Ein Spiel dauert 90 Minuten. Was eine der größten Fußballbinsen ist, gilt in Wahrheit nur bedingt. Denn natürlich gibt es eine Halbzeitpause, und ein paar Minuten Nachspielzeit kommen in der Regel auch noch dazu. Zwei Stunden brutto dauert ein Spiel also meistens. Und wenn, wie jetzt in der K.O.-Phase der Fußball-Europameisterschaft, auch noch Verlängerung und Elfmeterschießen dazukommen können, dann nähert sich manches Spiel der Drei-Stunden-Marke, oder liegt sogar drüber.
Das könnte zumindest bei den um 21 Uhr angepfiffenen Spielen für die spanische Nationalmannschaft noch ein Problem werden. Denn Jungstar Lamine Yamal ist gerade einmal 16 Jahre alt, sein 17. Geburtstag liegt wenige Tage vor dem Finale. Aber auch danach fällt er unter das deutsche Jugendarbeitsschutzgesetz, wie der Arbeitsrechtler Pascal Croset bestätigt. „Das Gesetz gilt für die Arbeit, die in Deutschland geleistet wird“, erklärt er. Also auch für die Tätigkeit für die spanische Nationalmannschaft. Und bei einem Turnier, dessen Dachorganisation, der europäische Fußballverband UEFA, in der Schweiz sitzt.
Im Jugendarbeitsschutzgesetz wiederum ist festgelegt: Jugendliche unter 18 Jahren dürfen regulär nur bis 20 Uhr arbeiten. Bei Sportereignissen gilt für die Sportlerinnen und Sportler ähnlich wie für Musikerinnen und Musiker eine Ausnahme bis 23 Uhr. Das ist bei einem Spiel am frühen Abend zu schaffen, bei einem Anpfiff um 21 Uhr aber auch ohne Verlängerung und Elfmeterschießen kaum. Denn: „Zumindest das Duschen gehört bei Fußballern zur Arbeitszeit, weil die Tätigkeit ja eine anschließende Reinigung des Körpers verlangt“, sagt Croset. Im Zweifelsfall dürften sogar auch Interviews, das Auslaufen nach dem Spiel und sogar die Rückfahrt ins Hotel Arbeitszeit sein. Das heißt: Selbst bei 18-Uhr-Spielen wie an diesem Freitag gegen Deutschland könnte es knapp werden.
Zumal das Gesetz für Jugendliche noch etwas anderes vorschreibt: 14 Stunden Ruhezeit. „Das heißt, selbst wenn er um 23 Uhr im Hotelbett liegt, dürfte er morgens nicht trainieren“, sagt Arbeitsrechtler Croset. Auch die Massage zur Regeneration wäre dann womöglich nicht erlaubt.
„Muss Lamine um 23 Uhr raus? Ich glaube nicht“
Den Verantwortlichen im internationalen Fußball scheint die Regel egal zu sein. „Ich kenne die deutsche Gesetzgebung nicht. Muss Lamine um 23 Uhr raus? Ich glaube nicht“, wird der spanische Coach Luis de la Fuente von T-Online zitiert. „Wir sind alle für sein Wohlergehen verantwortlich. Wir werden unseren Job machen und ihn spielen lassen. Mehr nicht.“ In den Vorrundenspielen und im Achtelfinale gegen Georgien spielte Yamal jedenfalls. Verschiedene Medien berichten, dass das Regierungspräsidium Köln den Fall prüfe, auf Nachfrage verneinte ein Sprecher allerdings, entsprechende Aussagen getroffen zu haben. Er verwies zwar auf die potenziell einschlägigen Vorschriften, aber auch darauf, dass das Spiel vor 23 Uhr endete. Stand jetzt hat der spanische Verband wohl nichts zu befürchten. Wobei die im Raum stehenden 30.000 Euro Bußgeld für einen Fußballverband ohnehin Peanuts sein dürften.
Einige Fußballverbände, darunter der Deutsche, stellen sich zudem auf den Standpunkt, dass sie selbst keine Arbeitgeber sind und dass das Jugendarbeitsschutzgesetz hier also keine Anwendung findet. Diesem juristischen Verständnis widersprechen zahlreiche Arbeitsrechtler, auch Pascal Croset. „Ich finde, der DFB ignoriert das Problem hier weg – oder versucht es zumindest.“ Er hätte sich mehr Klarheit gewünscht, nicht nur von den Fußballverbänden, sondern auch seitens der Behörden. „Dass hier in Berlin regelmäßig an einzelnen Tagen statt Knöllchen Schokolade an Falschparker verteilt wird, zeigt ja, dass man ein Auge zudrücken darf – auch ganz offiziell“, sagt er. Und eben das hätte er sich auch in diesem Fall gewünscht. „Vielleicht mit einem Augenzwinkern: Auch in Deutschland legt die Bürokratie nicht den Fußball lahm.“
Matthias Schmidt-Stein koordiniert die Onlineaktivitäten der Personalwirtschaft und leitet gemeinsam mit Catrin Behlau die HR-Redaktionen bei F.A.Z. Business Media. Thematisch beschäftigt er sich insbesondere mit den Themen Recruiting und Employer Branding.

