Generative KI besitzt die bemerkenswerte Fähigkeit, abstrakte Konzepte zu verarbeiten und Muster in riesigen Datenmengen zu erkennen. Dabei kann sie nicht nur Inhalte generieren, sondern auch Informationen zielgruppengerecht darstellen. Durch die Integration in vorhandene Standardsoftwareprodukte und leicht zugängliche, kostengünstige Webseitenservices vollzieht sich die Einführung in HR in einer hohen Geschwindigkeit.
Noch ist der Einsatz von generativer KI im Compensation-&-Benefits-Bereich wenig verbreitet. In anderen strategisch wichtigen Reward-Aufgaben bietet sie jedoch jetzt schon großes Potenzial: bei skillbasierten Jobarchitekturen. Durch den Einsatz von generativer KI können Unternehmen ihre Jobrollen besser verstehen und effektivere, dynamische Strukturen entwickeln, die den sich schnell wandelnden Anforderungen an Fähigkeiten gerecht werden. Wir zeigen im Folgenden die Potenziale von generativer KI im Aufbau von Skills-powered Jobarchitekturen auf, diskutieren Grenzen der Technologie sowie Erfolgsfaktoren für die erfolgreiche Co-Kreation zwischen Mensch und generativer KI.
Jobarchitekturen im Wandel
Traditionell waren Jobrollen mehrheitlich zeitstabil und konnten durch regelmäßige – in ihrer Häufigkeit aber überschaubare – Review-Zyklen auf dem aktuellen Stand gehalten werden. Doch mit der Entwicklung des projektbasierten Arbeitens, agiler Methoden, digitaler Medien und dem schnellen Wandel der erforderlichen Fähigkeiten der Arbeitnehmer erleben Unternehmen heute eine deutliche Veränderung ihrer Jobarchitekturen. Diese müssen in HR-Lösungen implementierbar sein und konzentrieren sich nicht mehr ausschließlich auf individuelle Jobrollen. Jobarchitekturen sollen eine Grundlage für alle HR-Prozesse und -Dienstleistungen bilden und ebenso die Rahmenbedingungen schaffen, die dem Business eine erfolgreiche Bewältigung von Projekten und Aufgaben ermöglichen. Der Fokus hat sich verschoben: von traditionellen Stellenbeschreibungen hin zur Klarheit über Rollenanforderungen und der Identifizierung von Beschäftigten mit den passenden Fähigkeiten und Kompetenzen für die jeweiligen Arbeiten. Da Arbeitgeber 2023 und 2024 den Mangel an Skills und Talenten als eine der größten HR-Herausforderungen betrachten, bieten Jobarchitekturen, die Skills berücksichtigen, großes Potenzial: Sie ermöglichen, Beschäftigte mit den richtigen Kompetenzen zur Bewältigung der diversen Rollenund Projektanforderungen passgenau zu entwickeln und ihre Positionen strategisch nachzubesetzen sowie gezielt geeignete neue Mitarbeitende zu rekrutieren.
Ein zentrales Erfolgskriterium einer Jobarchitektur ist die kontinuierliche Aktualisierung der erforderlichen Fähigkeiten und Kompetenzen. Hierzu müssen einerseits die relevanten Informationen über die benötigten Skills im Unternehmen und andererseits die vorhandenen Fähigkeiten der Beschäftigten dokumentiert werden, um eine passgenaue Zuordnung zu ermöglichen. Der Zeitaufwand für diese Aufgaben ist mitunter enorm, da die Informationen aus verschiedenen Quellen gesammelt, aufbereitet und analysiert werden müssen. Generative KI kann bei richtiger Anwendung und menschlicher Supervision zu signifikanten Effizienzgewinnen führen, die die Gestaltung und Verwaltung von Skills-powered Jobarchitekturen erleichtern. Wichtig bleibt vor allem die Einbeziehung des Business in den Prozess, um die Informationen unternehmensspezifisch und in HR-Prozessen anwendbar zu machen.
Einsatz generativer KI bei skillbasierten Jobarchitekturen
Generative KI zeigt ihre Stärken insbesondere dort, wo Inhalte erstellt werden sollen, die genau definierten Standards in Bezug auf Tonalität und Struktur folgen. Durch die Zusammenführung verschiedener Datenquellen kann generative KI in kürzester Zeit einen konsistenten Output liefern. Dies trifft auf die Erstellung von Jobprofilen zu, denn die KI ermöglicht zum Beispiel die Kombination von Stelleninhalten mit den benötigten Skills und deren konsistente Differenzierung über verschiedene Hierarchie- und Ausprägungsstufen hinweg. Umgekehrt können aus bestehenden Jobprofilen auch Strukturen identifiziert werden, die als Grundlage für eine Jobarchitektur dienen. Die deutliche Zeitersparnis ermöglicht einerseits häufige Updatezyklen, um den Anforderungen agiler Architekturen gerecht zu werden. Andererseits können die frei werdenden HR-Ressourcen in strategische Aktivitäten eingebracht werden.
Perspektivisch können die beschriebenen Profile und Architekturen auch mit Vergütungs- und anderen Marktdaten verknüpft werden, die durch generative KI leicht verständlich und transparent an Verantwortliche zurückgespiegelt werden können. An dieser Stelle wichtig zu erwähnen: Generative KI, die auf Large Language Modellen basiert, ist nicht für mathematische Analysen ausgelegt, sondern gibt diese nur verbal wieder. Viele neuere Anbieter versprechen, das Handlungsfeld Skills mithilfe von KI zu lösen, indem entweder vorhandene Skill-Daten der Beschäftigten ausgelesen werden oder Skills für Jobprofile anhand von Systemen generiert werden, die eine Vielzahl an Unternehmensdaten vereinen. Dabei treten jedoch häufig folgende Probleme auf: Oft sind die Beschäftigtendaten veraltet, etwa weil die Wartung der Datenbanken durch den hohen Zeitaufwand nicht regelmäßig erfolgt, oder die Daten selbst sind veraltet, oder Beschäftigte haben kein Interesse mehr an früher erworbenen Skills. Wer zuletzt vor fünf Jahren Software programmiert hat, wird heute kaum Anschluss finden und möchte das vermutlich auch nicht mehr.
Eine andere häufig auftauchende Problematik: Die Skill-Daten aus zentral verfügbaren Datenbanken stimmen häufig nicht mit den Anforderungen der Unternehmen überein – sie sind entweder zu generisch, deutlich zu kleinteilig oder generell nicht passgenau für die Art und Weise, wie gearbeitet wird. Je näher Jobs an der zentralen Wertschöpfung des Unternehmens sind, desto unternehmensspezifischer sind sie gestaltet. Dies muss sich auch in Job- und Skills-Beschreibungen wiederfinden.
Voraussetzungen für den Einsatz von KI
Der erfolgreiche Einsatz generativer KI für die Gestaltung von skillbasierten Jobarchitekturen hängt von verschiedenen Erfolgsfaktoren ab. Es gilt nicht nur, technische Hürden zu überwinden, sondern auch ein organisationsweites Bewusstsein für den Wert einer skillbasierten Jobarchitektur zu schaffen.
- Eine inhaltliche Verankerung des Themas im Business ist von zentraler Bedeutung, da nur so sichergestellt werden kann, dass die Jobarchitekturen auch die Skills beinhalten, die für die eigene Organisation wichtig sind. Hierzu braucht es die entsprechenden Ressourcen und die Unterstützung des Business sowie eine inhaltlich kritische Auseinandersetzung mit relevanten Skills, um einen tatsächlichen Mehrwert zu generieren. Diese Unterstützung gelingt, wenn bereits von Beginn an die skillbasierte Jobarchitektur auf konkrete Anwendungsfälle in Bezug auf Gewinnung, Entwicklung und Bindung von Mitarbeitenden sowie Performancemanagement, Nachfolgeplanung und strategische Personalplanung hin gestaltet wird.
- Bei der Erarbeitung von Job- und Skill-Beschreibungen wird inzwischen häufig auf frei verfügbare KI-Lösungen wie ChatGPT zurückgegriffen. Kaum ein Unternehmen wird jedoch „auf der grünen Wiese“ starten können: Es braucht idealerweise ein KI-System, das bestehende Job- und Skill-Beschreibungen aus Stellenanzeigen und anderen internen Quellen kombiniert und mit Marktdaten abgleichen kann. Zudem braucht es eine gute Kalibrierung von Trainingsdaten, um Bias zu vermeiden. Ein Negativbeispiel für schlechte Kalibrierung zeigt der bekannte Fall von Amazon, bei dem Bewerbende aufgrund verzerrter Trainingsdaten einer ungleichen Geschlechterbehandlung ausgesetzt waren.
- Daher ist es wichtig, klare Verantwortlichkeiten und Prozesse zu definieren, um sicherzustellen, dass die generative KI ordnungsgemäß eingesetzt wird und die Ergebnisse überwacht werden. Dies umfasst auch die Einbindung von Expertinnen und Experten mit dem nötigen Fachwissen, um die Ergebnisse zu interpretieren und zu validieren. Die menschliche Expertise ist unerlässlich, um sicherzustellen, dass die generative KI biasfreie Ergebnisse liefert und die entwickelten Jobarchitekturen den Anforderungen und Zielen des Unternehmens entsprechen.
KI verändert Total-Rewards-Rolle
Der Einsatz von generativer KI hat deutliche Auswirkungen auf das Rollenverständnis der Comp-&-Ben-Funktion. Ihr Fokus verschiebt sich von administrativen Aufgaben hin zur strategischen Gestaltung der businessrelevanten Strukturen, zur Ausrichtung auf die relevanten HR-Prozesse und zur Steuerung des eingebundenen Business in den Prozess der Erarbeitung und Aktualisierung. Für die Umsetzung einer skillbasierten Jobarchitektur heißt das: Das Vergütungsmanagement muss die Bedeutung von Skills und anderen Einflussfaktoren erkennen, diese proaktiv mit dem Business managen, die Ergebnisse der KI-Arbeit sinnvoll interpretieren und in praxisrelevante Job- und Skill-Beschreibungen umsetzen. Zusätzlich bietet sich mit einer skillbasierten Jobarchitektur in Verbindung mit internen oder externen Vergütungsdaten ein großes Potenzial für Predictive Analytics, Gehaltsentwicklung und kompetenzbasierten Gehaltsbausteinen.
Zusammenfassend halten wir fest: Generative KI bietet ein großes Potenzial für den Aufbau von skillbasierten Jobarchitekturen. Durch die Berücksichtigung von Erfolgsfaktoren wie der inhaltlichen Verankerung im Business, der Datenqualität und -quantität, der Governance-Strukturen und der kritischen Prüfung des Outputs können Unternehmen effektivere und dynamischere Jobarchitekturen entwickeln. Business und HR wachsen dabei stärker zusammen, und die Organisation kann, basierend auf Skills, ganzheitlich auf die Ziele der Transformation ausgerichtet werden. Die Rolle von Compensation & Benefits wird strategischer und erfordert ein fundiertes Interpretations-Know-how, um die Ergebnisse der generativen KI erfolgreich umzusetzen.
Autor
Dr. Tobias Oberpaul
Senior Consultant Rewards, Mercer Deutschland
tobias.oberpaul@mercer.com
www.mercer.com
Sebastian Unterreitmeier
Subject Lead Europe for Workforce Transformation, Mercer Deutschland
sebastian.unterreitmeier@mercer.com
www.mercer.com
