Politisches Engagement ist angesichts des europaweiten Vormarsches extremistischer Parteien wichtiger denn je. Das hat auch die Drogeriekette dm erkannt und angekündigt, allen Mitarbeitenden in Deutschland, die sich bei der Europawahl als Wahlhelfer beteiligen, die geleisteten Stunden anzurechnen. „Wir hoffen, dass sich viele Kolleginnen und Kollegen beteiligen, denn in Deutschland werden rund 650.000 Wahlhelfer benötigt, damit die Europawahl reibungslos organisiert und durchgeführt werden kann“, erläutert dm-CEO Christoph Werner.
In den kommenden Tagen und Wochen will das Unternehmen intern dafür werben, dass sich die Mitarbeitenden als Wahlhelfer in ihren jeweiligen Wahlkreisen betätigen. „Wir wollen vor allem die vielen Tausend jungen Kolleginnen und Kollegen darauf aufmerksam machen, dass sie nicht nur ihre Stimme abgeben können, sondern dass sie darüber hinaus mit ihrem persönlichen Engagement ihre eigene Zukunft und die Zukunft Europas aktiv mitgestalten können“, so Werner.
Dm fördert nach eigener Auskunft seit mehr als 30 Jahren ehrenamtliches Engagement in Deutschland, sowohl soziale, caritative und kulturelle als auch ökologische Initiativen. Diese finanzielle wie immaterielle Unterstützung im direkten Umfeld der dm-Märkte „sei immer ein Signal in die Gesellschaft hinein gewesen, dass die Gesellschaft auf das ehrenamtliche Engagement von Bürgerinnen und Bürgern angewiesen ist“, so Christoph Werner. „Nun wollen wir diejenigen, die einen Beitrag zu dem, was Demokratie erst möglich macht, nämlich zu freien Wahlen, als Gemeinschaft unterstützen“, bekräftigt der CEO.
Schraubenkönig rät seinen Mitarbeitenden von der AfD ab
Deutlich direkter als dm bezieht der Schraubenhandelskonzern Würth politisch Stellung: Firmenchef Reinhold Würth riet seinen rund 25.000 Beschäftigten in Deutschland Anfang März davon ab, für die AfD zu stimmen. In einem fünfseitigen Schreiben wandte sich der 89-Jährige vor allem an mögliche Protestwähler: „Bloß wegen ein bisschen Spaß an der Freude Rabatz zu machen und aus Unmut über die Ampelregierung die AfD zu wählen, ist einfach zu wenig.“ Seine Unternehmensgruppe äußere sich normalerweise nicht zu politischen Themen, „aber in diesem Fall der AfD sehe ich mich in Übereinstimmung mit Abermillionen deutscher Bürger“, erklärte der als „Schraubenkönig“ bekannte Milliardär, der zu den reichsten Deutschen zählt.
Es habe auch Kritik für sein Vorgehen gegeben, gab Würth jetzt in einem Interview mit dem „Handelsblatt“ zu. „Einige Kunden haben angekündigt, nichts mehr bei Würth zu kaufen. Wir haben dadurch rund 1,5 Millionen Euro Umsatz verloren.“ Die positiven Aspekte überwiegen allerdings, meint Würth: „Wahrscheinlich haben wir deutlich mehr Aufträge aus Sympathie dazubekommen als verloren. Aber darum ging es ohnehin nicht.“
Eine einmalige politische Äußerung des Firmen-Patriarchen soll das Schreiben contra AfD übrigens nicht bleiben. So hat sich Würth nach eigenen Angaben zuletzt auch Gedanken zum Thema Remigration gemacht. Diese will der Schrauben-Milliardär künftig in einer Art Kolumne zusammenfassen, erklärte er gegenüber dem „Handelsblatt“.
Auch andere haben Stellung bezogen
Eine Vorreiterrolle hat Würth mit seiner klaren Kante gegen die AfD indes nicht. So hat beispielsweise die Unternehmensberatung EY ihre Mitarbeitenden bereits 2018 dazu aufgerufen, Parteien der Mitte zu wählen, „um die demokratischen und rechtsstaatlichen Kräfte in unserem Land zu stärken“. Auch der Triebwerkshersteller MTU Aero Engines hat 2018 laut einem Bericht der Schwäbischen Zeitung seine Belegschaft per Brief dazu aufgefordert, keine populistischen Parteien zu wählen. Die Aufforderungen fielen unmittelbar vor die Bayern-Wahl.
Auch wenn der Begriff „AfD“ weder bei MTU noch bei EY explizit fiel, richteten sich die Aktionen klar gegen die Partei und ihre politischen Positionen. „Als Unternehmen sind wir ein Teil der Gesellschaft und wollen auf diesem Weg die Demokratie stärken“, erklärte damals Markus Wölfle, Unternehmenssprecher, den Schritt von MTU Aero Engines. Aus der Belegschaft habe es überwiegend positive Reaktionen auf das Schreiben gegeben.
Onlineshop mit fragwürdiger politischer Gesinnung
Es gibt allerdings auch Unternehmen, die den entgegengesetzten politischen Weg beschreiten. Über die Mitarbeitendenbefragung bei der Böttcher AG beziehungsweise die Veröffentlichung bei Facebook haben wir ausführlich berichtet: Das Unternehmen mit Sitz in Jena fragte seine Mitarbeitenden nach ihrer politischen Meinung. Rechtlich ist das allemal diskutabel, zumal die Mitarbeitenden offenbar auch durch finanzielle Anreize zur Teilnahme an der Befragung geködert wurden.
Aufsehen erregten (nicht nur) in der HR-Szene vor allem die Umfrageergebnisse: 34,4 Prozent der Befragten würden der AfD bei der nächsten Wahl ihre Stimme geben, 62 Prozent bewerten die aktuelle deutsche Regierung mit den Schulnoten 5 oder 6, und mehr als 71 Prozent waren so unzufrieden mit der Politik, dass sie am liebsten bereits jetzt Neuwahlen hätten. Der Kommentar des Unternehmens zu den Ergebnissen ließ nur wenig Interpretationsspielraum, wo sich die Böttcher AG selbst politisch verortet: „Politische Umfrage bei der Böttcher AG, fast 600 Arbeitnehmer haben ihren politischen Willen zum Ausdruck gebracht“. Inzwischen ist der Post gelöscht, wohl auch, weil die öffentlichen Reaktionen darauf recht heftig ausfielen. Der Inhaber Udo Böttcher distanzierte sich auf Nachfrage unserer Redaktion allerdings vom Rechtsextremismus und der AfD.
Was Unternehmen politisch dürfen – und was nicht
Doch inwieweit dürfen sich Unternehmen überhaupt politisch engagieren? Welche Grenzen und Einschränkungen gibt es? Christoph Seidler, Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Osborne Clarke, stellt klar: „Eine (partei-)politische Betätigung des Arbeitgebers steht nicht im Konflikt mit den Persönlichkeitsrechten seiner Beschäftigten.“ Weil Arbeitgeber einerseits nicht berechtigt seien, ihre Beschäftigten zu einem bestimmten politischen Handeln zu verpflichten (also zum Beispiel eine bestimmte Partei zu wählen oder nicht zu wählen), müssten sie umgekehrt bei ihrer eigenen politischen Betätigung nicht auf die Belange der Beschäftigten Rücksicht nehmen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können daher von ihren Arbeitgebern nicht verlangen, sich von politischen Äußerungen zu enthalten.

Es gibt allerdings Einschränkungen, so Seidler. Wenn es etwa einen Betriebsrat gebe, sei dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat wechselseitig eine parteipolitische Betätigung im Betrieb untersagt (§ 74 Abs. 2 S. 3 BetrVG). „Nach meiner Auslegung gilt das nicht für betriebsratslose Betriebe. Das bedeutet auch, dass sich gegen einen Verstoß des Arbeitgebers nur der Betriebsrat juristisch wehren darf. Arbeitnehmende können keine Unterlassung politischer Aktivität verlangen. Auch drohen keine Bußgelder oder ähnliche Sanktionen“, erläutert der Arbeitsrechtler.
Ein Aufruf, eine bestimmte Partei zu wählen oder nicht zu wählen, wäre nach Seidlers Einschätzung in Betrieben mit Betriebsrat wohl unzulässig. Wollen Arbeitgeber sich dennoch zu der aktuellen politischen Situation positionieren, können und sollten sie das dennoch tun, findet der Rechtsanwalt. „Denkbar und meines Erachtens jedenfalls zulässig ist zum Beispiel ein Eintreten für Toleranz und Vielfalt, eine Ablehnung fremdenfeindlicher oder faschistischer Positionen und Parteien oder ein allgemeiner Wahlaufruf. Ein Aufruf, bei einer Wahl für demokratische Partien oder die ,politische Mitte´ zu stimmen, wäre ein Grenzfall, erscheint mir aber in der derzeitigen Lage zulässig.“ Ein Aufruf zur Hilfe bei Wahlen oder eine Unterstützung von Wahlhelferinnen und -helfern wie bei dm sei ebenfalls erlaubt, da es sich nicht um eine parteipolitische Äußerung handele.
Unkritisch sind nach Seidlers Einschätzung außerdem politische Äußerungen außerhalb des Betriebs. So dürften Unternehmensvertreter in der Öffentlichkeit – etwa bei Demonstrationen – auftreten und Stellung gegen die AfD beziehen.
Sven Frost betreut das Thema HR-Tech, zu dem unter anderem die Bereiche Digitalisierung, HR-Software, Zeit und Zutritt, SAP und Outsourcing gehören. Zudem schreibt er über Arbeitsrecht und Regulatorik und verantwortet die redaktionelle Planung verschiedener Sonderpublikationen der Personalwirtschaft.

