Wir haben für Teil 40 unserer Kolumne „So ist’s Arbeitsrecht” mit Kathrin Vossen, Fachanwältin für Arbeitsrecht und Partnerin bei der Kanzlei Oppenhoff & Partner Rechtsanwälte, über das Verweigern von Arbeitsleistung gesprochen.
Personalwirtschaft: Ab wann spricht man von einer Arbeitsverweigerung?
Kathrin Vossen: Wann eine Arbeitsverweigerung tatsächlich vorliegt, ist eine der schwierigen Kernfragen des Themas. Grundsätzlich ist die Arbeitsverweigerung eine rechtswidrige Ablehnung der geschuldeten Arbeit. Was zur geschuldeten Arbeit zählt, hängt mit dem Direktionsrecht zusammen und mit dem, was arbeitsvertraglich oder in Gesprächen zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin vereinbart wurde. Rechtswidrigkeit liegt grob gesagt dann vor, wenn es keine Rechtfertigung für die Verweigerung der Arbeit gibt.
Bilden Arbeitsverträge denn wirklich die tatsächlichen Aufgaben eines Arbeitnehmers oder einer Arbeitnehmerin ab?
Nein, dort stehen häufig nur eine grobe Stellenbezeichnung und der Einsatzbereich. Bei der Frage, ob eine Arbeitsverweigerung vorliegt und somit, was denn eigentlich zu den Aufgaben des oder der Beschäftigten gehört und was nicht, ist es aber auch nicht zwingend notwendig, dass die Aufgaben im Einzelnen festgeschrieben sind. Denn der Arbeitgeber kann im Rahmen seines Direktionsrechts unter anderem die Inhalte der Arbeitsleistung im täglichen Arbeitsalltag näher bestimmen. Aber natürlich gibt die im Arbeitsvertrag stehende Stellenbezeichnung Rückschlüsse darauf, was nicht typischer Weise zu den Aufgaben des Jobs gehört.
Zum Beispiel?
Wenn jemand als IT-Fachkraft eingestellt wird, kann man grundsätzlich sagen, dass etwa das Reinigen der Toilette nicht zu den Tätigkeiten gehört.
Bei der Anweisung „Dokumentieren Sie Ihre Schritte des IT-Projekts“ wird es dann vermutlich schon kniffliger.
Ganz genau. So eine Tätigkeit wird wohl nicht ausdrücklich im Arbeitsvertrag stehen. Aber wie gesagt: Der Arbeitgeber ist berechtigt, die Einzelheiten der Tätigkeiten durch das Direktionsrecht nach Ort, Zeit und Inhalt anzuweisen und zu konkretisieren. Das muss im Rahmen der arbeitsvertraglichen, gesetzlichen, tariflichen oder betrieblichen Regelungen geschehen.
Das Direktionsrecht hat also auch seine Grenzen?
Ja, es endet beispielsweise, wenn der Arbeitgeber durch seine Ansprüche an den Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin gegen gesetzliche Vorgaben zur Arbeitszeit verstößt. Um herauszufinden, ob eine Arbeitsverweigerung bei der von Ihnen exemplarisch genannten Anweisung gerechtfertigt wäre, würde man sich mit dem Job einer IT-Fachkraft und den typischen Inhalten einer solchen Tätigkeit auseinandersetzen und auch einen Blick in die Stellenbeschreibung werfen müssen.
Gesetzliche Regelungen oder nicht vereinbarte, aber verlangte Tätigkeiten könnten also eine Arbeitsverweigerung rechtfertigen. Gibt es weitere Gründe?
Ja, zum Beispiel die Religion des Arbeitsnehmers oder der Arbeitnehmerin. Das hat ein BAG-Urteil in der Vergangenheit verdeutlicht. Im besagten Fall wollte ein Beschäftigter muslimischen Glaubens in dem Getränkemarkt, in dem er arbeitet, keine Spirituosen in die Regale einräumen beziehungsweise am Verkauf von Spirituosen mitwirken. Bei der Abwägung, ob dies eine gerechtfertigte Arbeitsverweigerung ist oder nicht, spielten viele Aspekte eine Rolle, wie etwa die Religionsfreiheit laut dem Grundgesetz, aber auch die Tatsache, dass es ja vermutlich problemlos auch ein anderer Angestellter hätte machen können.
Und wie entschied das BAG in diesem Fall?
Das BAG hat festgestellt, dass die Weigerung aus Glaubensgründen je nach den Umständen des Einzelfalls eine ordentliche Kündigung rechtfertigen kann. Allerdings muss der Arbeitgeber nach Auffassung des BAG bei der Ausübung seines Direktionsrechts auf einen ihm bekannten Glaubenskonflikt Rücksicht nehmen und muss die Arbeit gegebenenfalls anders organisieren. Wichtig ist aber immer eine Bewertung der Gesamtumstände, das heißt es gibt keine einfachen und allgemeingültigen Antworten.
Der Deal in Arbeitsverhältnissen ist: Geld gegen Arbeit. Kann eine Arbeitsverweigerung also gerechtfertigt sein, wenn das Gehalt nicht pünktlich gezahlt wird?
Grundsätzlich schon. Der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin hat Zurückbehaltungsrechte, wenn es einen Rückstand der Zahlungen gibt. Und wenn er oder sie die Leistung dann verweigert, kann es gerechtfertigt sein.
Muss die Arbeitsleistung dann nachgeholt werden, wenn das Geld auf dem Konto ist?
Grundsätzlich hat Arbeitsleistung den Charakter einer sogenannten „Fixschuld“, das heißt die Beschäftigten sind nicht zur Nachholung nicht erbrachter Arbeitsleistung verpflichtet. Das sieht möglicherweise anders aus, wenn Beschäftigte die Lage ihrer Arbeitszeit selber bestimmen können, etwa bei Arbeitszeitkonten oder Gleitzeitvereinbarungen.
Zu welchen Rechtsstreitigkeiten kann eine Arbeitsverweigerung führen?
Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gibt es im Kontext von Abmahnungen, die als disziplinarische Maßnahme der Arbeitsverweigerung ausgesprochen werden können. Im schlechtesten Fall kann eine Folge auch die verhaltensbedingte Kündigung sein – ordentlich wie außerordentlich. Dass das Entgelt einbehalten wird, weil der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin nicht der Arbeitsleistung nachkommt, kommt eher seltener vor.
Wobei es doch naheliegt?
Ja, aber meistens geht es nicht darum, dass jemand tage- oder wochenlang die Arbeit verweigert, sondern es geht um konkrete Aufgaben und eher um ein paar Stunden. Der buchhalterische Aufwand für die Einbehaltung des Lohns von beispielsweise drei Stunden ist erfahrungsgemäß vielen Arbeitgebern zu groß.
In manchen Berufen agieren die Angestellte sehr autonom und erhalten nicht jeden Tag eine Anweisung, was zu tun ist. Wie ist es dann?
Die Anweisungen zu den Aufgaben eines Beschäftigten müssen auch nicht regelmäßig wiederholt werden, wenn sich daran nichts ändert. Zu Anfang des Arbeitsverhältnisses hat man sich ja in der Regel dazu abgestimmt. Manche Unternehmen arbeiten nicht mehr so hierarchisch und eher durch Selbstführung, so dass es nicht auf tägliche Anweisungen der Führungskraft ankommt. Ausschlaggebend ist grundsätzlich, was vereinbart wurde. Bei sehr eigenständig arbeitenden Mitarbeitenden ist es daher noch wichtiger, über die einzelnen Tätigkeiten der Jobs am Anfang der Beschäftigung zu reden.
Und wenn es doch Unklarheiten dazu gibt, was ich als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer zu tun habe?
Das kann passieren, aber die Füße hochlegen und nichts sagen, wäre dann der falsche Weg. Man muss sich darum bemühen, konkretere Anweisungen zu erhalten und beim Arbeitgeber nachfragen, was zu tun ist. Ansonsten könnte man durchaus eine ungerechtfertigte Arbeitsverweigerung annehmen.
Es kann in manchen Beruf durchaus üblich sein, dass man über die Arbeit diskutiert und der Meinung des Vorgesetzen widerspricht. Läuft man dann Gefahr, die Arbeit zu verweigern?
Das hängt davon ab, wie es nach dem Widerspruch des Angestellten weitergeht. Wenn der Vorgesetzte die Meinung des Mitarbeiters oder der Mitarbeiterin entgegen nimmt und trotzdem auf seiner Arbeitsanweisung beharrt, dann hat der Vorgesetzte durchaus das letzte Wort. Der oder die Angestellte hat dem Folge zu leisten, egal wie diskussionsfreudig oder auch gefühlt gleichgestellt die Zusammenarbeit oder Unternehmenskultur ist.
Die Tätigkeit gar nicht erst auszuführen, ist die eine Sache. Kann denn auch eine Minderleistung eine Arbeitsverweigerung sein?
Dazu gibt es jede Menge Rechtsprechungen, denn was eine Minderleistung überhaupt ist, ist schwer zu sagen. Das BAG hat daher einen subjektiven Leistungsbegriff entwickelt: Der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin schuldet die Arbeitsleistung, die er oder sie bei angemessener Anspannung der individuellen Kräfte und Fähigkeiten erbringen kann. Das BAG meint, dass die Beschäftigten tun müssen, was sie sollen, und zwar so gut, wie sie können.
Es geht also nicht darum, was die anderen leisten?
Es kommt nicht auf die durchschnittliche Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden in einer Abteilung an. Aber erbringt der oder die Angestellte zu wenig Leistung, obwohl der Person subjektiv mehr möglich wäre, könnte es eine Arbeitsverweigerung sein und disziplinarische Konsequenzen haben. Aber es ist durchaus schwieriger festzustellen als bei jemanden, der die Arbeit grundsätzlich verweigert.
Gesine Wagner ist hauptverantwortlich für die Themen Arbeitsrecht, Politik und Regulatorik und ist Ansprechpartnerin für alles, was mit HR-Start-ups zu tun hat. Zudem schreibt Sie über Recruiting und Employer Branding.