Langzeitentsendungen bleiben wichtig, doch Unternehmen setzen verstärkt auf Alternativen. Wir sprachen über Vor- und Nachteile dieser Modelle.
COMP & BEN: Unternehmen agieren aufgrund der angespannten weltpolitischen Lage derzeit eher vorsichtig. Nimmt die Zahl der Entsendungen ab?
Markus Kurth: Wir sehen in unseren weltweiten Studien sowie bei aktuellen Beratungsprojekten keine signifikanten Veränderungen bei internationalen Personalbewegungen. Natürlich machen sich kurzfristige und auch lokale und regionale wirtschaftliche Umschwünge immer bemerkbar, sodass in Zeiten von Sparprogrammen oft die Entsendungen ab- und in wirtschaftlich starken Phasen wieder zunehmen. Aber im Großen und Ganzen registrieren wir ein stabiles, sogar leicht steigendes Niveau.
Also bleibt im Global-Mobility-Management alles wie bisher?
Markus Kurth: Nein. Bis vor einigen Jahren war die klassische Langzeitentsendung, das sogenannte LongTermAssignment, das alleinige Mittel der Wahl für das Gros der Unternehmen. Heute nutzen Unternehmen ergänzend alternative Modelle, zum Beispiel International Permanent Transfers, International New Hires oder Commuter Assignments.
Was verbirgt sich hinter diesen Anglizismen?
Christof Ternes: International Permanent Transfers beziehen sich auf eine zeitlich unbefristete Versetzung von Mitarbeitenden in ein anderes Land, um dort eine neue Position zu übernehmen. Bei International New Hires besetzen Unternehmen offene Stellen, indem sie Talente aus dem Ausland rekrutieren. So können Unternehmen auf einen breiteren Talentpool zugreifen. Commuter Assignments wiederum sind eine flexible Lösung, bei der Mitarbeitende regelmäßig zwischen ihrer Heimat und dem Einsatzland pendeln, um dort strategische oder auch geschäftskritische Aufgaben wahrzunehmen, ohne ihren Wohnsitz dauerhaft zu verlegen.
Bedeuten diese Modelle aus Ihrer Sicht das Ende der klassischen Langzeitentsendung?
Markus Kurth: Nein. Eher konstatieren wir einen bewussteren Umgang der Unternehmen bei der Auswahl der Instrumente. Sie setzen sich mit den Zielen und Herausforderungen auseinander und fragen sich, was sie mit einer Entsendung im Einzelnen und auch generell erreichen wollen. Langzeitentsendungen werden zwar weiterhin das Mobility Rückgrat für viele Organisationen bilden, denn die klassischen Herausforderungen stellen sich immer wieder neu. Dennoch gibt es die genannten Alternativen, die Unternehmen – bei aller zeitlicher Not – ernsthaft prüfen sollten.
Können diese Alternativen eine Langzeitentsendung ersetzen?
Markus Kurth: Auch das nicht, denn wir verstehen die Diversifizierung eher als gut gefüllten Instrumentenkasten mit Optionen, die jeweils auf ihre Passung hin überprüft werden. Es kommt immer auf den Gesamtkontext an. Beispielsweise sollten Unternehmen für einen International Permanent Transfer auch einen dauerhaften SkillBedarf vor Ort erwarten. Aber auch die Seite der Mitarbeitenden ist zu beachten. Unternehmen können Mitarbeitende schließlich nicht gegen ihren Willen dauerhaft versetzen. Bereitschaft und Interesse an einem solchen Wechsel sollten vorhanden sein. Letztlich muss auch das Vergütungsangebot passen.
Welche Vorteile haben Langzeitentsendungen?
Christof Ternes: Langzeitentsendungen haben verschiedene Vorteile: Erstens handelt es sich um eine befristete Maßnahme, die Planungssicherheit und Flexibilität für alle Seiten bietet. Zweitens ist die Anbindung an die Heimatgesellschaft während der Entsendung gewährleistet. So wird ermöglicht, die Entlohnung gemäß der gewohnten Vergütungsstruktur fortzuführen. Das erleichtert die Reintegration in die Heimatgesellschaft nach Abschluss der Entsendung. Folgeentsendungen nach der gleichen Methodik sind ebenfalls unkomplizierter.
Gibt es weitere Vorteile?
Markus Kurth: Ja, dieses Modell bietet Mitarbeitenden Sicherheit in Bezug auf die Altersversorgung und ihren Arbeitsplatz. Viele Unternehmen unterschätzen das persönliche Lebensrisiko einer permanenten Versetzung: Was geschieht beispielsweise mit einem Mitarbeitenden, dem in einem fremden Land unternehmensbedingt gekündigt werden muss, und der, da die Arbeitsgenehmigung an das Unternehmen gebunden ist, nicht frei auf dem Arbeitsmarkt agieren kann? Zudem sehen wir Unternehmen, die eine Langzeitentsendung als Voraussetzung für ein zügiges Fortschreiten auf der Karriereleiter definieren.
Aber sind die alternativen Optionen am Ende nicht günstiger als Langzeitentsendungen?
Christof Ternes: Das wird gern behauptet, insbesondere auf Basis des Homebased Balance Sheet Approaches. Aber ich halte diese Aussage nicht in jedem Fall für zutreffend.
Was verbirgt sich hinter dem Home-based Balance-Sheet-Ansatz?
Christof Ternes: Mit diesem Ansatz wird sichergestellt, dass ein Expatriate während der Entsendung finanziell nicht schlechter, aber auch nicht bessergestellt wird, als wenn er im Heimatland geblieben wäre. Der Fokus liegt auf der Beibehaltung der Kaufkraft und des Lebensstandards aus dem Heimatland. Zusätzliche Kosten wie Wohnen, höhere Steuern und Schulgebühren werden durch Zulagen und Benefits ausgeglichen.
Und warum zweifeln Sie an der Aussage zu den Kosten des Home-based Ansatzes?
Christof Ternes: Erstens stellt sich die Frage nach dem Bezug, also: Was soll mit der Entsendung erreicht werden, und was ist der Return on Investment? Erst danach lässt sich entscheiden, ob sich die Entsendung lohnt. Und gerade hier fällt es Unternehmen oft schwer, den harten datengestützten Nachweis zu erbringen. Zweitens sind Alternativmodelle nicht automatisch günstiger. Vielmehr können die Gesamtkosten durchaus über der einer Langzeitentsendung liegen, wenn sich etwa die fixen Kosten einer Relocation für einen permanenten Transfer auf einem ähnlichen Niveau bewegen wie die eines LongTermAssignments, die laufenden Arbeitskosten im Zielland aber höher sind. Das kann aufgrund des Lohnniveaus und der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung schnell passieren.
Info
Glossar: Entsendungsarten
Short-Term-Assignment: Kurzfristiger Auslandseinsatz, beispielsweise für ein Projekt, zwischen drei und zwölf Monaten; der Expatriate behält seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland; der Arbeitsvertrag mit dem Entsendeunternehmen bleibt bestehen; es werden zusätzliche Vergütungsbestandteile in einen Ergänzungsvertrag aufgenommen.
Long-Term-Assignment: Langzeitentsendung, der Expatriate verlegt seinen Lebensmittelpunkt in den Tätigkeitsstaat; üblich ist, dass der be stehende Arbeitsvertrag ruhend gestellt und ein lokaler Arbeitsvertrag geschlossen wird; ein Ergänzungsvertrag regelt Besonderheiten.
Commuter Assignments: Mitarbeitende behalten ihren Wohnsitz bei und pendeln zwischen Heimat und Einsatzland.
International New Hires: Unternehmen rekrutieren Talente aus dem Ausland, die dann in Deutschland arbeiten.
International Permanent Transfers: Zeitlich unbefristete Versetzung von Mitarbeitenden in ein anderes Land.
Wo liegen die Herausforderungen bei International Permanent Transfers?
Markus Kurth: Die Vorteile der Langzeitentsendung können die Nachteile eines International Permanent Transfers sein. So finden bei den auf Dauer angelegten Personalbewegungen in der Regel die lokalen Bedingungen Anwendung, das heißt, sämtliche Verpflichtungen und Zusagen des Arbeitgebers entsprechen den lokalen Bedingungen vor Ort. Das dortige Vergütungsniveau kann interessant sein, muss es aber nicht. Zudem ist die Arbeitsbeziehung nicht nur durch den Vertrag geprägt, sondern auch durch das Niveau und die Qualität der staatlichen Sozialversicherungssysteme. Auch bedeutet eine auf Dauer angelegte Tätigkeit im Ausland, dass Mitarbeitende mit allen Vorund Nachteilen vor Ort sozialversicherungspflichtig werden. Es gibt also viele Aspekte und Details, die abzuwägen sind.
Das klingt eher abschreckend …
Christof Ternes: Das sollte es nicht. International Permanent Transfers ziehen Unternehmen richtigerweise zunehmend für Personalbesetzungen in Betracht. In unserem Survey zum strategischen Mobility Management gaben im Jahr 2023 fast 60 Prozent der Befragten an, dass sie hier eine Zunahme erwarten. Rund 38 Prozent gehen von gleichbleibenden Werten aus. Das ist ein klarer Trend, der sich in unseren aktuellen Analysen bestätigt.
Ist somit eine Ablösung der Langzeitentsendungen durch International Permanent Transfers zu erwarten?
Markus Kurth: Nein, auch wenn es eine für Unternehmen wie Mitarbeitende interessante MobilityForm ist. Lassen Sie mich das an einem Beispiel verdeutlichen: Wenn ein Talent aus einem Land mit einem hohen Gehaltsniveau dauerhaft in ein Land mit geringerem Gehaltsniveau versetzt werden soll und es keine starken persönlichen Gründe für den Transfer gibt, dann wird das Unternehmen diesen Transfer kaum umsetzen können. Tauschen wir in dem Beispiel das Gehaltsniveau des Heimatlandes mit dem des Einsatzlandes, dann nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass die Person dem Transfer zustimmt – vorausgesetzt, sie ist an einem dauerhaften Ortswechsel interessiert.
Christof Ternes: Wir müssten dieses Beispiel noch viel granularer aufbereiten, um der realen Komplexität näherzukommen. Es gibt eben nicht nur die eine einfache Antwort. Vielmehr sind Unternehmen gefordert, aus mehreren Optionen zu wählen. Für deren effektives Management brauchen sie eine passende Technologie.
Und wie steht es aktuell um den Technologieeinsatz im Global Mobility Management?
Christof Ternes: Aktuell dominiert im Mobility Management der Word- und ExcelWeitwurf. Man mag das belächeln, aber das ist die Praxis. Das liegt allerdings nicht am Fehlen anderer technischer Lösungen. Am Markt gibt es viele Tools.
Warum nutzen Unternehmen diese Tools nicht?
Christof Ternes: Die Anschaffungs- und Unterhaltungskosten einer solchen Software sind sicherlich ein wesentlicher Aspekt, auch weil es aufgrund der Komplexität häufig schwerfällt, einen überzeugenden Business Case zu erstellen. Aber aus unserer Sicht amortisiert sich gerade in einem so vielschichtigen Umfeld wie dem Mobility Management ein Investment in moderne Technologie relativ zügig.
Info
Wenn Sie noch mehr zu Global Mobility erfahren möchten, schauen Sie bei der Personalwirtschaft vorbei. Dort erscheint Ende April unser Round-Table-Bericht (online), in der Mai-Ausgabe der Personalwirtschaft veröffentlichen wir ein Special zu diesem Thema.
Gibt es weitere Gründe dafür, dass Unternehmen die Tools nicht nutzen?
Markus Kurth: Ein weiterer Grund mag sein, dass die GlobalMobilityTeams häufig sehr klein sind und somit die Kapazitäten, die ein solches Projekt erfordert, einfach nicht vorhanden sind. Trotzdem sollten Unternehmen die Implementierung einer Software priorisieren.
Welche Vorteile sehen Sie bei diesen Technologien?
Markus Kurth: Je nach Einsatzschwerpunkt können Unternehmen von vielen Vorteilen beim Einsatz von StateoftheArtTechnologie profitieren. Effizienzen sind dabei ein naheliegender und wichtiger Pluspunkt. Auch aus CompliancePerspektive ist eine moderne Software sinnvoll. Die Fehlerquelle Mensch wird im Prozess reduziert, Dokumente können rechtssicher an einem Ort gespeichert und archiviert werden.
Christof Ternes: Zusätzlich kann auch der Kontakt zu den wichtigsten Stakeholdern technologisch effektiv und effizient gestaltet werden. Mitarbeitendenportale sind hierbei nur eine Möglichkeit. Über diese lässt sich effizient kommunizieren. Aufgaben können zugewiesen, Updates übermittelt und gleichzeitig Mitarbeitende informiert werden.
Welche Rolle kann und wird Künstliche Intelligenz im Mobility Management spielen?
Markus Kurth: Im Global Mobility Management steht KI noch am Startblock, so ehrlich muss man sein. Das Potenzial ist aber riesig, denn Global Mobility Manager müssen in einer sehr komplexen Aufgabenlandschaft agieren. Allein die Vorstellung, künftig nicht nur durch Standardisierung Effizienzen zu heben, sondern beispielsweise auch durch PredictiveAnalytics-Daten Vorhersagen erstellen zu können, bereitet eine gewisse Vorfreude. Aber wie gesagt: Wir stehen noch am Anfang. Mobility Management war schon immer spannend, aber die Zukunft wird noch spannender.
Info
Einladung zum „Global Mobility Survey 2025“
Zu aktuellen Trends in der Entsendung von Fach und Führungskräften befragt Mercer regelmäßig Unternehmen. Machen Sie beim aktuellen „Global Mobility Management Survey“ mit und teilen Sie Ihre Erfahrun gen bei internationalen Entsendungen. Mit Ihrer Teilnahme erhalten Sie Zugang zur GlobalMobilityDatenbank und zu Details und Strategien im Rahmen globaler Mobilitätsrichtlinien.
Kirstin Gründel beschäftigt sich mit den Themen Compensation & Benefits, Vergütung und betriebliche Altersvorsorge. Zudem kümmert sie sich als Redakteurin um das Magazin "Comp & Ben". Sie ist redaktionelle Ansprechpartnerin für das Praxisforum Total Rewards.