – wird beibehalten.
Die unternehmensseitige Begründung dafür: Die Mitarbeiter agieren im Verbund, der Kooperation erfordert. Sie sollen das gesamte Unternehmen im Blick haben, nicht nur ihre individuelle Perspektive. Die variable Vergütung allein am Erfolg des einzelnen Vertriebsmitarbeiters festzumachen wäre kontraproduktiv. Besser ist es, den Beitrag der Mitarbeiter zum Gesamterfolg zu würdigen und entsprechend zu bewerten. Das Bestreben nach echter Kostenvariabilität wird durch eine Komponente integriert, die den Unternehmenserfolg abbildet. Die neue variable Vergütung des Beratungshauses berücksichtigt drei Zielkategorien bzw. Bewertungsebenen: individuelle, auf den unmittelbaren Verantwortungsbereich ausgerichtete Ziele, Teamziele als Abteilungs- bzw. Bereichsziele sowie Unternehmensziele. Als individuelle Ziele werden Umsatzziele je Gebiet definiert. Diese werden unter Berücksichtigung der Umsatzpotenziale in den Gebieten festgelegt. Die Beteiligung am Gesamterfolg wird durch eine multiplikative Verknüpfung individueller variabler Vergütung mit dem Unternehmenserfolg verstärkt.
Praxisbeispiel 2: Umdenken erforderlich
Ein führendes europäisches Unternehmen der Metallindustrie hat in der Vergütungsgestaltung unterschiedliche Baustellen und überdenkt die variable Vergütung. Die Unternehmenshistorie und die Prägung durch wechselnde Investoren sind die Ursachen dafür, dass das Unternehmen kein logisch aufgebautes Vergütungssystem besitzt. Stattdessen dominieren Vergütungsregelungen, die durch Einzelfälle geprägt sind. Zudem ist der Vertrieb in Produktunits aufgestellt, während Nachbarunits mit anderen Produkten für die einzelnen Vertriebsmitarbeiter von nachgeordnetem Interesse sind. Gemäß der neuen Aufstellung ist der Vertrieb regional für das komplette Produktspektrum verantwortlich, doch die bestehende variable Vergütung unterstützt die neue Struktur und die damit verbundenen Unternehmensziele nicht. Folglich soll für alle AT-Angestellten eine neue, die Strategie unterstützende und einheitliche Logik geschaffen werden, auch mit individuellen Anreizen. Vorrangige Zielgruppe der Neugestaltung ist der Vertrieb.
Bei der Ausgestaltung der neuen Regelung wird die Historie des Unternehmens berücksichtigt. In der Vergangenheit hingen etwa 80 Prozent der variablen Vergütung vom Unternehmenserfolg ab, die Impulse für den individuellen variablen Anteil waren gering. Für den neuen Weg mit einem stärkeren individuellen Einfluss auf den Bonus werden die Entscheider von Anfang an ins Boot geholt. Mit Management und Personal werden vorab Gespräche geführt. Auch der Betriebsrat wird früh einbezogen. Ein Dialog mit ausgewählten Vertrieblern macht Veränderungspotenzial transparent und hilft, Dos und Don’ts für zukünftige Regelungen zu entwickeln. Bei der Entwicklung der Lösungsskizze ist der Blick über den Tellerrand förderlich. Die Einbeziehung wesentlicher HR-Stakeholder sowie die Diskussion mit ausgewählten Meinungsbildnern berücksichtigt Fairnessanforderungen. Nach Konzeption, Diskussion und Abstimmung wird die neue Vergütungsregelung intensiv erprobt. Rückwirkend werden ihre Auswirkungen für die zurückliegenden zwei bis drei Jahre kostenseitig für Organisation und Mitarbeiter simuliert, bevor das neue System realisiert wird.
Die neue variable Vergütungsregelung für den Vertrieb unterstützt die Umsetzung der unternehmerischen und vertrieblichen Ziele und bietet attraktive Einkommensperspektiven für erfolgreiche Vertriebler. Das System ermöglicht eine spürbare Einkommensdifferenzierung bei unterschiedlichen Vertriebserfolgen und ist in seiner Wirkung transparent und nachvollziehbar. Zudem bietet es Anreize, ambitionierte Ziele zu erreichen und zu übertreffen.
Fazit und Ausblick
Moderne variable Vergütung ist mehrdimensional und berücksichtigt zwei oder drei Zielkategorien bzw. Bewertungsebenen. Die aktuelle Diskussion dreht sich um die Frage, ob der Unternehmenserfolg oder individuelle Anreize maßgeblich sind. Der Verzicht auf individuelle Komponenten wird immer wieder thematisiert. Für Mitarbeitergruppen wie den Vertrieb steht eine Abschaffung der individuellen Komponente jedoch nicht zur Diskussion. Wenn die variable Vergütung in der Unternehmenshistorie maßgeblich vom Unternehmenserfolg abhängig war, ist die Einführung einer individuellen Komponente eine deutliche Veränderung, die intensiv zu planen und auszugestalten ist. Vergütung schafft Messbarkeit und Vergleichsmöglichkeiten, doch die Entscheidungsverantwortung bleibt bei den Führungskräften. Dadurch entstehen immer wieder Anlässe für eine konstruktive Auseinandersetzung zwischen Mitarbeiter und Führungskraft. Erfolgsabhängige Vergütung entfaltet ihre Wirkung nur dann voll, wenn sie zielgerichtet kommuniziert und von den Betroffenen verstanden und akzeptiert wird.
Birgit Horak,
Vorstand
Lurse AG
Michael Lender,
Projektmanager
Lurse AG